zum Hauptinhalt
Windkraftanlagen sind ein industrielles Hightechprodukt. Sie tragen aber auch zum „grünen Wachstum“ der Wirtschaft bei.

© Jens Büttner/dpa

Klimawandel: Ein grünes Wirtschaftswunder

In einer neuen Strategie strebt die EU Nullemissionen bis 2050 an. Wie müsste die Wirtschaft bis dahin umgebaut werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Gerade hat die Europäische Union eine neue Langfriststrategie veröffentlicht. Bis zum Jahr 2050 könnte die gesamte Wirtschaft klimaneutral sein, heißt es dort. Kein bisschen Klimagas dürfte dann aus dem Auspuff der Autos oder aus den Hochöfen der Stahlindustrie kommen. Restemissionen wären der Landwirtschaft vorbehalten, weil man den Kühen schlecht das Rülpsen von Methan verbieten kann.

Kaum vorstellbar, dass so eine Welt schon in gut 30 Jahren entstehen könnte. Technisch möglich wäre es, versichern die Wissenschaftler der EU. Aber ob es auch gesellschaftlich und politisch umsetzbar ist?

Was können die Verbraucher tun?

Mit ihrer Nachfrage verfügen die Konsumenten über eine große Wirtschaftsmacht. Ein klimafreundlicher Lebensstil würde in der Summe viel verändern. Dazu gehört: Wenig Fleisch und viel regionale Lebensmittel essen, wenig Fliegen, Dinge lange nutzen, Fahrradfahren, verantwortungsbewusst heizen oder zu Fuß gehen statt Auto fahren.

Den klimafreundlichsten Lebensstil haben allerdings nicht die Menschen mit dem größten Umweltbewusstsein, sondern sparsame ältere Menschen, die wenig fliegen. Das hat eine Studie des Umweltbundesamtes ergeben. Die Analysen zeigt, dass der Energieverbrauch mit der Höhe des Einkommens und dem Bildungsstand steigt. In sozialen Milieus mit positiven Umwelteinstellungen ist der Energieverbrauch sogar überdurchschnittlich hoch.

Es gibt außerdem ein psychologisches Hindernis für den Do-it-yourself-Umweltschutz: Für sich allein ist jeder versucht zu glauben, er oder sie könne nichts verändern. Besonders wenn man sieht, dass kaum einer mitmacht. „Wenn man das Gefühl hat, dass sich die anderen nicht an Absprachen halten oder diese darauf hoffen, von den anderen zu profitieren, ohne selbst einen Beitrag zu leisten, dann geht die Motivation auf Null zurück“, sagt der Nachhaltigkeitsforscher Ortwin Renn. „Diese negative Dynamik erleben wir gerade in den Klimaverhandlungen.“

Was passiert, wenn überflüssiger Konsum wegfällt?

Wenn die Verbraucher ab morgen nur noch das Nötigste kaufen würden, um Rohstoffe und Energie zu sparen, wären bald viele Unternehmen pleite. Sie könnten dann keinen Lohn mehr zahlen, damit ihre Angestellten neue Dinge kaufen können. Gegen diesen Teufelskreislauf hat die Bundesregierung in der Finanzkrise die Abwrackprämie erfunden. Einen Zusammenbruch der Wirtschaft will niemand. Der Umbau müsste also schrittweise gehen.

Wie könnte eine klimafreundliche Wirtschaft aussehen?

Drei Konzepte für den Umbau der Wirtschaft werden diskutiert: Green Growth, Degrowth und - ganz neu - die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition.

Bei Green Growth wächst die Wirtschaft nur noch um grüne Dienstleistungen und Produkte. Um Windräder oder Solarpanele zum Beispiel. Oder durch die Produktion von ökozertifizierten T-Shirts aus Biobaumwolle, die ein Leben lang halten und auch deshalb so teuer sind, weil die Näherinnen in Bangladesch damit richtig gutes Geld verdienen. Green Growth funktioniert zum Teil schon ganz gut: Die Wirtschaft kann wachsen, während der Energieverbrauch trotzdem sinkt, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt.

Dagegen lehrt die Degrowth-Schule, dass grünes Wachstum ist immer noch zu viel Wachstum ist. Denn man könne gar nicht so effizient und umweltschonend produzieren, als dass unsere Erde nicht trotzdem übernutzt würde. Jedenfalls nicht bei unserem heutigen Wohlstandsniveau. Und Konsum allein mache ja auch nicht glücklich.

Dazu entgegnen drei große deutsche Umweltforschungsinstitute, dass die Degrowth-Vertreter nicht überzeugend erklären, ob Lebensqualität wirklich erhalten werden kann, wenn das Bruttosozialprodukt stark abnimmt. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, das RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung und das Wuppertal Institut haben deshalb das Konzept der vorsorgeorientierte Postwachstumsposition entwickelt.

Die Forscher stellen fest, dass die Wirtschaftsleistung und die damit erzeugten Einkommen in den industrialisierten Ländern grundlegend für das Funktionieren gesellschaftlicher Institutionen sind, beispielsweise der Sozialversicherungssysteme und des Bildungsbereichs. Daraus leiten sie das Ziel ab, diese Institutionen vorsorglich so zu transformieren, so dass sie ihre Funktionen unabhängiger von der Wirtschaftsleistung erbringen können. Durch eine stärkere Unabhängigkeit vom Wachstum könne ein hohes Maß an Lebensqualität auch bei stagnierender oder sinkender Wirtschaftsleistung aufrechterhalten werden.

Was sind die schwersten Aufgaben für die Industrie?

Strom kann theoretisch unbegrenzt aus erneuerbaren Energien hergestellt werden, um Maschinen anzutreiben. Kohlekraftwerke braucht man zur Stromerzeugung künftig also nicht mehr.

Doch es gibt sogenannte prozessbedingte Emissionen, die nicht so leicht zu vermindern sind, etwa bei der Stahlproduktion. Dort wird der Sauerstoffgehalt des Eisenerzes mit Hilfe von Koks reduziert. Das Kohlenmonoxid aus der Verbrennung des Koks’ verbindet sich dabei mit dem Sauerstoff zu Kohlendioxid.

In der weltweit ersten Pilotanlage zur fossilfreien Stahlproduktion mit Hilfe von Wasserstoff würde das anders laufen. Sie ist im nordschwedischen Luleå im Bau und soll wohl 2020 in Betrieb gehen. Die Idee ist, statt Koks Wasserstoff zu nutzen, der in die Eisenerzschmelze geblasen wird und sich mit dem Sauerstoff darin zu Wasser verbindet. Der Wasserstoff für die Anlage soll mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Es gibt solche Verfahren auch für die Zement- und die Düngemittelindustrie, die beide ebenfalls hohe prozessbedingte Emissionen haben. Die Konzepte sind alle schon relativ ausgereift, aber noch teurer als die fossilen Produktionsweisen.

Was sind die größten Hürden für die Politik?

Politiker werden auf wenige Jahre gewählt. In dieser Zeit müssen sie auf Forderungen von Wirtschaft und Gesellschaft reagieren, die ebenfalls meist kurzfristig ausgerichtet sind. Wenn die Politik Dinge beschließt, die langfristig gut, aber kurzfristig schmerzhaft sind, kann sie sich viel Ärger einhandeln. Das sieht man aktuell in Frankreich an der Bewegung der Gelbwesten, die gegen die Erhöhung der Spritpreise im Zuge einer Steuer auf Kohlendioxid protestieren. Der Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft muss deshalb auch sozial gerecht sein.

Zur Startseite