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Wartehalle für mehr als eine halbe Million Bücher. Das Zentrallager von KNV in Erfurt.

© imago/Jacob Schröter

KNV Insolvenz: Im feinen Spiel der Kräfte

Der Buchgroßhändler Koch, Neff und Volckmar hat Insolvenz angemeldet. Was folgt daraus?

Von Gregor Dotzauer

Nach den Hiobsbotschaften von der Insolvenz des Buch- und Mediengroßhändlers Koch, Neff & Volckmar (KNV), die vergangene Woche die Verlage und Buchhandlungen erreichten, gibt es vielleicht nur eine gute Nachricht: Keine der beteiligten Seiten ist daran interessiert, dass KNV vom Markt verschwindet. Der vom Stuttgarter Amtsgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt Tobias Wahl will die mittelständische Unternehmensgruppe, die sich durch das Abspringen ungenannter Investoren zur Insolvenzanmeldung gezwungen sah, schon im Interesse der rund 1800 Beschäftigten in Stuttgart und Erfurt retten. Bis Ende April, erklärte er, seien die Löhne und Gehälter durch das Insolvenzgeld gesichert.

Die Buchhandlungen nutzen KNV vor allem als sogenannten Barsortimenter. Das 2014 neu errichtete Erfurter Zentrallager hält rund 590 000 Titel von über 5000 Verlagen auf Vorrat. Über Nacht kann jeder beliebige Titel in insgesamt 5600 Buchhandlungen bestellt werden. Diesem Logistiknetz sind 4200 Filialen in Deutschland angeschlossen, 800 in Österreich und der Schweiz sowie 600 Buchhandlungen in anderen Ländern.

Vor allem kleinere Verlage machen einen bedeutenden Teil ihres Umsatzes über diesen Zwischenhandel. Bei einem regulären Zahlungsziel von 90 Tagen sehen sie derzeit vor allem die Einkünfte aus dem Weihnachtsgeschäft bedroht. Derzeit gibt es keinerlei Informationen, ob sie jemals etwas von diesem Geld wiedersehen werden. Der Bonner Verleger Stefan Weidle klagt, dass die Hälfte seines Umsatzes über KNV laufe. Der Berliner Verleger Sebastian Guggolz sagte dieser Zeitung, bei ihm handle es sich immerhin um ein Drittel. Für literarische Kleinverlage wie Weidle oder Guggolz, die beide der Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Literatur- und Kulturszene angeschlossen sind, sind das Überlebensfragen. Mit den ausstehenden Forderungen nicht genug: Im Rahmen des Insolvenzverfahrens bestellt KNV auch keine Titel aus den Frühjahrsprogrammen mehr.

Für den Suhrkamp Verlag oder die Bonnier-Gruppe, darunter die Häuser Piper und Ullstein, übernimmt KNV auch die Auslieferung. Sie ist mittelfristig am ehesten ersetzbar. Dennoch gilt für das Zusammenspiel aller Kräfte das, was Klaus Kowalke von der Chemnitzer Buchhandlung Lessing & Kompanie in Chemnitz im „Börsenblatt“ schrieb: „KNV ist systemrelevant.“ Der nächstgrößte Mitbewerber, der Hamburger Zwischenbuchhändler Libri, ist weder von seinen Kapazitäten her in der Lage, in die Bresche zu springen, noch wünscht sich jemand, ihn in die Rolle des Quasi-Monopolisten zu drängen. Er könnte den Verlagen dann die Rabatte diktieren, mit denen sie an die Barsortimente liefern. In Gestalt des im schwäbischen Bietigheim-Bissingen ansässigen Großhändlers Umbreit, der über einen Marktanteil von rund zehn Prozent verfügt, hat er nur noch einen unmaßgeblichen Konkurrenten.

Ein weiteres Problem kommt hinzu. KNV hat, wie Joachim Fürst von der Berliner Autorenbuchhandlung dieser Zeitung sagte, Libri als Hauptlieferant von Amazon mittlerweile nicht nur den Rang abgelaufen. Das Unternehmen betreibt auch die Webshops vieler Buchhandlungen, darunter den der eigenen. Der Online-Auftritt wird zwar redaktionell vor Ort gepflegt, die Päckchen aber werden von KNV gepackt und versandt. Unter welchen Bedingungen es gelingt, KNV ein Überleben zu sichern, ist trotz vieler gemeinsamer Handelsinteressen strittig. Sebastian Guggolz mag sich mit den Appellen, Verlage sollten sich dem Unternehmen gegenüber solidarisch zeigen, nicht ohne Weiteres abfinden. Diese Treue, so Guggolz, werde ohne Risiko für den Buchhandel auf dem Rücken der Verlage ausgetragen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es zu einer Trennung von Auslieferung und Barsortiment kommt. Angeblich hat der Online-Händler Amazon schon an einer Übernahme des Barsortiments Interesse gezeigt. Damit würde er dann auch im stationären Buchhandel entscheidend mitmischen. Tröstlich ist bei alledem nur, dass die Schuldennöte von KNV ausnahmsweise keine der Branche insgesamt sind. Und Leser müssen um den Übernachtservice vorerst nicht bangen. Die Buchhandlung ihres Vertrauens arbeitet in der Regel mit mehreren Barsortimentern: Was KNV nicht mehr liefern kann, kommt dann eben über Libri.

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