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In Ostdeutschland gab es vor der Einführung des Mindestlohns teilweise Stundenverdienste für Friseure von vier Euro.

© dpa

Lohnuntergrenze: Mindestlohn soll 2019 leicht steigen

Die Lohnuntergrenze erhöht sich voraussichtlich 2019 von 8,84 Euro auf 9,19 Euro. Die Mindestlohnkommission entscheidet darüber im Juni.

Wenn es allein nach der Statistik geht, dann steigt der Mindestlohn im kommenden Jahr auf 9,19 Euro. „Im Regelfall“, so heißt es in der Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission, die über die Erhöhung entscheidet, steigt der Stundensatz so wie der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes. Und der hat sich in den vergangenen zwei Jahren so entwickelt, dass sich der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro auf 9,19 Euro zum Januar 2019 erhöhen müsste. Es sei denn, die von Arbeitgebern und Gewerkschaftern paritätisch besetzte Kommission kommt aufgrund der starken Konjunktur zu einer anderen Entscheidung. Das hätten jedenfalls die Gewerkschaften gern.

Stefan Körzell sitzt für den DGB in der Mindestlohnkommission. „Unter anderem“, so sagt Körzell auf Anfrage, ziehe die Kommission den Tarifindex in Betracht. Darüber hinaus sei „die allgemeine Entwicklung der vom Mindestlohn betroffenen Branchen und Beschäftigten zu berücksichtigen“. Und weiter: „Langfristig muss der Mindestlohn existenzsichernd sein.“ Dazu müsste die Kommission aber deutlich was drauflegen, denn von den derzeit rund 1500 Euro brutto im Monat, die ein Stundenlohn von 8,84 Euro ergibt, kann kaum jemand leben. Und der Mindestlohn im reichen Deutschland, darauf weisen Gewerkschaften immer wieder hin, liegt gut 50 Cent unter der Lohnuntergrenze in den westeuropäischen EU-Staaten.

Alle zwei Jahre wird der Mindestlohn erhöht

„Wir brauchen beim Mindestlohn keinen öffentlichen Überbietungswettbewerb“, hält Steffen Kampeter dagegen, der als Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände in der Mindestlohnkommission sitzt. Wer die Orientierung am Tarifindex in Frage stelle und „die Mindestlöhne durch eine öffentliche Debatte politisiert, gefährdet Spielregeln“, sagte Kampeter dem Tagesspiegel.

Selbst bei den Arbeitgebern wird der Erfolg des gesetzlichen Mindestlohns, den die große Koalition zum 1. Januar 2015 eingeführt hatte, nicht mehr bestritten. Es begann mit 8,50 Euro, und zum 2017 gab es die erste Erhöhung auf 8,84 Euro. Damals wurde die Vorgabe des Tarifindex 1:1 umgesetzt. Das wird vermutlich auch so bleiben, denn eine Abweichung vom Index ist nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit in der Kommission möglich. Die Arbeitgeber müssten also zustimmen, wenn man auf zehn Euro gehen möchte. Das ist eine Untergrenze, die in den vier größten Wirtschaftsbereichen heute schon erreicht beziehungsweise überschritten wird: In der Metallindustrie, im Handel, auf dem Bau und im öffentlichen Dienst liegen die tariflichen Mindestlöhne über zehn Euro.

Tarif wird immer weniger gezahlt

Im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Zeitarbeit, im Nahverkehr, bei Bäckern und Friseuren liegen die Stundenlöhne häufig unter neun Euro oder genau bei 8,84 Euro. „Immerhin hat der Mindestlohn „zu einer deutlichen Erhöhung tariflicher Niedriglöhne beigetragen“, hieß es kürzlich bei einer Tagung in Berlin zu den Effekten des gesetzlichen Mindestlohns. Das betrifft vor allem Branchen mit schlechter Bezahlung: Friseurhandwerk, Schlachthöfe und Gaststätten. In ostdeutschen Frisiersalons waren bis 2013 Stundenlöhne von vier Euro keine Seltenheit. Dann kam der gesetzliche Mindestlohn in Sicht – und die Arbeitgeber vereinbarten mit der Gewerkschaft einen tariflichen Stufenplan Richtung 8,50 Euro für Friseure. Aber wer zahlt überhaupt Tarif?

Besonders schlecht bezahlt sind Floristen

„Wir haben zwar einen Tarifvertrag, aber die Menschen haben nichts davon“, beschrieb während der Tagung ein Mitarbeiter der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) die Verhältnisse in der Branche. Maximal zehn Prozent der Betriebe – in Berlin gibt es mehr als 10 000 Hotels, Restaurants, Cafés und Kneipen – würden ihr Personal nach Tarif zahlen. In der Systemgastronomie, bei McDonald’s, Vapiano, Nordsee oder Starbucks, ist der Anteil deutlich höher. Hier wollten die Arbeitgeber sich vom Mindestlohn absetzen und vereinbarten deshalb mit der Gewerkschaft einen tariflichen Mindestlohn, der leicht über dem gesetzlichen liegt – zurzeit sind es neun Euro und 2019 dann 9,25 Euro.

„Schon allein die Ankündigung eines gesetzlichen Mindestlohns führte zu Aktivitäten der Arbeitgeber“, erinnerte sich Harald Schaun von der IG BAU. So stieg der tarifliche Mindestlohn für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Für die Floristen im Osten bedeuteten die 8,50 Euro zum 1.1.2015 eine Lohnerhöhung um etwa 30 Prozent. In der Fleischwirtschaft stiegen zwischen 2014 und 2017 die Tariflöhne im Osten um 16 Prozent und im Westen um 9,3 Prozent.

Kontrollen gibt es kaum

Millionen profitieren vom Mindestlohn – und Millionen bekommen ihn nicht. Mit Tricksereien bei der Arbeitszeit, unbezahlter Mehrarbeit und Lohnabzug bei „Schlechtleistung“ versuchen Arbeitgeber, ihre Arbeitnehmer unter die 8,84 Euro zu drücken. Das DIW veranschlagt die Zahl der so betrogenen Beschäftigten auf 1,8 Millionen, das gewerkschaftliche WSI sogar auf 2,7 Millionen.

Die Gefahr, erwischt zu werden, ist eher gering. Nach Angaben des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen wurden hierzulande 2006 noch mehr als 80 000 Arbeitgeber vom Zoll kontrolliert, 2015 und 2016, in den ersten Jahren nach Einführung des Mindestlohns, gab es jeweils nur gut 40 000 Kontrollen. Und von den 7211 Planstellen beim Zoll waren 2017 nur 6268 besetzt. Hinzu kommt: Die Arbeitnehmer kennen häufig ihre Ansprüche nicht, oder sie trauen sich nicht, die vor Gericht durchzusetzen. Den Mindestlohn gibt es dann nur auf dem Papier.

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