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Lobbyismus 2.0 - auf dem Sprung.

© Getty Images/iStockphoto

"Krass, welchen Einfluss die Verbände haben": Wie Digital-Lobbyisten die Politik in Berlin vor sich hertreiben

Die Bundesregierung steckt Milliarden Euro in die Technologieförderung. Digital-Verbände wollen davon profitieren.

Es kommt nicht oft vor, dass Lobbyisten von ihrem Einfluss auf politische Prozesse überrascht sind - zumindest geben sie es nicht gern offen zu. Bei Florian Glatz ist das anders: „Es ist schon krass, wie viel Einfluss Verbände auf die Politik haben, wenn man es richtig macht“, sagt er. „Das lernt man nicht in der Schule.“

Glatz ist Präsident des Bundesverbands Blockchain, der knapp zwei Jahre nach seiner Gründung bereits 100 Mitglieder vertritt und ihre Interessen bei Bundesregierung und Bundestag zur Geltung bringen will. Wie gut es mit der Einflussnahme schon klappt, zeigt die Blockchain-Strategie der Bundesregierung. Das Grundsatzpapier wird gerade von Finanz- und Wirtschaftsministerium hinter verschlossenen Türen fertiggestellt, im Sommer soll es präsentiert werden.

Glatz war bei Workshops beider Ministerien und bei einer öffentlichen Anhörung im Digitalausschuss des Bundestags, wo er für den Einsatz der Datenbanktechnologie in der Verwaltung warb. Und der werde nun auch kommen, heißt es in der Szene.

Lieber selber machen

Newcomer Glatz ist kein Einzelfall. Im gleichen Maß, in dem Digitalthemen in den politischen Fokus geraten, entstehen neben den etablierten Digitalverbänden wie Bitkom, Eco und dem Bundesverband Digitale Wirtschaft Nischenverbände. Die Neuen - das sind der Bundesverband Deutsche Startups (2012), der Blockchain Bundesverband (2017), der E-Sport-Bund Deutschland (2017) und zuletzt der Bundesverband Künstliche Intelligenz (2018).

Sie erheben zumeist eine einzelne Kernforderung: diese oder jene Technologie zu fördern und zu etablieren, diesen oder jenen Trend anzuerkennen. Das hat Vorteile: „Der Bitkom hat eine Arbeitsgruppe Blockchain, aber so ein großer Verband macht tausend Sachen gleichzeitig. Da können wir uns tiefer mit dem Thema befassen“, sagt Glatz.

Lieber selber machen - das war auch für Jörg Bienert, Präsident des KI-Verbands, der Auslöser für die Gründung. Vor anderthalb Jahren suchte er das Gespräch mit Thomas Jarzombek, damals digitalpolitischer Sprecher der Union. Der habe ihm dann einen guten Rat gegeben: „Wenn du das an die Politik herantragen willst, müsst ihr einen Verband gründen. Das war gewissermaßen der Trigger für die Gründung des KI-Verbands.“

Bienert, der mehrere IT-Unternehmen gegründet hat und zeitweise im Silicon Valley lebte, bewies Gespür für Timing: Als vor einem Jahr die Arbeiten an der deutschen Strategie für Künstliche Intelligenz begannen, stand sein Verband bereit. Man habe das Thema „erfolgreich in der Politik platziert“, erklärt er selbstbewusst. Nun sucht er den Schulterschluss mit etablierten Verbänden, im März wurde eine Kooperation mit dem Digitalverband Eco vereinbart. Bis zu drei Milliarden Euro will die Bundesregierung in die KI-Förderung investieren.

Provokation ist Methode

Neben dem Expertenwissen bringen die neuen Verbände auch eine neue Generation von Interessenvertretern auf das politische Parkett: Hans Jagnow, Präsident des E-Sport-Verbands, ist 30 Jahre alt, Florian Nöll, Präsident des Start-up- Verbands 35 Jahre, der Präsident des Blockchain-Verbandes Florian Glatz 33 Jahre alt. Krawatten sind bei den Neuen out, zum Anzug trägt man weiße Turnschuhe.

Florian Glatz vom Bundesverband Blockchain sieht sich als „Idealist“.
Florian Glatz vom Bundesverband Blockchain sieht sich als „Idealist“.

© promo

„Wir betrachten uns als Idealisten, nicht als Lobbyisten“, sagt Glatz. Die Mission des Verbands sei, der Technologie „eine faire Chance“ zu verschaffen. „Um zu zeigen, ob die Blockchain die Zukunft des Internets ist.“ Das Ergebnis sei aber offen. Wenn sich die Blockchain nicht etabliere, dann gebe es vielleicht in ein paar Jahren auch keinen Verband mehr.

Florian Nöll vom Start-up-Verband sagt, die neuen Verbänden brächten auch eine andere Gesprächskultur mit: „Die Start-up-Szene ist jung und unkonventionell. Das wollen wir auch mit dem Verband transportieren.“ Dazu gehöre auch die kalkulierte Provokation. Im vergangenen Jahr schrieb Nöll einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller: Ignorant sei dessen Senat, desinteressiert daran, die Situation der Jungunternehmer in der Hauptstadt zu verbessern. Müller wies die Kritik erst zurück und traf sich dann mit Nöll zum Gespräch - für den Verband ein PR-Erfolg.

Aufsehen erregen, wann immer möglich, das hat bei den Neuen Methode. Als Aprilscherz ernannte Nölls Verband in diesem Jahr Axel Voss zum Abteilungsleiter Digitalpolitik. Der Europaabgeordnete der Union ist die Schlüsselfigur der EU-Urheberrechtsreform und gilt als derzeit meistgehasster Politiker im Netz.

Im Zweifel geht Authentizität vor Etikette. „Vor uns war man gewohnt, dass Funktionäre und Juristen bei den Abgeordneten vorsprechen.“ Für Nöll ist es wichtig, dass alle Verbandsvertreter selbst aus der Start-up-Szene kommen, für den Vorstand ist dies sogar Pflicht. Dazu gehört auch der Anspruch, dass sich alle auf Augenhöhe begegnen: „In unserer Szene duzt man sich, also gilt das auch für unsere Delegationsreisen - egal ob ein Dax-Vorstand oder eine Staatssekretärin dabei ist.“

"Bisher nicht negativ aufgefallen"

Wie gut kommen die Digital-Lobbyisten 2.0 bei den Abgeordneten an? „Am Anfang haben uns nur die Nerds der Fraktionen zugehört“, erzählt Glatz. Mittlerweile hätten aber auch etablierte Digitalpolitiker ihre Berührungsängste abgelegt. Für den Bundestagsabgeordneten und Blockchain-Experten der Grünen, Danyal Bayaz, ist der Generationswechsel spürbar. „Es ist eine jüngere Generation von Lobbyisten, für die die politische Bühne noch Neuland ist.“ Ein Vorteil? „Tech-Nerds haben nicht immer die beste Kommunikationsstrategie. Aber dafür spricht man direkt mit den Machern, und das ist oft ein Qualitätsunterschied“, urteilt Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Auch Bayaz sieht mehr Vor- als Nachteile. Die Neuen hätten den Blick „aus dem Maschinenraum“. Der sei dann manchmal nicht so professionell und nicht mit dem Blick auf parlamentarische Prozesse vorgetragen - aber genau aus diesen Gründen eine Bereicherung für die Politik. Trotz des lockeren Umgangs gebe es Grenzen. „Sneaker und Duzen täuschen nicht darüber hinweg, dass die immer noch klare Ziele verfolgen. Es bleiben knallharte Interessenvertreter.“ Und so originell seien die Methoden nun auch nicht, glaubt Bayaz: „Die neuen Verbände beschäftigen sich mit disruptiven Technologien, machen aber als Interessenvertreter im Bundestag nichts völlig Neues.“

Auch die Transparenzorganisation Abgeordnetenwatch.de sieht bei den Nischenverbänden keinen grundsätzlich neuen Lobbyansatz. „Bisher sind die neuen Verbände nicht besonders negativ aufgefallen“, sagt Léa Briand von Abgeordnetenwatch.de. Das Problem sei aber, dass der Digitalbereich im Gegensatz zu anderen Bereichen noch zu großen Teilen unreguliert sei. „Ganz neu geschaffene Gesetze setzen einen Trend für die nächsten zehn, zwanzig Jahre.“

Anders gesagt: Die neuen Digital-Lobbyisten mögen am Ende auch nur mit Wasser kochen. Aber wenn sie Einfluss nehmen, dann bestimmen sie entscheidend über die Zukunft des Landes mit. Und sei es in Turnschuhen.

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