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Bei schweren Erkrankungen ist es wichtig, dass man den Anspruch auf Krankengeld nicht verliert.

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Krankschreibung: Welchen Fehler Arbeitnehmer nie machen dürfen

Fatales Versäumnis: Wer seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu spät abgibt, riskiert das Krankengeld - und manchmal seine finanzielle Existenz.

Es ist Frühjahr 2017, als sich für Philipp Stepp die Schicksalsschläge häufen. Zuerst erreicht den zweifachen Vater die Kündigung der Arbeitsstelle, bei der er nach Ende seiner Elternzeit gerade erst angefangen hatte. Kurze Zeit später stirbt seine Mutter nach langer Krankheit – und schließlich erfährt der 47-Jährige, dass er Brustkrebs hat.

Anfang Juli wird der Berliner operiert, danach folgen Chemotherapie und Bestrahlung. Die Behandlung schlägt an, Krebszellen werden zerstört, doch mit ihnen auch alle anderen schnell wachsenden Zellen. Aufgrund der nervenschädigenden Wirkung der Medikamente hat Philipp Stepp kaum noch Gefühl in Fingerspitzen und Füßen, er ist reizbar und unkonzentriert: „Ich habe praktisch kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Ich muss mir alles aufschreiben und dann vergesse ich, wo der Zettel ist“, sagt er. Selbst wenn er in Ruhe lese, brauche er fünf Anläufe, um Briefe durchzugehen. Dazu der permanente Zustand völliger Erschöpfung und Kraftlosigkeit, auch als Fatigue bekannt: „Man schläft wie ein Toter, ist aber danach nicht erholt.“

Erst bekommt er Arbeitslosengeld I, dann Krankengeld

Zunächst bekommt Philipp Stepp weiterhin Arbeitslosengeld I, nach sechs Wochen hat er laut Sozialgesetzbuch genauso wie Angestellte Anspruch auf Krankengeld. Maximal 78 Wochen lang zahlt die Krankenkasse für dieselbe Krankheit innerhalb von drei Jahren Krankengeld. Es wird monatlich rückwirkend bis zum Tag der ausgestellten Krankschreibung überwiesen.
Betroffene müssen mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) regelmäßig und nahtlos an die vorherige Krankschreibung bei der Krankenkasse belegen, dass sie immer noch krank sind. Wer bis einschließlich Freitag krankgeschrieben ist, sollte sich spätestens am Montag eine neue Krankschreibung ausstellen lassen und der Krankenkasse übermitteln. Andernfalls erlischt der Anspruch auf Krankengeld.

Krankschreibungen müssen lückenlos sein.
Krankschreibungen müssen lückenlos sein.

© imago/Eibner

Die Krankschreibung muss nahtlos sein

Philipp Stepp kennt diese Regelung. Darum besucht er in der Woche vor dem 30. April vergangenen Jahres die Praxis seiner Hausärztin, um sich eine neue Krankschreibung ausstellen zu lassen. Seine Ärztin ist auf einer Fortbildung, lässt ihm jedoch ausrichten, er solle sich aufgrund seines Gesundheitszustandes besser nicht ins volle Wartezimmer der Vertretung setzen, sondern in der folgenden Woche wiederkommen. „Zu der Zeit ging es mir schlecht, sodass ich mir jeden Weg gespart habe“, erinnert sich der 47-Jährige. Er wartet den Maifeiertag ab und geht wieder zur Praxis, diesmal ist die Ärztin krank.

Krankschreibung zu spät, das Geld wird gestrichen

Am 7. Mai schließlich schickt er seine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab, kurz darauf erreicht ihn die Antwort der Krankenkasse: Da zwischen der letzten und der aktuellen Krankschreibung sieben Tage vergangen seien, ende nach Paragraph 46 des fünften Sozialgesetzbuchs der Anspruch auf Krankengeld. Und damit auch die Pflichtmitgliedschaft in der Krankenkasse.

Die Hausärztin übernimmt die Verantwortung - vergeblich

Philipp Stepp legt Widerspruch ein, seine Hausärztin erklärt sich gegenüber der Kasse, nimmt die Verantwortung auf sich, doch selbst der einberufene Medizinische Dienst kommt zu dem Ergebnis: Widerspruch ist zwecklos. Auf Anfrage beruft sich ein Sprecher der Techniker Krankenkasse auf das geltende Gesetz, an das die Krankenkasse gebunden sei. Mehr will er aufgrund eines mittlerweile laufenden Verfahrens nicht sagen. Marlen Holnick vom Sozialverband VdK sieht in dem Fall eine Verkettung unglücklicher Umstände: „Der Fall zeigt, dass die Krankenkassen besser darüber informieren sollten, welche Rechte und Pflichten es bei AU-Bescheinigungen gibt.“ Die Hausärztin von Philipp Stepp sagt, ein solch unkooperatives Verhalten von Seiten der Krankenkasse habe sie in zwölf Jahren seit ihrer Niederlassung noch nicht erlebt.

Mittlerweile ist der Fall vor Gericht

Mittlerweile hat der VdK Klage gegen die Techniker Krankenkasse eingereicht. Wie die Chancen stehen, ist unklar. Philipp Stepp macht sich keine großen Hoffnungen mehr. Immer noch leidet er unter der bleiernen Müdigkeit, Ärzte mahnen zur Ruhe, berichtet er. Doch zu Hause ist er im Haushalt und bei den Kindern gefordert, hinzu kommt der ewige Kampf mit Anträgen, Widersprüchen, Papierkram.
Sieben Monate lang lebt die Familie ausschließlich vom Teilzeitgehalt seiner Lebensgefährtin. Zusätzlich muss der Berliner noch monatlich 170 Euro für die freiwillige Krankenversicherung berappen. Eine Familienversicherung kommt nicht in Frage, weil das Paar nicht verheiratet ist. „Wirtschaftlich ist das eine Katastrophe“, so der 47-Jährige.

Philipp Stepp hat sich jetzt arbeitsuchend gemeldet

Vor Kurzem hat Philipp Stepp sich arbeitsuchend gemeldet, obwohl er sich alles andere als arbeitsfähig fühlt. Aber so bekommt er wenigstens wieder Arbeitslosengeld. Dass er in seinen gelernten Beruf als Metallbauer nicht zurückkehren kann, ist auch seinem Berufsberater klar. Darum läuft gerade der Antrag auf eine Umschulung, die sogenannte berufliche Reha. Wenn er dann einen Job bekommt und wieder erkrankt, hat er nach sechs Wochen erneut Anspruch auf Krankengeld. „Das ist ein Witz“, sagt er bitter. „Mir soll ein Richter sagen, was ich falsch gemacht habe. Und dann soll mir keiner mehr von Solidarsystem reden.“

Alena Hecker

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