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Die Auswahl im Supermarkt ist groß - und häufig auch günstig.

© dpa

Lebensmittelpreise als Politikum: Sind 20 Cent für 100 Gramm Hähnchenschenkel unanständig?

Am Montag müssen Edeka und Co. zum Rapport zur Kanzlerin. Es geht um Dumpingangebote für Nahrungsmittel. Der Handel steht am Pranger.

Der Altstar unter Deutschlands Komikern, Otto Waalkes, ist für flotte Sprüche bekannt. Doch wenn es um Scherze über Lebensmittelpreise geht, kennen die Bauern keinen Spaß mehr. Kürzlich blockierten Landwirte mit ihren Treckern die Zufahrt zum Zentrallager von Edeka im niedersächsischen Wiefelstede – aus Wut über die Plakatkampagne, mit der Deutschlands größter Lebensmittelhändler den 100. Geburtstag seiner Nord-Ost-Tochter feiert.

„Essen hat einen Preis verdient: den niedrigsten“, lässt die Edeka Tochter Minden-Hannover, zu der auch Berlin gehört, Waalkes sagen. Jetzt bemüht sich Edeka um Schadensbegrenzung. Es gehe nicht um Lebensmittel, gemeint sei vielmehr die Gemeinde „Essen“ im Landkreis Cloppenburg. Doch da war das Kind bereits in den Brunnen gefallen.

Seitdem Bauern zu Tausenden auf die Straße gehen, um mehr Wertschätzung für ihre Arbeit zu fordern, sind die Lebensmittelpreise zum Politikum geworden – und zwar auf höchster Ebene. An diesem Montag will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vertretern der vier größten Lebensmittelhändler Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) sowie Verbandsvertretern von Handel und Ernährungsindustrie über faire Lebensmittelpreise sprechen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Bundesagrarministerin Julia Klöckner (beide CDU) werden dabei sein. Wem ihre Sympathien gehören, hat die Landwirtschaftsministerin allerdings bereits vor dem Treffen klar gemacht: „David gegen Goliath, so fühlen sich aktuell Erzeuger, wenn sie mit dem Handel verhandeln – Augenhöhe ist nicht gegeben“, kritisiert Klöckner.

„Mit dauerhaften Dumpingangeboten für Nahrungsmittel setzt der Handel ein falsches, auch gefährliches Signal.“ Hähnchenschenkel für 20 Cent pro 100 Gramm, das sei „unanständig“, hatte Klöckner auch kürzlich im Tagesspiegel-Interview angeprangert.

Die Edeka-Kampagne mit Otto Waalkes löste viel Empörung aus.
Die Edeka-Kampagne mit Otto Waalkes löste viel Empörung aus.

© Heike Jahberg

Schulterschluss mit den Bauern

Seitdem die Bauern mit ihren Treckern Großstädte lahm legen, steht Klöckner unter Druck. Die Bauernmilliarde, die die große Koalition unlängst beschlossen hat, ist eine Reaktion auf die Demos. Mit der Preisdiskussion hat Klöckner nun ein weiteres Ventil gefunden, Druck von sich abzulenken und sich an die Seite der Bauern zu stellen.

„Lebensmittel dürfen nicht zu Schnäppchenpreisen verramscht werden“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied dem Tagesspiegel. Auch der Handel müsse seinen Teil dazu beitragen, dass höhere Standards im Stall oder auf dem Feld einen höheren Preis erfordern. Bei dem Treffen am Montag sind die Bauern allerdings nicht dabei.

Den Handel scheinen solche Appelle kalt zu lassen, im Gegenteil: Die Ketten unterbieten sich derzeit beim Preis. Als wollte der Discounter Klöckner Recht geben, wirbt Aldi aktuell für billige Hähnchenschenkel – die Zwei-Kilo-Packung kostet 3,99 Euro. „Man soll die Preise feiern, wenn sie fallen“, kalauert Edeka und setzt so in Berlin seine Preiswerbung ungebremst fort.

Ein Kilo Schweinehack gibt es jetzt für 4,44 Euro statt 6,99 Euro. Kaufland kontert mit „Angebotspreisen im freien Fall“. Und Lidl schickt Ballermann-Veteran Peter Wackel vor. „Scheiß drauf, Januar ist nur einmal im Jahr“, persifliert Wackel seinen eigenen „Malle-Hit“. Die Botschaft: Statt gesunde Neujahrsvorsätze zu beachten, soll man lieber Chips und Süßigkeiten des Discounters in sich hineinstopfen.

Der Grill kostet mehr als das Fleisch

Im Fokus der Sonderangebote steht immer wieder das Fleisch. Friedrich Ostendorff findet das unmoralisch. „Es ist ein Unterschied, ob wir über die Knopfproduktion sprechen oder über Lebensmittel“, kritisiert der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, der selber Bauer ist. „Der Grill kostet ein Vielfaches von dem, was draufliegt.“

Vor allem Hähnchen, Pute und Schwein werden zu Billigpreisen angeboten. „70 Prozent des Schweinefleisches werden über Aktionen verkauft. Es gibt wahnsinnige Rabattierungen“, ärgert sich Ostendorff.

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Die Rabatte werden auf dem Rücken der Tiere ausgetragen, kritisieren Tierschützer. Sauen werden in engen Käfigen gehalten, wenn sie besamt werden und werfen. Die mächtigen Tiere können sich weder umdrehen noch im Liegen ihre Beine ausstrecken. Das soll nach den aktuellen Plänen Klöckners noch 15 Jahre so weiter gehen. Auch die betäubungslose Ferkelkastration sollte eigentlich schon längst der Vergangenheit angehören, genauso wie das millionenfache Kükentöten.

Begründet wird der Aufschub mit dem Preis: Höhere Tierschutzanforderungen würden dazu führen, dass deutsche Brütereien oder Ferkelzüchter mit ihren Konkurrenten im EU-Ausland nicht mithalten könnten, gibt das Agrarministerium zu bedenken. Klöckner möchte stattdessen ein staatliches Tierschutzlabel einführen, das bessere Haltungsbedingungen kennzeichnet.

Soll man Sonderangebote verbieten?

„Unter der Produktion von Billigfleisch leiden Umwelt, Klima, Tiere und die Landwirtinnen und Landwirte“, kritisiert Stephanie Töwe von Greenpeace. Die Umweltschutzorganisation fordert den Handel auf, „auf Werbung für Fleisch zu Dumpingpreisen zu verzichten.“ Die großen Supermarktketten sollten vorangehen und stattdessen aktiv über Haltungsbedingungen, ökologische Folgen der Fleischerzeugung und die gesundheitlichen Risiken des Fleischkonsums aufklären, meint Töwe.

Beim Handel kann sie damit allerdings nicht punkten. „Sonderangebote gehören zur Preispolitik und damit zum 1x1 der Betriebswirtschaft“, sagte Friedhelm Dornseifer, Präsident des Bundesverbands des deutschen Lebensmittelhandels, dem Tagesspiegel.

Es müsse Unternehmen möglich sein, mit Angeboten den Absatz anzukurbeln und Kunden zu binden. „Natürlich kann man über die Höhe von Aktionspreisen anderer Auffassung sein. Aber wie will man allgemeingültig festlegen, was anständig ist und was nicht?“, fragt Dornseifer.

Wenig Geld für Lebensmittel

Im EU-weiten Vergleich geben die Bundesbürger allerdings vergleichsweise wenig Geld für Lebensmittel aus. Während die Miete immer mehr vom Einkommen aufzehrt, sinken die prozentualen Ausgaben für Lebensmittel. Und von dem, was die Verbraucher fürs Essen ausgeben, kommt immer weniger beim Bauern an, kritisiert Klöckner.

Waren es nach dem Krieg – umgerechnet – noch über 62 Cent, die von jedem Euro an die Landwirte geflossen ist, sind es heute nur noch 20,8 Cent. Die Agrarministerin macht den Handel für diese Entwicklung verantwortlich. Die großen Handelsunternehmen würden Bauern und Lebensmittelproduzenten mit ihrer Marktmacht zu Niedrigpreisen zwingen.

Diese Vier haben das Sagen

Tatsächlich dominieren vier große Anbieter den deutschen Lebensmittelhandel. Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe haben einen Marktanteil von mehr als 85 Prozent. „Wir stellen fest, dass die führenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels über eine starke Verhandlungsposition verfügen und diese auch gegenüber den Lieferanten einsetzen“, sagte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, dem Tagesspiegel.

„Dass hart verhandelt wird, ist für sich genommen nicht verboten, aber die Grenze zum Missbrauch darf eben nicht überschritten werden“. Die Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels dürften ihre Macht nicht dazu missbrauchen, die Konditionen einseitig zulasten der Erzeuger und Produzenten festsetzen.

Schärfere Gesetze

Agrarministerin Klöckner will den Handel mit schärferen Gesetzen zähmen. Bereits heute ist es Supermärkten gesetzlich untersagt, Waren unter Einstandspreis zu verkaufen. Diese Regelung will die CDU-Politikerin überprüfen. Besonders große Hoffnung setzt sie aber in die neue EU-Richtlinie über unfaire Handelspraktiken (UTP-Richtlinie), die schnell in deutsches Recht umgesetzt werden soll.

Heute kann der Handel nämlich einseitig Lieferbedingungen ändern, Aufträge auch bei verderblichen Waren kurzfristig stornieren oder Geld dafür verlangen, dass bestimmte Produkte ins Regal gestellt werden. Das soll verboten werden.

Den Grünen reicht das noch nicht. Auch Praktiken, die im Graubereich liegen, müssten vom Verbot der UTP-Linie erfasst werden, fordert die wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Bauern müssen sich zudem leichter zu Gemeinschaften zusammenschließen können, auch wenn das zu höheren Preisen führen sollte.

Das Verbot des Verkaufs unter Einstandpreis soll verschärft werden und gegen ein Verbot des Verkaufs unter Erzeugerpreisen ausgetauscht werden. Das Problem: Schon die heutige Regelung läuft praktisch ins Leere, weil man den Einstandspreis gar nicht sicher bestimmen kann.

Was der Handel sagt

Der Handel sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Tragfähige Lösungen für den Landwirtschaftsstandort Deutschland gehen weit über die Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel hinaus“, gibt Verbandspräsident Dornseifer, zu bedenken. Hinzu kommt, dass die großen Handelsketten nur in Ausnahmefällen direkt mit Bauern und Lebensmittelerzeugern verhandeln.

Stattdessen sind Großmolkereien wie Müller Milch oder Großschlachter wie Tönnies dazwischengeschaltet, die ihren Teil des Gewinns abzweigen.

Auch Kaufland wirbt mit Lebensmittelpreisen "im freien Fall".
Auch Kaufland wirbt mit Lebensmittelpreisen "im freien Fall".

© Heike Jahberg

Beim Handelsverband Deutschland zeigt man sich aber grundsätzlich offen für neue Handelsbeziehungen. „Wir würden gern mehr direkt bei den Herstellern und weniger bei der Industrie einkaufen“, sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Allerdings wäre das auch eine Frage der Mengen. In dieser Frage sei der deutsche Kunde „sehr sensibel“.

In der Debatte um die UTP-Richtlinie verweist Genth auf ein bereits bestehendes Mediationsverfahren, um im Streitfall eine Schlichtung herbeizuführen. Bislang habe aber kaum ein Produzent ein solches Verfahren beantragt. Unfaire Praktiken, so schließt man beim Handel, gebe es in der Praxis daher wohl kaum.

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