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Drei so genannte Aufwertungsrunden hat es für den Sozial- und Erziehungsdienst seit 2009 gegeben.

© dpa

Mehr Geld für Erzieherinnen und Sozialarbeiter: Gehaltserhöhung kommt später

Die meisten Erzieherinnen und Erzieher arbeiten in kirchlichen Einrichtungen, für die es keine Tarifverhandlungen gibt.

Kaum eine andere Beschäftigtengruppe erfreut sich so großer Beliebtheit wie die Erzieherinnen und Erzieher. Die Wertschätzung der Eltern ist selbstverständlich, aber auch Politiker, Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen inzwischen um die Bedeutung frühkindlicher Fürsorge. Die staatlichen Ausgaben für die Kindertagesbetreuung sind nach Angaben der kommunalen Arbeitgeber seit 2010 um 140 Prozent gestiegen – auf 38 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.

Bis zu 180 Euro zusätzlich

Das erklärt sich nicht allein mit den zusätzlichen Kitaplätzen und der Ausweitung der Betreuungszeiten. Auch die Einkommen der Beschäftigten haben sich überdurchschnittlich erhöht: In so genannten Aufwertungsrunden, die außerhalb der normalen, regelmäßigen Entgelttarifverhandlungen stattfanden, hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 2009, 2015 und zuletzt Mitte Mai bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen können: Von Juli an bekommen Erzieherinnen monatlich 130 Euro und Sozialarbeiter sogar 180 Euro zusätzlich ausgezahlt. Dazu gibt es zwei zusätzliche freie Tage im Jahr aufgrund der hohen Belastungen in den Kindergärten.

Sonderrolle der Kita-Beschäftigten

„Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst profitieren von dieser ‚Sonderrunde’ als auch von den Ergebnissen der nächsten Lohnrunde, die Anfang 2023 beginnen wird“, kommentierte Karin Welge, Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, den Tarifkompromiss im Mai. Damit habe diese Beschäftigtengruppe eine Sonderrolle im kommunalen öffentlichen Dienst, betonte Welge, die als ehrenamtliche Präsidentin der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) die Tarifverhandlungen führt. Die Kommunen müssen also höhere Gehälter zahlen und trösten sich damit, dass „die Attraktivität des kommunalen Sozial- und Erziehungsdienstes spürbar erhöht wird“. Im Wettbewerb um Arbeitskräfte ist das auch nötig.

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Wettbewerb um Fachkräfte

Rund 170 000 Fachkräfte fehlen im Sozial- und Erziehungsdienst, hat Verdi ausgerechnet. Insgesamt arbeiten fast 800 000 Personen in dem Bereich, davon der überwiegende Teil in den Kitas. Bei den Kommunen sind rund 330 000 beschäftigt, der große Rest arbeitet in Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände oder bei freien Trägern. Die dort Beschäftigten müssen sich gedulden: Wann und wie die Entgelterhöhung bei ihnen ankommt, ist offen. „Unser Tarifvertrag für die Kommunen ist die Leitwährung, Kirchen und Wohlfahrtsverbände übernehmen den in der Regel 1:1“, sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle.

Eine Million Beschäftigte bei den Kirchen

Die größten Arbeitgeber sind die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas (Katholiken) und Diakonie (Protestanten), gefolgt von der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und freien Trägern. Dazu kommen die Stadtstaaten wie Berlin, wo die Bezahlung der Kita-Beschäftigten im Tarifvertrag der Bundesländer geregelt wird. Hier stehen die nächsten Verhandlungen erst im Herbst 2023 an. Mit 250 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungdienst ist die Caritas der größte Arbeitgeber, in Einrichtungen der Diakonie sind rund 130 000 Erzieherinnen und Erzieher tätig. Allein die evangelische Diakonie unterhält hierzulande 9107 Kinderkrippen, Kindergärten und Horteinrichtungen, in denen täglich mehr als 579 000 Kinder betreut werden.

Auf dem dritten Weg ohne Gewerkschaften

Die Arbeitsbedingungen unter dem Dach der Kirche kommen auf dem so genannten dritten Weg zustande, der auf die Reichsverfassung in der Weimarer Republik zurückgeht. Einkommen, Arbeitszeit und Urlaub werden weder einseitig durch den Arbeitgeber bestimmt (erster Weg) noch durch Tarifverträge aufgrund von Tarifverhandlungen mit Arbeitskampfoption durch Gewerkschaften und Arbeitgeber gestaltet (zweiter Weg). „Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht erlaubt es (Diakonie und Caritas), ihre Arbeitsverhältnisse an ihrem kirchlichen Auftrag und ihrem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft auszurichten“, beschreibt die Diakonie den konsensorientierten dritten Weg, in dem die Arbeitnehmerseite ihre Forderung nicht mit Hilfe von Streiks durchsetzen darf. Es gibt vielmehr paritätisch von Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen, die über die Arbeitsbedingungen befinden.

45 000 Ärzte bei der Caritas

Am 30. Juni zum Beispiel tagt die Kommission der Caritas, um eine Gehaltserhöhung für rund 45 000 Ärzte in katholischen Krankenhäusern zu beschließen. Allein in Nordrhein-Westfalen betreibt die Caritas mehr als 200 Krankenhäuser. Die kommunalen Arbeitgeber hatten sich Anfang Mai mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund auf eine Gehaltserhöhung für 60 000 Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern um 3,35 Prozent rückwirkend ab Oktober, einen zusätzlichen Urlaubstag sowie Änderungen bei Bereitschaftsdiensten verständigt. Die arbeitsrechtliche Kommission der Caritas beschließt Ende Juni, welche Teile des kommunalen Tarifvertrags übernommen werden.

Entscheidung erst im Oktober

Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst müssen darauf noch länger warten: Erst auf der nächsten Kommissionssitzung im Oktober wird sich die Caritas-Kommission mit der Übernahme des Tarifabschlusses aus dem Mai beschäftigen. „In der Regel übernehmen wir“, sagte Norbert Altmann, Sprecher der Dienstgeberseite/Arbeitgeber auf Anfrage. Eine Besonderheit sei die Behindertenhilfe, in dem Bereich habe die Caritas viel mehr Beschäftigte als andere Einrichtungen und müssen sich die Übernahmemodalitäten genau anschauen.

Grundsätzlich ist auch bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden angekommen, dass „die Löhne im Fachkräftebereich nach oben gehen“, wie Altmann sagt. Andernfalls bekommen auch den Kirchen, mit gut einer Million Arbeitnehmern einer der größten Arbeitgeber hierzulande, die Arbeitskräfte aus. Von der Lohnfindung auf dem dritten Weg will man aber auf keinen Fall abweichen: So halten sich die Kirchen die Gewerkschaften vom Hals.

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