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Neues Malern. Das Traditionsgewerbe wandelt sich wie viele andere auch.

© picture alliance / dpa

Malermeister Schultze: „Wir müssen uns neu erfinden“

Matthias Schultze ist mit seinem Malerbetrieb bei Facebook, Instagram oder Pinterest. Wie Social-Media-Marketing funktioniert, erklärt er im Interview.

Herr Schultze, Sie sind bekannt im Netz als „Maler Heyse“ und machen viel Social-Media-Marketing. Wie kam es denn dazu?

Seit 2001 führe ich einen handwerklichen Familienbetrieb, der 1937 gegründet wurde. Das Internet fand ich schon spannend, als es gerade erst damit losging, und mit Computern hatte ich erstmals im zarten Alter von zehn Jahren Kontakt. Aber mein Vater wollte, dass ich Maler werde. „Computer sind nicht alles“, hat er gesagt. Und so habe ich eine Ausbildung zum Maler und Lackierer gemacht – aber ich habe beschlossen, beides miteinander zu verknüpfen, als ich das Unternehmen dann von meinem Vater übernommen habe. Ich bin der Meinung, dass die digitale Transformation eine riesige Chance für Familienunternehmen ist!

Was haben Sie damals gemacht?

Ende der 1990er-Jahre fing das mit dem Internet ja gerade erst so an. Ich habe eine erste Internetseite gebaut, als noch niemand eigene Domains hatte. Die Webadresse habe ich aufs Auto geklebt, damit waren wir Exoten. 1999 habe ich dann das erste Gästebuch auf meiner Homepage installiert und bin mit den Leuten in den Austausch gegangen.

Und heute?

Heute sind wir überall vertreten – zum Beispiel auf Facebook, Instagram oder Pinterest. Ich habe analysiert, wo meine Zielgruppe unterwegs ist und diese Mikrokanäle sind meine „Marktschreier“. Unser Hauptkanal ist das Blog, unser Web-Tagebuch. Und mit meinen Marktschreiern lenke ich die Aufmerksamkeit dorthin. Wir liefern somit auf diese Weise weit über 400 000 Touchpoints monatlich aus. Wenn ich nur ein Promille davon als Kunden gewinne, muss ich mir nie wieder Sorgen machen.

Matthias Schultze, 44 Jahre, ist gelernter Maler und Lackierer und führt seit 2001 den Malerfachbetrieb Heyse in Hannover.
Matthias Schultze, 44 Jahre, ist gelernter Maler und Lackierer und führt seit 2001 den Malerfachbetrieb Heyse in Hannover.

© promo

Worüber schreiben Sie auf Ihrem Blog?

Ich bin ein Geschichtenerzähler – ich erzähle Geschichten aus unseren Unternehmen, über meine Mitarbeiter und wie wir Menschen glücklich machen. Wir umgeben uns mit einer guten Energie, das mögen die Leute. Wir sind ja nicht nur Maler, wir sind auch Innenraumgestalter und Fassadendoktoren. Und je mehr das nach außen dringt, desto mehr bekommt das Image des Malers einen anderen Stellenwert. Demnächst werden wir auch unsere Azubis stärker in die Pflicht nehmen. Wir brechen die Ausbildung auf – wir bringen ihnen nicht nur bei, was der Staat im Rahmen der Ausbildung vorschreibt, sondern wir ermöglichen ihnen auch sichtbar zu werden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist das ein spannendes Zusatzangebot für sie.

Wie halten andere Betriebe das?

Das Handwerk hat viel Luft nach oben, was Social Media angeht. Der größte Teil des Handwerks verpennt die Chancen, die darin liegen. Die sind zu satt, haben so viele Aufträge und verkennen, dass das nicht immer so weiter gehen wird. Sie haben noch nicht begriffen, was es heißt, sich digital zu zeigen – daher rührt auch die Angst der Unternehmer vor der Datenschutzgrundverordnung. Doch es ist ernst: Die Handwerkskultur wird vernichtet, wenn wir unsere Arbeit nicht erklären.

Aber muss jetzt jeder Handwerker bloggen?

Nicht jeder muss bloggen, aber jeder muss sich fragen: Was passiert, wenn ich mich nicht damit auseinander setze? Wenn ich das vom Tisch wische, weil ich denke, dass ich das nicht brauche, dann bin ich irgendwann nicht mehr wettbewerbsfähig.

Wie haben Sie Ihr Unternehmen nach und nach umgebaut?

Am Anfang habe ich mir Unterstützung im Freundes- und Bekanntenkreis gesucht und die Seite gebaut. Ich habe mir die Zeit dafür ganz bewusst genommen und alle Aufgaben, die mich nicht glücklich gemacht haben, abgegeben – das Zauberwort ist delegieren. Und dann habe ich mir neue Aufgaben gesucht für diese freiwerdenden Kapazitäten, zum Beispiel die strategische Ausrichtung meines Unternehmens. Das ist doch eine der Grundfragen von neuer, moderner Arbeit: Wie verändert sich mein Berufsbereich durch die Digitalisierung? Und wie kann ich meine Arbeit so verändern, dass sie mich glücklich macht?

Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter motiviert?

Ich haben mir viele Gedanken über die Arbeitsprozesse gemacht und wen ich wo sehe. Ich habe mir vorgestellt, wie sich das anfühlt und dann habe ich die Leute angesprochen und ihnen nach und nach mehr Verantwortung übertragen. Meine Mitarbeiter haben ihren eigenen Verantwortungsbereich, den sie eigenständig bespielen. Wenn sie dabei an die Grenzen dieses Bereiches stoßen, dann kommen sie zu mir und wir sprechen darüber. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Ich habe auch schon Geld dadurch verloren. Aber das ist der Preis meiner Unternehmenskultur – wenn Mitarbeiter sich entwickeln sollen, dann brauchen sie solche Freiräume.

Wie sieht ein Tagesablauf bei Ihnen aus?

Ich bin morgens nur kurz in der Firma, um alle Menschen zu sehen. Denn ich arbeite tagsüber, wo ich möchte. Ich habe auch gar kein Büro mehr. Besonders für den Chef ändert sich viel durch Digitalisierung – ich mache meine Arbeit dann, wann es mir passt. Manchmal auch erst abends. Die Jüngeren sagen: Du bist der geilste Chef, den ich je hatte. Aber das will ich gar nicht hören. Was ich hören will: Bei Dir bekomme ich die Freiheit das zu sein, was ich wirklich bin. Das ist meine Lebensphilosophie. Mit dem Führungsstil, den mein Vater hatte - Zuckerbrot und Peitsche - würde er heute brutal gegen die Wand fahren.

Was haben Sie vor allem daraus gelernt?

Social-Media-Marketing ist ein echtes Gottesgeschenk. Wenn wir das damals nicht so gemacht hätte, wären wir heute pleite, da bin ich mir sicher. In unserer Branche gibt es einen harten Preiskampf. Das hätte uns dicht an den Existenzrand geprügelt. Heute weiß ich: Nicht der Preis ist entscheidend, sondern das Befriedigen von Bedürfnissen.

Leisten Sie Pionierarbeit?

Absolut. Und ich bin da auch sehr stolz drauf.

Werden Sie auch kritisiert für das, was sie tun?

Auch das, ja. Aber das sind Neider. Die sehen, wie stark ich als Unternehmer da stehe. Auf Facebook sind wir mal beleidigt worden: „Schaut Euch diesen Opferhaufen an!“, stand da. Das habe ich sacken lassen, dann habe ich einen Artikel dazu geschrieben, wie man mit Kritik im Internet umgeht – dafür habe ich viel Rückmeldung und Lob bekommen. Man muss lernen, das abschätzen zu können: Wo muss ich schweigen und wo reagiere ich darauf?

Und wo geht es in Zukunft hin?

Der Vertrieb wird sich maximal verändern. Für uns heißt das: Der Großhandel, wo wir unsere Farben einkaufen, wird sich verändern. Den klassischen Vertrieb wird es in Zukunft nicht mehr geben. Gerade Amazon wird da neue Maßstäbe setzen und die Dienstleistungsfelder neu sortieren. Das wird zu einer stärkeren Vernetzung der Handwerker untereinander führen, notgedrungen, um sich überhaupt noch gegen Amazon durchsetzen zu können. Außerdem wird alles um uns herum schon bald sprachgesteuert sein. Wir werden zu Alexa sagen: „Ich will streichen, empfiehl mir jemanden.“ So werden wir in Zukunft Aufträge erteilen – und wer dann nicht im Netz stattfindet, ist nicht existent. Vor allem aber müssen wir uns neu erfinden: Was kann der Maler über die Dienstleistung hinaus – was kann er mehr als „nur“ Wände streichen? Die Antwort auf diese Frage zu finden wird entscheidend sein.

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