zum Hauptinhalt
Ein Lieferkettengesetz würde deutsche Firmen wohl für menschenunwürdige Produktionsbedingungen im Ausland haftbar machen.

© picture alliance/dpa

Menschenwürdige Produktion: Warum Firmen wie Tchibo von der Bundesregierung ein Lieferkettengesetz fordern

In einem Positionspapier unterstützt die Kette den Plan von Minister Müller. Gegen Widerstände innerhalb der Koalition kündigt er einen baldigen Entwurf an.

An deutlichen Worten spart Gerd Müller nicht, um eines seiner Herzensprojekte durchzusetzen. Ob der deutsche Wohlstand auf Menschenrechtsverletzungen aufgebaut ist, wurde der Bundesentwicklungsminister auf einer Veranstaltung des Tagesspiegels in Kooperation mit Kaufland gefragt. „Ja, zu erheblichen Teilen“, antwortete er.

Zuvor hatte er bereits von Kindern berichtet, die er in Gerbereien in Afrika „ohne Handschuhe in der Chemiebrühe“ habe stehen sehen. „Am Anfang jeder Lieferkette stehen Menschen“, wiederholte er und unterstrich damit seine Ambition, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Einhaltung von Menschenrechten auf jeder Station der Lieferkette vorschreibt.

Dabei will der CSU-Mann Tempo machen. Gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) werde er in den nächsten vier Wochen Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz vorlegen, sagte Müller. „Ich habe heute morgen mit Heil gesprochen“. Jetzt werde man mit der Wirtschaft in den Dialog treten.

Streit mit dem Wirtschaftsministerium

Auch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe er am Morgen gesprochen, sagte Müller. Bei ihm dürfte er jedoch auf weniger Verständnis gestoßen sein. Denn die Debatte um das Lieferkettengesetz zieht sich bereits seit Jahren und das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hatte sich ebenso wie führende Wirtschaftsverbände stets kritisch gezeigt. Sie befürchteten eine bürokratische Belastung der deutschen Wirtschaft.

Derzeit läuft deshalb eine Unternehmensumfrage, die zeigen solle, ob deutsche Firmen die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht bereits mehrheitlich achten. Das Verfahren läuft noch, der Abschlussbericht soll im Sommer erstellt werden. Nur wenn sich hier zeigen sollte, dass die Mehrheit der Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nach eigener Einschätzung nicht einhalten, wird es ein Gesetz geben, so der bisherige Konsens. Das BMWi beharrt auf diesem Vorgehen.

Müller will nun aber nicht mehr so lange warten. Ein erster Teil dieses Monitorings hatte nämlich ergeben, dass nur ein sehr kleiner Teil der befragten Unternehmen sich selbst als sogenannte „Erfüller“ der Sorgfaltspflichten ansieht.

Von 3300 angeschriebenen Unternehmen kamen 460Rückmeldungen. Nur 20 von ihnen hätten sich als „Erfüller“ bezeichnet, so der Minister. Den zweiten Teil dieses Monitorings hält er deshalb „für unnötig“. Er wolle das Lieferkettengesetz möglichst schnell auf den Weg bringen.

Tchibo fordert Lieferkettengesetz

In der Wirtschaft ist das Vorhaben umstritten. So hatten sich Ende 2019 gut 40Unternehmen wie Nestlé, Kik, Primark, Ritter Sport und Hapag-Lloyd gemeinsam für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen.

Wolfgang Krogmann, Deutschland-Chef von Primark sagte dazu jüngst im Interview mit „Zeit Online“, dass ein günstiger Verkaufspreis nichts über die Produktionsbedingungen aussage, da die Herstellungskosten ohnehin nur einen geringen Anteil am Verkaufspreis hätten und sich der Großteil aus anderen Aufschlägen zusammensetze.

Tchibo fordert die Bundesregierung in einem Positionspapier auf, ein Lieferkettengesetz zu verabschieden - unabhängig vom Ausgang des Monitorings.
Tchibo fordert die Bundesregierung in einem Positionspapier auf, ein Lieferkettengesetz zu verabschieden - unabhängig vom Ausgang des Monitorings.

© DPA/DPAWEB

Auch Tchibo gehört zu den Unterzeichnern. Die Kaffee- und Handelskette hat nun sogar ein umfassendes Positionspapier verfasst, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Darin betont das Unternehmen, dass die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten „auch ungeachtet des gegenwärtigen Monitoringprozesses in eine gesetzliche Regulierung überführt werden sollten“.

Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft alleine reichen nicht aus, heißt es dort weiter. Zudem fordert Tchibo die Bundesregierung auf, „vorzugehen“ und sich für eine europäische Lösung einzusetzen. Andernfalls „drohen Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen“. Ein Lieferkettengesetz müsse zudem über Berichtspflichten hinaus gehen und die Wirksamkeit von Maßnahmen in den Fokus stellen.

Frage nach Haftung und Sanktionen

Von anderer Stelle kommt Widerspruch. „Der Plan eines umfassenden und haftungsbegründenden Lieferkettengesetzes für alle Unternehmen ist schlicht nicht praktikabel“, teilt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf Tagesspiegel-Nachfrage mit. Arbeitsbedingungen im Ausland könnte man nicht beeinflussen, heißt es weiter.

Die internationalen Standards sähen gerade keine Haftung bei solchen Vertragsbeziehungen vor. Den Entwurf des Entwicklungsministeriums bezeichnet man bei der BDA als „völlig praxisfremd“ und: „Die Verlagerung von Staatsversagen in private Haftung ist kein akzeptabler Weg.“

Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, will möglichst schnell ein Lieferkettengesetz einführen.
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, will möglichst schnell ein Lieferkettengesetz einführen.

© dpa

Müller ließ am Mittwoch allerdings durchblicken, dass gerade die Haftung und die damit verbundenen Sanktionen noch Verhandlungssache seien. Strafmaßnahmen in Millionenhöhe oder den Ausschluss von öffentlichen Aufträge wollte er ausdrücklich nicht bestätigen.

Überhaupt solle das Gesetz nur für Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern gelten, stellte er klar und hielt es sich offen, diese Zahl noch nach oben zu korrigieren. Der Mittelstand werde so von den Regelungen ausgenommen. In Frankreich, führte der Minister an, läge sie bei 1000.

Derartige Aussagen rufen wiederum die Opposition auf den Plan. Grüne und Linke hatten Müller am Mittwoch noch gewarnt, vor der Wirtschaftslobby einzuknicken. Notwendig sei etwa eine Klagemöglichkeit für Betroffene aus Produktionsländern an deutschen Gerichten und abschreckende Sanktionen, sagte der Linken-Abgeordnete und Menschenrechts-Experte Michel Brandt dem Tagesspiegel. Ohne diese Instrumente wäre das Gesetz „ein zahnloser Tiger“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false