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Billiger Klimaschutz. Anlagen wie diese Kokerei der Firma Thyssen bekommen ihre CO2-Zertifikate kostenlos.

© Reuters

Klimaschutz in Europa: Für die Tonne

Die EU-Kommission will den Emissionshandel reformieren. Ökonomen zweifeln an dem Vorschlag. Denn was den Preis im Emissionshandel tatsächlich beeinflusst, ist ein ziemlich großes Rätsel.

Im Oktober soll der Europäische Rat entscheiden, wie es nach 2020 mit dem Europäischen Emissionshandel weitergeht. Er ist das zentrale Instrument der EU-Klimapolitik, trägt aber kaum noch dazu bei, dass die europäische Wirtschaft in den Klimaschutz investiert. Deshalb hat die EU-Kommission vorgeschlagen, den Kohlenstoffpreis über eine Marktstabilitätsreserve zu stabilisieren. Umweltministerin Barbara Hendricks und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD) finden das gut. Doch dass sich damit der Preissturz für Kohlendioxid (CO2) seit 2008 aufhalten lässt, bezweifeln die Ökonomen Nicolas Koch und Ottmar Edenhofer vom MCC, einem gemeinsam von der Mercator-Stiftung und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) finanzierten Forschungsinstitut.

Der Preis für die Tonne Kohlendioxid ist auf fünf Euro abgestürzt

Seit 2005 müssen Betreiber von Kohlekraftwerken, Raffinerien oder Stahlwerken für jede Tonne Kohlendioxid, die ihre Anlagen ausstoßen, eine Emissionsberechtigung vorweisen. Die Gesamtmenge des CO2-Ausstoßes legt die Europäische Union fest. Die Industrie bekommt in etwa so viele CO2-Zertifikate kostenlos zugeteilt, wie es die Emissionen der Vorjahre erwarten lassen. Braucht ein Unternehmen aber mehr CO2-Berechtigungen, muss es diese kaufen. Die Energiekonzerne müssen seit 2013 alle Zertifikate, die sie benötigen, ersteigern. Trotzdem ist der Preis für CO2 zu Beginn der dritten Handelsperiode des Europäischen Emissionshandels noch einmal leicht gesunken. 2013 schwankte er um die fünf Euro, in diesem Jahr hat sich das kaum geändert.

Deutschland würde den Emissionshandel gerne schneller reformieren

Die EU-Kommission erhofft sich mit ihrer Marktstabilitätsreserve, die erst zur nächsten Handelsperiode von 2020 an greifen soll, dass der Preis steigt. Mit dem Instrument wäre es möglich, CO2-Zertifikate vom Markt zu nehmen, wenn eine Höchstmenge an Zertifikaten überschritten wird. Würde eine Mindestmenge unterschritten, würden wieder Zertifikate ins System zurückgegeben. Der Preis soll also über die Menge gesteuert werden, was bisher nicht funktioniert hat, weil immer zu viele Zertifikate im Markt waren. Hendricks und Gabriel haben in ihrer Stellungnahme gefordert, diesen Mechanismus schon 2017 einzuführen. Dafür bräuchten sie allerdings die Unterstützung einer größeren Gruppe europäischer Staaten.

Wenig Zusammenarbeit aber viel Dialog mit Polen

Vor allem Polen gilt der deutschen Regierung als schwieriger Partner. Deshalb hat Hendricks am Rande des Petersberger Klimadialogs Mitte Juli in Berlin entsprechende Gespräche mit ihrem polnischen Kollegen geführt. Auch auf Fachebene habe es Gespräche gegeben, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Beim ersten deutsch-polnischen Energiegipfel wenig später gab es dazu ebenfalls Gelegenheit.

An gemeinsamen Schwüren zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen mangelt es also nicht. Es gibt seit 2013 einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch über die Förderung erneuerbarer Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz. Konkrete Projekte mit deutscher Beteiligung gab es in 25 Jahren allerdings nur drei, und die Kosten dafür waren überschaubar. Ob das reicht, um Polen von mehr Klimaschutz zu überzeugen?

90 Prozent des Preises von CO2 lassen sich nicht erklären

Ottmar Edenhofer erwartet aber auch vom EU-Kommissionsvorschlag für eine Marktstabilitätsreserve keine steigenden Preise im Emissionshandel. „Die Zertifikate sollen nur zum Teil und auch nur temporär aus dem Verkehr gezogen werden“, sagte er dem Tagesspiegel. „Investoren haben jedoch schon eingepreist, dass es auch künftig ein zu hohes Angebot an Zertifikaten geben wird.“ Deshalb werde es „kaum Investitionen in emissionsmindernde Technologien geben“. In einer Studie, die er und Nicolas Koch im Fachmagazin „Energy Policy“ veröffentlicht haben, stellen die Ökonomen fest, dass lediglich zehn Prozent der Preisveränderungen beim Emissionshandel auf die Wirtschaftskrise nach 2008 und den massiven Ausbau der Wind- und Solarenergie zurückgeführt werden können. Auch der massenhafte Einsatz von in Entwicklungsländern zusätzlich gekauften CO2-Zertifikaten ist nach ihren Berechnungen vernachlässigbar. Aber 90 Prozent des CO2-Preises wird nicht durch die erwartbaren Einflussfaktoren beeinflusst, haben sie errechnet. Werden jedoch politische Entscheidungen mit den Preiskurven in Beziehung gesetzt, gibt es zumindest Ausschläge in der Kurve. Doch ob das der größte Treiber für die Preise ist, müsse noch weiter untersucht werden, schreiben die Autoren der Studie. Aus ihrer Sicht braucht der Emissionshandel eine langfristige Perspektive, die weit über das Jahr 2030 hinausreicht. Zum anderen erkennen sie ein „Glaubwürdigkeitsdefizit“ bei der EU.

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