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Achim Steiner beim „Global Solutions“-Gipfel in Berlin.

© Thilo Rückeis

Klimaschutz: UN wollen einer halbe Milliarde Menschen sauberen Strom bringen

Beim Klimaschutz geht es voran – aber nicht schnell genug, sagt der Direktor des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner.

Herr Steiner, die jährliche UN-Generalversammlung ging gerade zu Ende, heute beginnt ein Vorbereitungstreffen für die Klimakonferenz in Glasgow. Wo stehen wir aktuell bei ihrer Planung?

Zum einen wird das Zeitfenster immer enger, in dem wir mit dem Klimawandel als etwas umgehen können, das wir bewältigen können. Andererseits ist das, was wir in den letzten Monaten an Zusagen und nationalen Strategien bezüglich des Klimawandels gesehen haben, in vieler Hinsicht auch als Durchbruch zu betrachten.  

Woran denken Sie?

Wir erleben einen Green Deal in Europa, der Milliarden an Investitionen in einzelnen EU-Ländern ermöglicht. Wir haben gesehen, wie die USA wieder ins Klimaabkommen zurückkehren und ihre finanziellen Beiträge zur Unterstützung von Entwicklungsländern auf elf Milliarden Dollar pro Jahr verdoppeln. Und  China hat letzte Woche angekündigt, Kohlekraftwerke im Ausland nicht mehr zu unterstützen.

Wissen Sie, wie das gemeint ist? Die Frage war ja, ob die Zusage nur staatliche Banken betrifft oder auch private Geschäftsbanken, die Kohleprojekte finanzieren.

Nach meinem Verständnis hat Staatspräsident Xi angekündigt, dass China keine Kohlekraftwerke mehr exportieren wird. Ich gehe davon aus, dass das auch private Unternehmen einschließt. Dazu muss man aber anmerken, dass 60 Prozent aller Kohlekraftwerke weltweit von nicht-chinesischen Banken und Investitionshäusern finanziert werden. Hier hat sich China eines Faktes bedient, der den Druck auf die internationalen Finanzwelt erhöhen wird, keine neue Kohlinfrastruktur mehr zu fördern.

Was beunruhigt Sie trotzdem?

Wir handeln leider zu spät, wenn auch immer schneller. Aber es bleibt uns nur noch so wenig Zeit, dass das Element Frustration zurzeit überwiegt.

Wie gut war in dieser Beziehung der hochrangige Energie-Dialog der UN am vergangenen Freitag? Einige dort gemachte Zusagen, etwa Deutschlands Förderinstrument H2global, waren ja nicht neu.

Man sollte diesen Tag, den wir darauf verwendet haben, Energie als ein gemeinsames Interesse in den Mittelpunkt zu stellen, entsprechend einordnen. Hier ging es vor allem um das nachhaltige Entwicklungsziel Nummer 7: Dass man jederzeit Zugang zu Strom hat. Das ist für 800 Millionen Menschen weltweit noch nicht der Fall. Wir wollten den Ländern im globalen Süden die Zuversicht vermitteln, dass wir ihr Anliegen, sich zu entwickeln, sehr ernst nehmen. Außerdem ging es um die Dekarbonisierung der bestehenden Stromerzeugung. Es wurden 150 Energy-Compacts vorgestellt, die zeigen, wie diese Veränderungen aussehen.

An diesem Tag wurde auch die ehrgeizige Initiative gestartet, 500 Millionen Menschen bis 2025 den Zugang zu sauberer Stromversorgung zu ermöglichen. Wie soll das gehen?

Es sind die verschiedensten Wege. In der Sahel-Region leben 300 Millionen Menschen ohne Zugang zur Stromversorgung. Da arbeiten wir zurzeit mit einem Programm für lokale Netze, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das ermöglicht uns, sehr viele Menschen schnell zu erreichen, ohne dass man warten muss, bis Überlandleitungen gebaut sind. Mit diesem Programm alleine hoffen wir, in den nächsten vier Jahren 100 bis 150 Millionen Menschen zu erreichen. Das ist logistisch absolut leistbar. Die Global Environment Facility und andere Partner sind Kernfinanziers, die Entwicklungsorganisationen sind die Partner bei der Umsetzung, zusammen mit den 18 betroffenen Ländern. Zur Finanzierung hat UNDP unter anderem auch ein Programm mit Staatsanleihen, den sogenannten SDG-Bonds, entwickelt.

Strom aus sauberer Erzeugung wie hier in Brasilien ist auch eine Hoffnung für die wirtschaftliche Entwicklung.
Strom aus sauberer Erzeugung wie hier in Brasilien ist auch eine Hoffnung für die wirtschaftliche Entwicklung.

© Carl de Souza/AFP

Auch in der Energiepolitik müsste es Veränderungen geben, richtig?

In einigen Ländern ist es noch immer so, dass keine Einspeisung von erneuerbaren Energie ins Netz möglich ist. Das hatten wir ja auch mal in Deutschland.

Unterstützung sollen die Entwicklungsländer im Kampf gegen den Klimawandel mit Finanzhilfen in Höhe von 100 Milliarden Dollar pro Jahr ab 2020 erhalten. Als das Versprechen 2009 bei der Klimakonferenz in Kopenhagen gegeben wurde, hörte sich das nach viel Geld an. Heute auch noch?

Vor allem vor dem  Hintergrund der Billionen an Dollar und Euro, die im Kampf gegen die Pandemie mobilisiert wurden, erscheint es fast ein wenig kläglich. Was ja viele vergessen, ist, dass die Entwicklungsländer selber viele Milliarden Euro in ihre zukünftige Stromversorgung investieren werden. Wenn wir es diesen Ländern mit nur 100 Milliarden Euro aus der reichen Welt ermöglichen, den Übergang zu sauberer Stromversorgung zehn Jahre früher zu schaffen, dann haben wir nicht nur diesen Ländern geholfen, sondern wir haben uns selber geholfen. Dass die Zusagen erfüllt werden, ist auch Voraussetzung dafür, dass die Entwicklungsländern Vertrauen haben.

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Das Vertrauen wurde allerdings enttäuscht, denn die Zusagen wurden 2020 und 2021 nicht erfüllt. Schätzungen gehen von 80 Milliarden gezahlten Dollar pro Jahr aus. Wie kann man das vor der Klimakonferenz COP 26 überhaupt noch heilen?

Ich sehe es mit großer Sorge, dass wir damit eine Chance verpassen. Denn die Entwicklungsländer haben ja danach gehandelt. Überall werden konsequent nationale Klimastrategien entwickelt. Es ist für diese Länder jetzt die Frage: Warum sollen sie sich auf etwas verpflichten, wo nichts zurückkommt? Dann können sie es auch gleich alleine machen.

Ist Indien ein Beispiel für einen Alleingang?

Indien hat bis vor kurzem gezögert, ob es ein neues freiwilliges Minderungsziel vorlegen soll, wie es im Paris-Abkommen vorgesehen ist. Gleichzeitig hat der Premierminister ein Energie-Infrastrukturprogramm angekündigt, das fast alles übertrifft, was andere Ländern machen: 450 Gigawatt an erneuerbarer Stromproduktion bis 2030! Das tut er aus Indiens eigenem Entwicklungsinteresse heraus. Wir müssen jetzt vor allem den Ländern zur Seite stehen, die diesen Übergang nicht aus eigenen Kräften leisten können. Es wäre ein tragisches Versäumnis, wenn wir aus dem Jahr 2021 mit einer Klimapolitik herauskommen, die mit angezogener Handbremse gefahren ist.

Für Kredite müssen Entwicklungsländern andernfalls auch hohe Zinsen zahlen.

Wenn die USA heute eine Staatsanleihe auf den Markt bringen, zahlen sie weniger ein Prozent Zinsen. Ein Land wie Kenia, eine der anerkanntesten Volkswirtschaften Afrikas, muss zwischen zwölf und 14 Prozent zahlen. Das verdeutlicht schon, mit welchen Hindernissen diese Länder ihre Zusagen einhalten müssen, die sie auf einer Tagung der Klimakonvention machen.

Das Thema Anpassung brennt den Entwicklungsländern ebenfalls auf den Nägeln. Hier ist finanzielle Hilfe besonders knapp, oder?

Das ist vielleicht unser größtes Sorgenkind. Wir haben es in Deutschland am eigenen Leibe erlebt: Die Sturzfluten im Juli dauerten nur zwölf Stunden, und es stellte sich eine Lage ungeahnten Ausmaßes dar. In Deutschland haben wir die Möglichkeit, aus Steuermitteln ein 30-Milliarden-Paket bereitzustellen. In vielen Ländern ist das unmöglich, Schäden sind nicht versichert. Deshalb haben wir gerade am Montag ein neues Programm ins Leben gerufen, das sich mit der Versicherung von Risiken beschäftigt. Wir müssen für die Ärmsten der Armen Möglichkeiten schaffen, sich gegen diese Risiken abzusichern.

Eine letzte Frage zur Vor-Konferenz der COP 26 in Glasgow. Diesem Ministertreffen in Mailand geht ein Klimagipfel von Jugendlichen voran. Wie wichtig waren oder sind diese beiden Treffen?

Unsere Jugend ist heute fast die wichtigste Variable geworden. Nicht nur wegen Fridays for Future, sondern auch wegen des Engagements von so vielen jungen Menschen, die sich die Mühe machen zu verstehen, was der Klimawandel für uns als Weltgemeinschaft und für sie als Generation bedeutet, die noch viel mehr mit den Konsequenzen wird leben müssen. Ihre gerechtfertigte Ungeduld mit den mangelnden Entscheidungen ist Voraussetzung dafür, dass wir uns an jedem Abendessenstisch, in der Schule, in jeder Gemeinde mit der Frage befassen: Was für eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Von daher ist die Pre-COP für mich nicht nur eine Verhandlung, wo sich die Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention sortieren – das ist ja auch ein gewisses Schachspiel. Was die Jugend zu diesem Prozess mitbringt ist der klare Blick darauf, dass das Taktische nicht das entscheidende Kriterium sein kann.

Die Jugend hat ja in Deutschland auch schon einiges bewegt.

Darum sage ich das. Viele lächeln manchmal und sagen: Was können 15-, 16-, 17-jährige verändern. Ich glaube, sie haben schon Erstaunliches verändert und mein großer Respekt gilt ihnen allen. Aber auch wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung ziehen.

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