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Passagiere am Flughafen Düsseldorf (am 6. August 2022)

© dpa/Robert Pfeil

Exklusiv

Luftfahrtbranche rechnet mit teureren Tickets: „Wenn die Kosten steigen, steigen auch die Preise“

Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Luftverkehrswirtschaft, über die Lage im Herbst, gestrichene Flüge und Entschädigungen.

Für viele Reisende war der Flug in den Urlaub in diesem Sommer kein Vergnügen. Tausende Flüge fielen aus, an den Airports bildete sich lange Schlangen. Die Fluganbieter sorgen sich, weil Bundesverbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) droht, die Vorkasse abzuschaffen.

Was ist in der Flugbranche los, wie schlimm sind die Missstände und wie lange warten Kunden auf ihre Entschädigung? Fragen an Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).

Der 63-Jährige ist seit dem 1. Juli 2022 in dieser Position, zuvor war er beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, von 2009 bis 2011 war er Vorstandsbevollmächtigter bei Air Berlin.

Verglichen mit dem Vorcoronajahr 2019 liegt das Flugangebot im Sommer dieses Jahres nur bei 75 Prozent. Dennoch haben die Airlines Tausende Flüge abgesagt. Warum schaffen sie es nicht, wenigstens die 75 Prozent zu 100 Prozent zu bedienen?
Mit Corona ist der Luftverkehr nicht mehr so planbar wie wir es über Jahrzehnte gewohnt waren. Wir hatten in den vergangenen zweieinhalb Jahren ein ständiges Auf und Ab an Reisewarnungen und Reisebeschränkungen. Heute wurden Zielländer mit Beschränkungen belegt, dann wurden diese kurzfristig wieder aufgehoben – und das wiederholte sich mehrmals und weltweit. Airlines müssen ihre Flugpläne aber Monate im Voraus anmelden.

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Die Flugpläne für den Winter 2021/2022 mussten im Sommer 2021 angemeldet werden. Damals sah es ganz gut aus. Viele Menschen waren geimpft. Und die Nachfrage stieg an. Die Fluggesellschaften haben entsprechend viele Flüge für den Winterflugplan angemeldet. Plötzlich kam Omikron, und es gab wieder massive Reisewarnungen bis weit in das Jahr 2022 hinein. Gegenüber der Planung brach alles ein. Das war die Ausgangssituation am Jahresanfang, als die Airlines ihre Flüge für diesen Sommer final festlegen mussten. Wie treffgenau können Sie dann in einer solchen Lage Flüge, Personal und Dienstleistungen planen?

Aber seit dem Jahresanfang haben die Menschen doch schon wieder Reisen gebucht.
Nein, während der Pandemie haben die Kunden ihr Buchungsverhalten verändert und sehr kurzfristig gebucht. Erst nach der recht kurzfristigen Aufhebung der Reisewarnungen Ende März stieg die Nachfrage und dann allerdings sprunghaft. Und dieser enorme Anstieg ist dann auf Engpässe beim Personal und im Luftraum gestoßen. Das hat die Sache erschwert. Der Flugverkehr hat dann sein Qualitätsversprechen nicht einlösen können.

Wie kann man Flüge verkaufen, wenn man nicht das Personal hat, sie durchzuführen?
Sie dürfen nicht übersehen, dass der allergrößte Teil der Flüge stattfindet. Der Sommerflugplan hat 830.000 Flüge von Deutschland aus, 95 bis 98 Prozent davon werden durchgeführt werden. Das ist für alle, deren Flug annulliert wird, trotzdem sehr ärgerlich. Aber die Engpässe, auf die das Flugangebot dann ab April stieß, waren in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar.

Matthias von Randow, BDL-Hauptgeschäftsführer
Matthias von Randow, BDL-Hauptgeschäftsführer

© BDL

Welche Engpässe?
Zunächst mal Engpässe im Luftraum: Wegen des Kriegs ist der Luftraum über der Ukraine und Russland gesperrt, Flüge werden über den Westen, vor allem über Deutschland, umgeleitet. Und bis zum Sommer musste der deutsche Luftraum auch noch Flüge aus Frankreich übernehmen, weil in einem wichtigen französischen Flugsicherungskontrollbereich die Technik erneuert wurde. Was wir auch nicht vorhersehen konnten waren die erheblichen Personalengpässe durch enorm hohe Krankenstände. Bei einer Reihe relevanter Bereiche des Bodenpersonals liegen sie über 30 Prozent. Das gab es noch nie. Das erschwert eine zuverlässige Einsatzplanung ganz massiv.

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Warum melden sich die Leute krank? Sind sie überlastet?
Da die Arbeitnehmer - außer bei Corona – ihrem Arbeitgeber ja nicht mitteilen müssen, warum sie sich krankmelden, wissen wir den Grund ihrer Krankmeldung nicht.

Viele Beschäftigte haben sich in der Coronazeit neue Jobs gesucht, die vielleicht besser bezahlt sind.
Auch wenn die Arbeit im Luftverkehr attraktiv ist und die Arbeitsbedingungen tariflich abgesichert sind, ist zutreffend, dass in den zweieinhalb Corona-Jahren, die für unsere Branche viel Unsicherheit gebracht haben, viele Mitarbeiter in Branchen abgewandert sind, die damals geboomt haben, etwa die Logistik. Hinzu kommt, dass wir derzeit Vollbeschäftigung in Deutschland haben. Personal zu rekrutieren, ist nicht leicht. Das ist nicht nur eine Frage der Bezahlung.

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Wie läuft die Personalsuche?
Auf jeden Fall auch international. Aber die Freizügigkeit innerhalb der EU reicht nicht. Wir brauchen auch Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten.

Bei den türkischen Gastarbeitern, die an den Flughäfen aushelfen sollten, hat das nicht funktioniert. Es ist gerade einmal ein Zehntel gekommen.
Auch die wenigen, die kommen, helfen. Aber natürlich zeigt genau das Beispiel mit der Türkei das grundsätzliche Problem, Menschen aus Nicht-EU-Staaten zu beschäftigen. Bei den Mitarbeitern an den Flughäfen gab es zwar nach langem Hin und Her eine Ausnahmegenehmigung, aber die war mit so vielen Auflagen wie etwa Befristungen verbunden, dass viele gar nicht kommen wollten. Mit solchem regulativen Flickwerk können die strukturellen Engpässe nicht überwunden werden. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft brauchen wir schon aus demografischen Gründen eine sehr viel liberalere Einwanderungspolitik. Es ist gut, dass sich die Koalition vorgenommen hat, Einwanderung zu erleichtern.

Aber das kann dauern. Woher sollen die neuen Leute stattdessen kommen?
Unsere Branche engagiert sich dafür, Menschen aus europäischen Ländern zu gewinnen, in denen noch deutlich höhere Arbeitslosigkeit herrscht. Spanien hat etwa eine Arbeitslosenquote im zweistelligen Bereich, vor allem junge Leute suchen einen Job. Das ist eine Chance.

Kofferchaos: Viele Reisende wussten nicht, wo ihr Koffer geblieben ist.
Kofferchaos: Viele Reisende wussten nicht, wo ihr Koffer geblieben ist.

© dpa/Jonas Walzberg

Vielleicht hätten die Airlines nicht so viel Personal abbauen sollen.
Es mag sein, dass in der Krise, deren Dauer und Tiefe nicht vorhersehbar war, an der einen oder anderen Stelle zu viel abgebaut wurde. Aber die problematischsten Personalengpässe in diesem Sommer gibt es bei der Gepäckabfertigung, den Sicherheitskontrollen und beim Check-In. Und in diesen Bereichen sind gar nicht so viele Arbeitsplätze abgebaut worden. Hier machen uns vor allem die extrem hohen Krankstände zu schaffen.

Wie eng ist die Kommunikation zwischen Airports und Airlines?
Alle Systempartner im Luftverkehr arbeiten eng zusammen: Fluggesellschaften, Flughafenbetreiber, Bodenverkehrsdienstleister und auch die Polizeibehörden, die ja die Sicherheitskontrollen organisieren. Wenn die Lufthansa etwa in Frankfurt Flüge annulliert, um die Abläufe zu entzerren, dann tut sie das in enger Kooperation mit dem Flughafen. Und bei den Annullierungen, die zur Stabilisierung des Flugbetriebs notwendig wurden, hat sie vor allem innerdeutsche Verbindungen gestrichen, weil die Menschen dort alternative Reisemöglichkeiten haben.

Entschädigungsansprüche der Reisenden treffen aber nicht die überlasteten Flughäfen, sondern ausschließlich die Fluggesellschaften.
Der Kunde hat ja mit der Airline eine Vertragsbeziehung. Und er hat das verbriefte Recht, sich den Flugpreis erstatten zu lassen oder umgebucht zu werden, wenn ein Flug storniert wird. Unter bestimmten Voraussetzungen haben Kunden zusätzlich Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Alle diese Ansprüche werden auch erfüllt.

Das Geld muss innerhalb von sieben Tagen gezahlt werden. Das klappt aber oft nicht.
Das stimmt nicht. Es mag mal Einzelfälle geben, wo etwas nicht sofort funktioniert. Aber in der Regel klappt das reibungslos.

Am Boden: Die Lufthansa hat für diesen Sommer rund 6000 Flüge abgesagt.
Am Boden: Die Lufthansa hat für diesen Sommer rund 6000 Flüge abgesagt.

© dpa/Patrick Pleul

Internetportale wie Flightright haben aber andere Erkenntnisse. Sie sagen, dass etwa die Lufthansa oft erst nach Klageandrohung zahlt.
Man muss zwischen der Erstattung des Ticketpreises und der Ausgleichszahlung unterscheiden. Unsere deutschen Airlines erstatten den Ticketpreis innerhalb der vorgeschriebenen Frist. Bei den Ausgleichsleistungen muss zunächst einiges geprüft werden, zum Beispiel warum der Flug abgesagt worden ist. Es gibt ja Fälle, in denen die Fluggesellschaft nicht zahlen muss. Das ist komplexer und kann auch mal länger dauern. Falls ein solcher Fall strittig bleibt, können Kunden die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr kostenlos um Hilfe bitten. Und dort werden alle diese Fälle rasch geklärt.

Aber auch bei der Schlichtungsstelle häufen sich die Beschwerden der Kunden über die Airlines. Das spricht gegen Ihre Aussage, dass die Erstattungen reibungslos funktionieren.
Tut es nicht. Die Erstattung funktioniert. Bei der Ausgleichsleistung kann es strittige Fälle geben, deren Klärung auch mal einige Wochen dauern kann. Dass die Zahl der Beschwerden steigt, ist nicht verwunderlich. Wir hatten im Zuge von Corona so viel Unregelmäßigkeiten im weltweiten Flugbetrieb, dass sich natürlich auch Annullierungen und Verspätungen gehäuft haben, das schlägt sich im Anstieg der Beschwerden nieder. Aber wichtig ist doch, dass alle Fälle geklärt werden.

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Bundesverbraucherministerin Steffi Lemke droht mit einem Verbot der Vorkasse, wenn die Ticketerstattung und die Zahlung der Ausgleichsleistungen nicht besser laufen.

Dafür gibt es keinen Grund. Die Erstattung funktioniert. Bei den Ausgleichsleistungen haben wir es möglich gemacht, dass der Kunde seinen Anspruch automatisch einfordern kann. Die Kunden werden über ihre Ansprüche informiert und können sie sehr leicht online geltend machen.

Es gibt Forderungen etwa von den Grünen, wonach die Fluggesellschaften unaufgefordert zahlen sollen.
Kunden haben bei Erstattungen, Umbuchungen und Ausgleichleistungen klar geregelte Rechtsansprüche, die auch erfüllt werden. Aber der Kunde muss den Anspruch schon über einen Antrag geltend machen. Das haben wir sehr vereinfacht, und das ist auch nicht zu viel verlangt.

Einen teuren Fernseher muss ich erst bezahlen, wenn ich ihn kaufe und mitnehme. Bei Pauschalreisen leiste ich eine Anzahlung und zahle den Rest später. Warum soll ich bei Flügen alles im Voraus zahlen?
Kunden müssen nicht früh buchen. Aber sehr viele tun das, weil sie dann günstige Angebote nutzen können. Wer langfristig bucht, zahlt in der Regel weniger. Die Fluggesellschaft bekommt durch die Vorkasse Planungssicherheit und belohnt Frühbucher im Gegenzug mit günstigen Preisen. Ein Flug wird Monate im Voraus angeboten. Mit dem Abflugdatum verliert er seinen Wert, das ist anders als beim Fernseher. Und der Kunde hat kein Risiko. Falls der Flug ausfällt, bekommt er sein Geld zurück.

Was würde passieren, wenn die Vorkasse verboten würde?
Wenn das nur in Deutschland passieren würde, hätten unsere Fluggesellschaften enorme Wettbewerbsnachteile. Zudem würden Flüge teurer, weil die Planbarkeit wegfiele - denn die Airline muss einkalkulieren, dass der gebuchte Sitzplatz unter Umständen frei bleibt und nicht mehr verkauft werden kann. Die Planungssicherheit durch die Vorkasse sorgt außerdem dafür, dass die Maschinen möglichst gut ausgelastet sind. Das ist auch unter Klimagesichtspunkten sinnvoll.

Kerosin wird teurer, die Personalkosten steigen. Werden jetzt auch die Tickets teurer?
Wenn die Kosten steigen, steigen auch die Preise. Der Kerosinpreis hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Das Kerosin macht ungefähr ein Drittel der Flugkosten aus. Auch die Personalkosten gehen in die Höhe. Das hat Konsequenzen bei den Preisen.

Der deutschen Wirtschaft droht eine Rezession. Was heißt das für den Luftverkehr?
Auch der Luftverkehr folgt den wirtschaftlichen Konjunkturentwicklungen. Aber grundsätzlich steigt die Nachfrage nach Luftverkehr in unserer immer stärker miteinander vernetzten Welt. Wir stellen so etwas wie das analoge World-Wide-Web dar. Immer mehr Länder partizipieren glücklicherweise an der Wohlstandsentwicklung in der Welt. Und wir bringen Menschen zusammen und sorgen für den internationalen Transport wertvoller Güter.

Wir hatten zwar während Corona einen völligen Zusammenbruch des Luftverkehrs. Jetzt, wo die Reisewarnungen aufgehoben sind, wollen die Menschen fliegen. Die Luftfracht hat übrigens selbst während Corona geboomt. Aus allen Krisen, sei es 9/11 oder die Finanzmarktkrise 2008/2009, hat sich der Luftverkehr immer erholt. Allerdings sehen wir Verschiebungen nach zweieinhalb Jahren Corona. Innerdeutsche Strecken werden jetzt häufiger mit der Bahn oder mit dem eigenen Auto zurückgelegt.

Wie planen die Airlines für den Winter? Die Menschen sollen ja ihr Geld zusammenhalten und sparen.
Für den Winter werden generell weniger Flüge angemeldet als für den Sommer. Sollte es nicht wieder Reisewarnungen geben, gehe ich davon aus, dass sich die Situation im Herbst stabilisiert und weniger Flüge abgesagt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Luftüberwachung in Frankreich inzwischen wieder normal arbeitet.

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