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Ein Mindestlohn würde bis zu 20 Millionen Menschen, darunter vielen Friseuren, in der EU helfen.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild

Konflikt mit der deutschen Regelung?: Kommission legt Entwurf für EU-Mindestlohn vor

Kommissionspräsidentin Von der Leyen erfüllt damit ein Wahlversprechen der Sozialdemokraten. Schon das zeigt, dass Streit vorprogrammiert ist.

Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten verpflichten, Mindestlöhne entweder gesetzlich oder per Vereinbarung durch die Tarifvertragsparteien durchzusetzen. Bislang entscheiden die Mitgliedstaaten, ob es Mindestlöhne gibt. Ein Entwurf des Gesetzgebungsvorschlags, den die Kommission am Mittwoch beschließen will, liegt dem Tagesspiegel vor.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Plänen im Überblick:

Wie hoch soll der Mindestlohn sein?

Die Kommission legt sich nicht auf Beträge in Euro und Cent fest. Es wird keinen einheitlichen Mindestlohn in der EU geben. Es gibt auch keine Orientierung an einem Median-Lohn (50 Prozent der Erwerbstätigen verdienen mehr, 50 Prozent weniger). Die Sozialdemokraten fordern etwa, dass ein angemessener Mindestlohn 60 Prozent des Median-Lohnes in einer Volkswirtschaft beträgt.

Die Kommission verlangt stattdessen, dass der Mindestlohn „angemessen“ sein muss. Dafür werden vier Kriterien genannt: Kaufkraft, Verbreitung der Brutto-Löhne, Anstieg der Bruttolöhne sowie der Produktivität.

Ist das mit dem deutschen Mindestlohn vereinbar?

Bei Arbeitgebern und wirtschaftsnahen Politikern gibt es Bedenken. Es wird nicht ausgeschlossen, dass beim gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland nachgebessert werden muss, wenn die Richtlinie etwa in vier Jahren in Kraft tritt. Die deutsche Mindestlohnkommission orientiert sich nachlaufend an der Tariflohnentwicklung. EU-Kriterien wie Kaufkraft und die Produktivität spielen in Deutschland bisher keine Rolle.

Warum kümmert sich die EU um Löhne?

Eigentlich steht im Vertrag über die Arbeitsweise der EU, dass sich die EU zwar um Fragen der Arbeitsbedingungen kümmern kann, im Artikel 153 ist aber die Entgeltfrage explizit ausgeschlossen. Dennoch macht Arbeitskommissar Nicolas Schmit einen entsprechenden Vorschlag.

Verfechterin von Mindeslohn? Ursula von der Leyen (CDU), EU Kommissionspräsidentin.
Verfechterin von Mindeslohn? Ursula von der Leyen (CDU), EU Kommissionspräsidentin.

© Etienne Ansotte/European Commission/dpa

Die Sozialdemokraten hatten europäische Mindestlöhne im Europa-Wahlkampf gefordert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erfüllt mit dem Vorschlag ein Wahlkampfversprechen der Sozialdemokraten. In Brüssel hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sehr darauf gedrängt, dass der Vorschlag noch innerhalb der deutschen Ratspräsidentschaft kommt, also bis Jahresende.

Warum bietet der EU-Mindestlohn Diskussionsstoff?

In sechs von 27 EU-Staaten gibt es keinen gesetzlichen Mindestlohn. Dazu zählen skandinavische Länder, in denen die Tarifautonomie besonders hochgehalten wird. Sie lehnen kategorisch eine Einmischung des Staates in Löhne ab.

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Nun will die EU die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen verpflichten, unter anderem soll die Lohnbindung auf mindestens 70 Prozent erhöht werden. Dagegen dürfte sich großer Widerstand regen. Eine EU-Richtlinie muss von jedem Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden. Wenn sie es nicht tun, droht ein Vertragsverletzungsverfahren.

Droht neuer juristischer Ärger?

Wahrscheinlich wird jemand dagegen klagen und darauf verweisen, dass die EU überhaupt keine Kompetenzen für EU-Mindestlöhne hat. Das Bundesverfassungsgericht könnte sich der Meinung anschließen. Damit droht ein zweiter unlösbarer juristischer Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Bereits jetzt bestreitet das Bundesverfassungsgericht etwa, dass der EuGH die Kompetenzen für ein Urteil zum Ankauf-Programm für Staatsanleihen hatte (ultra vires).

Welchen Preis hat der EU-Mindestlohn?

Wie bei jedem Vorschlag nimmt die EU eine Folgenabschätzung vor. Derzeit haben Portugal, Slowenien und Frankreich einen Mindestlohn über 60-Prozent des Medians. In der Folgenabschätzung heißt es, dass EU-Mindestlöhne in Höhe von 60-Prozent des Medians zehn bis 20 Millionen Arbeitnehmern helfen würden. Die Jobverluste seien mit 0,5 bis ein Prozent aller Jobs gering. Dreiviertel der Kosten würden von Verbrauchern getragen, ein Viertel von den Unternehmen.

Die Chancen, dass der Mindestlohn im Parlament durchgeht, stehen dennoch gut gut. Der Arbeitsmarktexperte der größten Fraktion im Europa-Parlament, der Christdemokrat Dennis Radtke, sagte: „Wo die Tarifbindung immer weiter zurückgeht, muss der Staat eingreifen und darf nicht achselzuckend am Spielfeldrand stehen.“

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