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EZB-Präsident Mario Draghi

© AFP/DANIEL ROLAND

Mario Draghi und die "Group of Thirty": Die gefährliche Nähe der EZB zur Finanzindustrie

Sogar die EU-Ombudsfrau kritisiert die Mitgliedschaft des EZB-Präsidenten in einem exklusiven Finanz-Club. Gerade Notenbanker sollten über jeden Zweifel erhaben sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, ist ein verdienter Mann. Wäre er nicht im Juli 2012 der Spekulation auf Staatspleiten mit der ganzen Macht der Notenbank entgegengetreten, wäre der Euro schon Geschichte. Ganz Europa hätte dafür mit Arbeitslosigkeit und Armut teuer bezahlt. Dabei gelang es Draghi sogar, diesen Kurs gegen den Willen der monetären Dogmatiker aus Deutschland durchzusetzen. Dafür musste er viel, oftmals beleidigende Kritik einstecken. Europas Rechtspopulisten gilt er bis heute als Hassfigur, die sie ihrer Ersparnisse beraubt.

Aber gerade weil das so ist, wiegt umso schwerer, dass Draghi und seine Kollegen der Reputation ihrer Institution an anderer Stelle großen Schaden zufügen. Das dokumentiert der Streit, den sie über ein Jahr mit der EU-Bürgerbeauftragten Emily O'Reilly ausgefochten haben, und der nun ein höchst unrühmliches Ende fand.

Gegenstand war die „Group of Thirty“. Dabei handelt es sich um einen exklusiven Club von Notenbankern und akademischen Finanzexperten – und zahlreichen Top-Managern der Finanzindustrie. Zu den derzeit 33 Mitgliedern zählen unter anderem die Aufsichtsratschefs der Großbanken JP Morgan, Credit Suisse und UBS und der Vizepräsident des weltgrößten Geldkonzerns Blackrock, genauso wie der Chef der Bankenaufsicht bei der US-Zentralbank, die Gouverneure der Bank of England sowie der Zentralbanken Japans und Chinas – und Mario Draghi, dessen Behörde auch die 105 führenden Banken der Eurozone beaufsichtigt.

Der Club trifft sich zwei Mal jährlich hinter verschlossenen Türen. Protokolle sind nicht bekannt. Dafür veröffentlicht die „G30“ regelmäßig Empfehlungen, wie die Finanzbranche am besten reguliert werden soll. De facto bildet er eine Art öffentlich-private Partnerschaft für den friedlichen Konsens zwischen den Billionen-Jongleuren der Finanzwelt und ihren Aufsehern.

Draghi schert sich nicht um das Urteil der EU-Ombudsfrau

Darum forderten die Lobbykritiker des „Corporate Europe Observatory“ die EZB auf, Draghis Mitgliedschaft und die Mitarbeit von hohen EZB-Beamten bei der „G30“ aufzugeben, „um Interessenkonflikte zu vermeiden“. Als die EZB-Führung sich stur stellte, legten die Aktivisten Beschwerde bei der Bürgerbeauftragten ein – und fanden Gehör.

O'Reilly startete eine förmliche Untersuchung und kam acht Monate später zu einem eindeutigen Schluss: Auch wenn es keinen Beleg dafür gebe, dass „vertrauliche Informationen preisgegeben“ werden, erzeuge die Mitgliedschaft bei der G30 „den Eindruck, dass die Unabhängigkeit der EZB kompromittiert“ und damit „unnötig das Image und das vitale öffentliche Vertrauen in die EZB beschädigt“ werde, schrieb O'Reilly. Darum solle „der Präsident bis zum Ende seiner Amtszeit seine Mitgliedschaft ruhen lassen“. Anschließend sollten weder der nächste Präsident noch EZB-Direktoren Mitglied des umstrittenen Clubs werden. Zudem, so forderte die EU-Ombudsfrau, sollte die EZB dafür sorgen, dass künftig bei allen Begegnungen von Mitgliedern der EZB-Führung ein weiterer Beamter zugegen ist.

Doch Draghi und seine Kollegen kümmert das nicht. Die EZB „teilt die Einschätzungen der Bürgerbeauftragten nicht“, erklärten sie vergangene Woche lapidar. Vielmehr führe „der Austausch der Ansichten unter den G30-Mitgliedern zu einem besseren Verständnis der internationalen wirtschaftlichen Entwicklungen“. EZB-Direktoren werden sich also auch künftig vertraulich mit den Spitzenbanken im G30-Club beraten.

Das nährt Zweifel an der Unabhängigkeit

Das ist ein strategischer Fehler. Wenn Regierungen ihre geldpolitische Entscheidungen kritisieren, dann pochen Notenbanker stets auf die strikte Unabhängigkeit ihrer Behörde. Kein Parlament, kein Regierungschef soll das Vertrauen in das gesetzliche Zahlungsmittel durch kurzsichtige Forderungen nach mehr Geld und niedrigen Zinsen gefährden. Die daraus folgende Machtfülle ist aber nur gerechtfertigt, wenn die Währungshüter ihrerseits über jeden Zweifel an ihrer Unparteilichkeit erhaben sind. Die aber steht schon seit der Berufung des ehemaligen Goldman-Sachs-Managers Draghi in Frage. Die lässige Arroganz der EZB-Gewaltigen gegenüber Ombudsfrau O'Reilly nährt die Zweifel jetzt erst recht.

Das birgt gewaltige Risiken. Nicht zuletzt die gefährliche Nähe der Währungshüter und Bankaufseher zu den Größen der Finanzindustrie führte 2008 zum Crash. Unter dem folgenden politischen fall-out leidet die Welt bis heute. Es wird Zeit, die Regeln auch für Zentralbanker so zu ändern, dass sich das nicht wiederholt.

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