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Ein Thema, das viele Europäer bewegt, ist der Schutz der Wälder. Dafür plant die EU-Kommission eine weltweit wirkende Strategie.

© Andreas Vitting/Imago

Klimawandel: Wie der Green Deal Wirklichkeit wird

Für das große Versprechen eines klimaneutralen Europas bis 2050 werden 54 Gesetze überarbeitet oder neu aufgelegt.

Es klang bahnbrechend, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende 2019 den europäischen Green Deal vorstellte: Der erste klimaneutrale Kontinent soll Europa bis 2050 werden, sagte sie damals. Der Green Deal war zu diesem Zeitpunkt aber nur ein Konzept. Die EU-Staats- und Regierungschefs befürworten die Idee, das EU-Parlament begrüßte sie. Damit fing die Arbeit erst an.

Konkret wird der Green Deal eine Welle von Gesetzen nach sich ziehen, die bis Ende 2022 entweder überarbeitet oder neu geschrieben werden. Nicht alle werden bis dahin ausverhandelt sein. 54 an der Zahl sind es insgesamt. Der einflussreiche Vorsitzende des EU-Umweltausschusses und Macron-Vertraute Pascal Canfin hat dazu eine Übersicht zusammenstellen lassen. Urheber ist seine Fraktion der Liberalen und des französischen Wahlbündnisses Renaissance im Europäischen Parlament. „Ich möchte die Menschen darauf aufmerksam machen, was in Europa im Hinblick auf die Umsetzung des Green Deal geschieht. Bisher hat niemand zusammengefasst, was er insgesamt bedeutet“, sagte Canfin dem Tagesspiegel.

Pascal Canfin bei einem Pressetermin in Brüssel.
Pascal Canfin bei einem Pressetermin in Brüssel.

© Kenzo Tribouillard/AFP

Das wichtigste Gesetzespaket kommt am 14. Juli heraus. Es trägt den Titel „Fit für 55“ – also fit für die geplanten mindestens 55 Prozent Emissionssenkungen bis 2030. Diese Zahl ist im ersten und bisher einzigen schon beschlossenen Gesetz des Green Deal, dem europäischen Klimagesetz, festgelegt. Zum Juli-Paket gehört unter anderem eine Reform des Europäischen Emissionshandels. Bisher sind hier nur Kraftwerke und große Industriebetriebe eingeschlossen. Aber für Verbraucher:innen könnte das abstrakte Thema bald konkrete Auswirkungen auf die Kosten fürs Heizen und Autofahren haben. Verkehr und Gebäudebereich könnten nämlich einem ähnlichen Handelssystem unterworfen werden. Das würde Benzin, Erdgas und Heizöl teurer machen.

Darin steckt sozialer Sprengstoff, den die Bundesregierung bei der Einführung des deutschen Preises auf fossile Brennstoffe kürzlich mit einer Anhebung der Pendlerpauschale und einer Senkung des Strompreises entschärfte. Als Franzose erinnert sich Canfin genau, wie vehement die Proteste der Gelbwesten bei Einführung einer Treibstoffabgabe waren. Sie entzündeten sich am Missverhältnis zwischen niedrigen Einkommensteuern für Wohlhabende und hohen Verbrauchssteuern für die Masse. „Wir müssen die sozialen Konsequenzen richtig handhaben“, sagt Canfin jetzt. Wie die Kommission das heikle Thema angeht, dürfte eine der ersten Fragen an das Fit-für-55- Paket in zwei Monaten sein.

„Autobauer können den Kampf gewinnen“

Zu dem Paket gehört auch eine Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU. Ein durchgesickerter Vorentwurf sieht eine Pflicht vor, Erneuerbare auch im Wärmesektor einzusetzen. Bisher ist das freiwillig. Geothermie, Solarthermie und Wärmepumpen könnten so peu à peu die teurer werdenden fossilen Brennstoffe ersetzen.

Bei Pkw sollen die Standards für den Ausstoß von Kohlendioxid erhöht werden. Canfin erwartet hier weniger Widerstand als 2013. Damals intervenierte die Bundesregierung gegen die bereits so gut wie beschlossene Anhebung der Grenzwerte. „In der Vergangenheit waren die Autohersteller eher zurückhaltend. Jetzt haben sie die Technologien. Sie haben investiert, sie haben Klimazusagen gegeben“, sagte Canfin. Nun seien die Unternehmen zuversichtlich, diesen Kampf zu gewinnen. Canfin spricht sich dafür aus, die Standards so zu setzen, dass ab 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden dürfen.

Ein Thema, das viele Europäer bewegt, ist der Schutz der Wälder. Nicht nur in Europa selbst, sondern auch weltweit, will die EU diesen Auftrag umsetzen. Zur Verhinderung von „importierter Entwaldung“ hat das EU-Parlament bereits eine Initiative verabschiedet. „Wir wollen den Verbrauchern die Garantie geben, dass, wenn sie eine Tasse Kaffee trinken, wenn sie Gummireifen oder Lebensmittel mit Sojabohnen kaufen, Hühnchen oder Rindfleisch essen, dies nicht zu Entwaldung geführt hat“, sagte Canfin dazu.

Grüner, sauberer, konkurrenzfähig

Auch an die Industrie wird beim Green Deal gedacht. Eine Art CO2-Zoll soll sie vor Konkurrenz aus Ländern mit geringeren Klimastandards schützen. „Wir können von unserer Industrie nicht verlangen, einen CO2-Preis von 50 bis 60 Euro je Tonne zu zahlen, ohne gleiche Wettbewerbsbedingungen mit Importeuren zu haben“, sagte Canfin. „Wenn wir das nicht tun, gehen wir das Risiko ein, unsere Unternehmen zu schwächen.“

Paradoxerweise, so Canfin, hat der US-Klimagesandte John Kerry die Europäer kürzlich gebeten, mit ihrem eigenen CO2-Grenzausgleich zu warten. Dabei ziehen die USA selbst einen ähnlichen Mechanismus in Erwägung. „Wir werden nicht warten, wir werden voranschreiten – aber auf kooperative Art und in Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation“, versicherte Canfin. Seine Vision ist ein Club von Ländern, die einen Preis für Kohlenstoff haben und die gleichen Regeln auf Länder außerhalb des Clubs anwenden.

Es steckt noch viel mehr im Green Deal: Massive Förderung für energetische Gebäudesanierungen, mehr Energieeffizienz, weniger Methanschlupf aus undichten Leitungen, eine Reform der Energiesteuern, ein Ausbau der internationalen Stromleitungen, nachhaltig produzierte Batterien und ein Ladenetz für E- Autos, ein nachhaltiges öffentliches Beschaffungswesen und ein neues Berichtswesen für Firmen, die Umlenkung der Finanzströme in grüne Investitionen, Kreislaufwirtschaft, mehr Ökolandbau und ein besserer Schutz der Moore. 2030, so das Ziel der Kommission, soll die EU sauberer, grüner und weiter konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt sein.

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