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Krisenprofiteur - das trifft auf Lieferando als Konzern zu. Aber auch auf seine Fahrer?

© imago images / Ralph Peters

Lieferando-Chefin im Interview: „Corona hat uns um ein Jahr nach vorne gebracht“

Der Essenslieferdienst gehört zu den Krisenprofiteuren. Deutschland-Chefin Katharina Hauke über den Boom, die Konkurrenz und faire Arbeit.

Frau Hauke, der zweite Lockdown trifft Gastronomen erneut hart. Wie kommt die Branche aus Ihrer Sicht durch diese Zeit?
Restaurants, die sich schon vor Corona mit Lieferung und Abholung beschäftigt haben, kommen besser durch die Krise. Schwieriger war es für die, die sich vorher noch nicht damit beschäftigt haben. Aber auch wir sind auf diese zweite Welle besser vorbereitet. Unsere Arbeit von Zuhause läuft besser. Wir erleben wieder einen Ansturm und sehen, dass einige Restaurants, die neu ins Liefergeschäft einsteigen, so ihren Betrieb retten können.

Welche Restaurants sprechen Sie mit Ihrem Angebot vorrangig an?
Wir sprechen natürlich auch große Ketten an. Aber vorrangig sind es kleine Betriebe, häufig Familienunternehmen. Wir verstehen uns da als digitalen Berater: Wie starte ich ein Liefergeschäft? Wie baue ich eine Website auf? Wie mache ich Marketing? Wenn Sie ein Restaurant in einem kleinen Dorf haben, können Sie Flyer drucken oder Mails rausschicken. Das erfordert viel Aufwand mit überschaubarem Ertrag. Mit Lieferando können Sie mehr Sichtbarkeit generieren. Im Durchschnitt vermitteln wir einem Restaurant 100.000 Euro Umsatz pro Jahr.

Wie viele Restaurants haben Sie derzeit gelistet? Wie viele Restaurants sind im zweiten Lockdown dazugekommen?
Aktuell haben wir mehr als 20.000 Restaurants auf Lieferando.de. Insgesamt hat uns Corona mit Blick auf die Restaurant-Anzahl um ein Jahr nach vorne gebracht. Viele Gastronomen nutzen die Nachfrage in unserer App als ergänzendes Standbein.  

Wie hat sich die Zahl der Bestellungen entwickelt?
Im dritten Quartal sind wir hier um 38 Prozent gewachsen. Monatlich vermitteln wir derzeit rund 10  Millionen Bestellungen an Restaurants in Deutschland.

Sind die Restaurants, die im ersten Lockdown auf Ihre Plattform kamen, auch im Sommer geblieben?
Ja, fast alle Gastronomen bleiben und bauen ihr Liefergeschäft auf Lieferando weiter aus. Und Ich würde auch empfehlen, zumindest bis es im Sommer wieder wärmer wird weiter auf Lieferung und Abholung zu setzen.

Was tun Sie, um die Restaurants zu halten?
Es geht oft um Kleinigkeiten. Zum Beispiel: Bin ich in allen Postleitzahlen mit meinem Angebot gut gelistet. Oft generieren Stadtviertel, die man bislang nicht beliefert hat, viele Zusatzbestellungen. Auch bei den Menüs: Nicht jedes Essen lässt sich gut liefern. Und passt das Angebot zum anvisierten Publikum? Unser Team ist erfahren und berät die Restaurants auch in solchen Detailfragen. Zudem kaufen wir nachhaltige Verpackungsmaterialien in ganz anderen Größenordnungen ein, vergünstigen Restaurants deren Beschaffung.

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Im November boten Sie Sonderkonditionen, sodass neu gelistete Restaurants Ihre Dienste vier Wochen lang kostenlos nutzen können. Ansonsten erheben Sie eine Gebühr von bis zu 30 Prozent des Bonus. Das ist häufig die gesamte Marge eines Gastronomens. Können Sie verstehen, dass Ihr Modell nicht für alle Restaurants attraktiv ist?
Ja. Unternehmer schauen auf ihre Kosten. Wenn das Restaurant selbst liefert, nehmen wir 13 Prozent für eine generierte Bestellung. Wenn wir ausliefern, beträgt die Provision in der Tat insgesamt 30 Prozent. Doch der Preis relativiert sich, wenn man sich den Nutzen und Aufwand vergegenwärtigt. Wir erschließen den Gastronomen schnell und einfach große Bestellvolumen und erweitern ihren Kundenstamm. Die Auftragsannahme mittels unserer Terminals ist weit effizienter als durch Mitarbeiter am Telefon. Auch der Aufbau und Betrieb eines Onlineshops mit integrierter Zahlungsabwicklung kostet Geld, verlangt Know-How und bindet Ressourcen. Und wie finden Kunden Ihr Angebot? Dafür müssten Sie beispielsweise Flyer drucken oder ein Online-Marketing aufbauen.

Wie viel Prozent Ihrer Partner nehmen denn Ihren Lieferdienst in Anspruch und zahlen damit die vollen 30 Prozent?
90 Prozent der Bestellungen liefern Restaurants selbst aus, zahlen also nur 13 Prozent.

Wie hoch ist der Anteil bei den neuen Partnern, die erst durch Corona zu Ihnen gekommen sind?
Wir bieten die Auslieferung aktuell in 39 Städten an. Meist natürlich in Ballungszentren, aber eben längst nicht nur. Wir merken jetzt in der Lockdown-Phase, dass die Restaurants kreativ mit ihrem Personal werden. Denn ist der Betrieb geschlossen, gibt es ja Mitarbeiter, die man anderweitig einsetzen kann.

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Wurde Ihre Lieferflotte jetzt ausgebaut?
Unsere Schwestergesellschaft für Logistik stellt gerade eine vierstellige Zahl von Fahrerinnen und Fahrern ein. An einem regnerischen Sonntagabend kann die Nachfrage so hoch sein, dass wir die Auslieferung in bestimmten Postleitzahlengebieten vorübergehend pausieren müssen. Daher sucht sie weitere Fahrer, stellt fest und sozialversicherungspflichtig an.

Ihre Flotte ist rund 5000 Fahrer stark und Sie stellen eine vierstellige Zahl ein – wächst die Flotte massiv oder ist die Fluktuation so hoch?
In der Mitte liegt die Wahrheit. Schauen Sie erstmal allein auf unser Marktplatzgeschäft. Just Eat Takeaway beschäftigt mittlerweile 10.000 Mitarbeiter – fünfmal so viele wie noch vor zwei Jahren. Das zeigt unser Wachstum in allen Bereichen. Auch bei den Fahrern. Es ist aber auch wahr, dass viele den Job neben dem Studium oder saisonal machen. Eine gewisse Rochade ist üblich, in der Branche und auch bei uns. Wobei klar ist: Erfahrene Fahrer sind von Vorteil für unseren Service.  

Die Arbeitsbedingungen für Fahrer bei Lieferando werden dennoch häufig kritisiert. Im November mussten Gerichte in Köln und Frankfurt Sie dazu bringen, Mitarbeiterlisten herauszugeben, weil sonst kein Betriebsrat gegründet werden kann. Warum hatten Sie die Listen nicht herausgerückt?
Das Thema liegt nicht in meinem Verantwortungsbereich, da diese Fragen bei unserer Logistikschwestergesellschaft liegen.

Katharina Hauke, gebürtige Wienerin, leitet das Deutschland-Geschäft von Lieferando seit diesem Sommer. Die Plattform gehört zum niederländischen Konzern Just Eat Takeaway.
Katharina Hauke, gebürtige Wienerin, leitet das Deutschland-Geschäft von Lieferando seit diesem Sommer. Die Plattform gehört zum niederländischen Konzern Just Eat Takeaway.

© Just Eat Takeaway

Arbeitsminister Heil hat gerade Vorschläge präsentiert, um Plattformarbeit neu zu regeln. Beispielsweise soll die Betriebsratsgründung erleichtert werden. Was würde die Umsetzung der Punkte für Lieferando bedeuten?
Wir sind stolz, dass wir nicht in der so genannten Gig-Economy mitspielen und begrüßen die Initiative. Lieferando zeigt, dass faire Löhne und Anstellungsverhältnisse in der Branche möglich sind. Unsere Schwestergesellschaft für Logistik stellt alle Fahrer regulär an, versichert sie umfassend. Neben einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahltem Urlaub erhalten alle Kurieren einen festen Stundenbasislohn von 10,50 Euro im deutschlandweiten Durchschnitt. Inklusive variabler Komponenten verdienen sie durchschnittlich mehr als 12 Euro pro Stunde. Inklusive digital gezahltem Trinkgeld sogar bis zu 16,50 Euro. Auch gegen die Folgen von Arbeit- und Wegeunfällen sowie Berufskrankheiten sind die Fahrer abgesichert. Der Versicherungsschutz umfasst eine Krankenversicherung, eine Arbeitsunfallversicherung inklusive Ausgleich bei Lohnausfall.

Häufig hapert es ja an ganz konkreten Dingen. Zum Beispiel fanden einige Fahrer jetzt im Lockdown keinen Ort, um während der Arbeit auf Toilette zu gehen, weil die Restaurants sie auch nicht gehen lassen durften.
In kaum einer Sparte der Transportlogistik ist der Zugang zu Waschräumen einfacher. Wir haben mehr als 20.000 Partner-Restaurants und die Fahrer sind im Schnitt zwei Mal pro Stunde in einem Restaurant. Natürlich bitten wir die Betreiber um Zugang für die Fahrer, unter Einhaltung aller Hygieneregeln. Alleine in Berlin hat uns das jedes zweite Restaurant, für das Lieferando ausliefert, sogar explizit zugesagt. Zudem bietet unsere Logistik-Schwestergesellschaft Waschräume in ihren Logistik-Hubs, und in den Städten gibt es natürlich auch öffentliche WCs. In der Praxis funktioniert das. Ich verstehe aber die Emotion im Einzelfall.

Die Konkurrenz wie Delivery Hero setzt verstärkt darauf, Dinge des täglichen Bedarfs neben Essen auszuliefern. Denken sie auch darüber nach?
Man sollte immer Alternativen prüfen und das machen wir auch. Wir betreiben zum Beispiel mit Shell ein Pilotprojekt zur  Lieferung abgepackter Waren. Inwieweit das ein Zukunftsgeschäft ist, werten wir gerade aus.

Ist das wegen der kleinerer Fahrerflotten nicht schwierig?
Grundsätzlich haben wir die Kapazität dafür. In Zeiten von Corona geht es uns natürlich vorrangig darum, dass wir unsere Restaurantpartner unterstützen, sie auf unserer Plattform halten und dem Andrang neuer Restaurants gerecht werden. In Zeiten geschlossener Restaurants konzentrieren wir uns natürlich darauf, diese zu unterstützen, phasenweise ja sogar mit einer kostenlosen Vermittlung und Auslieferung.

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Nach der Übernahme von Foodora kritisierten Nutzer, dass beliebte Restaurants nicht mehr dabei waren. Warum?
Nach dem Zusammenschluss im April 2019 mag das so gewesen sein. Mittlerweile finden Sie fast alle diese Restaurants auch auf lieferando.de. Das beliebteste Gericht ist übrigens nach wie vor Pizza, dann kommt Burger, dann Asiatisch. Aber auch vegane Gerichte oder Poke Bowls werden immer beliebter und die Auswahl wächst.

Werben sie auch gezielt um angesagte Restaurants und senken dafür die Provision?
Wir werben nicht mit besonderen Preisen. Aber wir beraten vermehrt auch höherpreisige Restaurants, was sie von Auslieferungen haben. Bei Pizza liegt der Bestellwert im Schnitt bei 20 Euro. Das kriegen sie mit Schnitzel nicht hin. Doch die Zielgruppe für höherpreisige Speisen ist da. Daher beraten wir gerne, haben ein offenes Ohr auch für die Bedürfnisse auch von Sternerestaurants. Denn der Konsument hätte gern alles: vom erstklassigen Schnitzel bis hin zu Currywurst oder Döner.

Lieferando ist nicht mehr allein auf deutschen Straßen: Der finnische Lieferdienst Wolt expandiert stark.
Lieferando ist nicht mehr allein auf deutschen Straßen: Der finnische Lieferdienst Wolt expandiert stark.

© obs

Dabei haben sie mit Wolt jetzt auch einen neuen Konkurrenten. Wie wollen sie die Marktführerschaft sichern?
Wettbewerb ist gut, und letztlich entscheidet der Konsument. Grundsätzlich hilft uns jeder Online-Bestelldienst, den Menschen die Vorteile gegenüber der zu 80 Prozent gängigen Bestellung per Telefon aufzuzeigen. Man muss aber auch sagen, dass manche Anbieter ein reines Logistikgeschäft betreiben. Wer mit Radfahren Geld verdienen möchte, kann das bei Lieferando in Festanstellung. Inklusive Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, versichert und professionell ausgestattet. Zudem beraten wir Restaurants umfassend. Das sind klare Mehrwerte.

Bisher haben sie den deutschen Markt fast allein. Fürchten sie, dass irgendwann Uber Eats oder Amazon nochmal angreifen?
Ich habe keine Glaskugel und man sollte immer bescheiden bleiben, sich seiner Position nicht zu sicher sein. Wir sind ein führender Anbieter, aber wir sind mitnichten alleine: Unser größter Wettbewerber ist das Telefon: 80 Prozent der Deutschen bestellen Essen, die meisten davon per Telefon. Nur 15 Prozent machen es über uns. Und auch online bestellen viele Menschen direkt bei Lieferrestaurants und größeren Ketten. Und wir entwickeln aber auch neue Geschäftsfelder.

Woran denken Sie da?
Mit Takeaway Pay ermöglichen wir Unternehmen eine digitale Kantine für ihre Mitarbeiter. Nicht nur in Zeiten von Home Office und virtuellen Weihnachtsfeiern ist das ein innovativer Service. Die Firmen unterstützen ihre Mitarbeiter mit einem täglichen oder monatlichen Guthaben, und die Mitarbeiter können in einem Corona-sicheren Umfeld eine breite Auswahl an Speisen genießen. Wir haben so bereits virtuelle Veranstaltungen mit bis zu 2500 Teilnehmern gleichzeitig beliefert, werden den Service auch für unsere eigene digitale Weihnachtsfeier nutzen.

Katharina Hauke, 45, arbeitet seit 2016 bei Just Eat Takeaway. Seit Juni ist sie Chefin von Lieferando in Deutschland. Zuvor war sie in verschiedenen leitenden Positionen bei Immoscout24 beschäftigt.

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