zum Hauptinhalt
PET-Flaschen, Verpackungen oder Fischernetze werden an Stränden gesammelt, zerkleinert, gereinigt und eingeschmolzen.

© Angelika Warmuth/dpa

Kleider aus Plastikmüll: Guter Gedanke, geringer langfristiger Nutzen

Konzerne von Adidas bis H&M recyceln Meeresplastik. Kritiker bemängeln, dass die Umweltbilanz dadurch nicht unbedingt besser wird.

Von Corinna Cerruti

Die Welt hat ein Plastikproblem. Jährlich versinken rund zehn Millionen Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen – Tendenz steigend. Die Deutschen produzieren rund 38 Kilo Plastikverpackungsmüll pro Kopf und Jahr. Umweltinitiativen haben der Vermüllung den Kampf angesagt, zunehmend mit Unterstützung der Textilindustrie: Adidas, Patagonia oder H&M werben zumindest damit, Kleidung aus recyceltem Meeresplastik herzustellen.

PET-Flaschen, Verpackungen oder Fischernetze werden an Stränden gesammelt oder aus den Ozeanen gefischt, zerkleinert, gereinigt, eingeschmolzen und zu Garn verarbeitet. In jedem Schuhpaar von Adidas sollen etwa elf PET-Flaschen stecken, in jedem Rucksack des Mainzer Start-ups Got Bag 3,5 Kilo Plastik aus den Ozeanen. Tonnen von Kunststoff sollen so aus den Weltmeeren entfernt und Ressourcen geschont werden. Schließlich wird so kein neues Rohöl zu Garn gesponnen. Die Unternehmen wirtschaften grün und die Kunden haben ein gutes Gewissen. Klingt nach der perfekten Lösung.

Oder? „Der Grundgedanke ist natürlich nicht schlecht, aber langfristig ist der Umweltnutzen eher gering“, sagt Thomas Fischer, Leiter für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Der Recyclingprozess sei sehr aufwendig, und besonders chemisches Recycling energieintensiv, das Material möglicherweise auch gesundheitlich bedenklich. Plastik, das jahrelang in den Meeren geschwommen ist, kann erheblich mit Schadstoffen belastet sein. „Wir zweifeln an, ob die Qualität zur Herstellung von Textilien taugt“, erklärt Fischer. „Es ist nicht ohne Weiteres möglich und kostenintensiv, die Schadstoffe aus dem Material zu trennen. In Ozeanplastik wurden etwa Pestizide nachgewiesen, die seit Jahrzehnten verboten sind.“

Krebserregende Schadstoffe in der Kleidung

Auch Friederike Priebe, Expertin bei EPEA, einem Unternehmen, das Firmen hinsichtlich Kreislaufwirtschaft berät, warnt vor recyceltem PET: „Zur Herstellung wird der krebserregende Katalysator Antimontrioxid eingesetzt. Dieser kann in Weiterverarbeitungsschritten freigesetzt werden und sammelt sich im recycelten Material an.“ Auch wenn bestimmte Grenzwerte unterschritten werden, so bliebe damit doch ein Schadstoff im Material, der krebserregend ist und Hautkontakt haben kann.

Ein weiteres Problem ist die zusätzliche Beschaffung des Materials über Müllexporte: Nach Schätzungen des Deutschen Landkreistags werden weltweit eine Millionen Tonnen Kunststoffe in Drittländer geliefert – häufig Indonesien, Vietnam und Thailand. 

Der Verband hatte sich im Herbst letzten Jahres für ein sofortiges Exportverbot für Plastikmüll vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgesprochen, da in vielen Ländern keine angemessene Entsorgung sichergestellt sei. Der Präsident des Deutschen Landkreistages Reinhard Sager sagt: „Allein nach Malaysia hat Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 100.000 Tonnen Plastikmüll verschifft.“ In den Statistiken gelte dieser exportierte Müll als recycelt.

Auch das Altplastik aus diesen Exporten werde für die Verarbeitung von Textilien genutzt, erklärt Priebe. „Der recycelte Kunststoff wird dann CO2-teuer von einem zum nächsten Produktionsort transportiert.“ Eine positive Ökobilanz ist unter diesen Umständen fraglich.

Die Textilindustrie setzt auf Kleidung aus recyceltem Meeresplastik. Doch Kritiker warnen vor gefährlichen Schadstoffen.
Die Textilindustrie setzt auf Kleidung aus recyceltem Meeresplastik. Doch Kritiker warnen vor gefährlichen Schadstoffen.

© DPA / EPA / MIKE NELSON

Plastikkleider bleiben Spartenprodukt

Fischer erklärt: „Die Unternehmen selbst haben ja auch keine Planungssicherheit. Die wissen nicht, welche Art und Menge des Kunststoffs an den Stränden rumliegt.“ Nicht jedes Plastik eigne sich für die Herstellung von Textilien. „Es ist eher Zufall, wenn sie genug PET finden, um daraus einen Fleece-Pullover zu machen.“ Da nur Kleinstmengen den Weg in das Produktportfolio finden, bleiben die Plastikkleider ein Spartenprodukt.

Doch sowohl Adidas als auch H&M haben angekündigt, in naher Zukunft nur noch recycelte oder nachhaltige Materialien zu nutzen. Für Priebe der falsche Ansatz: „Die Verwendung von recycelten Materialien bedeutet noch keine nachhaltige Lösung.“ Aktuell werde nur linear produziert: Rohstoffe werden zu Produkten verarbeitet, verkauft und die Verantwortung danach abgegeben. Die nicht nachwachsenden Rohstoffe sowie die Anbaufläche für nachwachsende werden jedoch knapp. „Ohne eine echte Recyclingfähigkeit der Produkte wird weiter Müll produziert“, sagt die Kreislaufexpertin.

Trend geht weiter zu "Fast Fashion"

Paradox: Recycelte Textilien sind nicht zwangsläufig recycelbar. Viel Kunststoffkleidung werde deswegen verbrannt, mahnt Fischer. Outdoorjacken bestünden zumeist aus unterschiedlichen Materialien und seien so mit Chemikalien versetzt, dass Recycling praktisch ausgeschlossen sei. „Anstatt Müll aus dem Ozean zu fischen, wäre es zielführender, Produkte herzustellen, die stofflich wieder nutzbar sind. Es würde mehr Sinn machen, aus alten Jacken wieder neue zu produzieren.“ Laut Greenpeace findet aber ein sogenanntes Faser-zu-Faser-Recycling kaum statt. Forschung wäre nötig – und Vorgabe aus der Politik.

Stattdessen geht der Trend weiter zu „Fast Fashion“, kurzlebige Kleidung mit geringer Qualität zum günstigen Preis. Der Absatz von Kleidung hat sich nach Berechnungen von Greenpeace seit 2000 mehr als verdoppelt. Im Jahr 2014 wurden erstmals mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke neu produziert, dies entspricht einem Umsatz von 1,8 Billionen US-Dollar. Deutsche Verbraucher kaufen jährlich zehn Kilogramm neue Kleidung. Die Modetrends von heute sind der Müll von morgen.

Kleider sollten länger getragen werden

Für die stetig neuen Gewänder muss natürlich Platz her: Laut einer Greenpeace-Umfrage werden die meisten Kleidungsstücke nach drei Jahren weggeben. Jeder Zweite gab an, Schuhe, Oberteile und Hosen sogar innerhalb eines Jahres auszusortieren. Repariert wird Kleidung dabei selten.

Dabei liegt die Lösung sehr nahe: Kleider einfach länger tragen. Das spart Ressourcen und CO2-Emissionen. Fischer und Priebe raten zu langlebiger Qualitätskleidung aus Naturfasern und vor allem dazu, Fleece zu vermeiden. Denn am Ende bleibt stets das Problem des Mikroplastiks. Durch Faserabrieb beim Tragen oder Waschen in der Waschmaschine gelangt kontinuierlich Mikroplastik ins Abwasser – bei losem Faserverbund wie Fleece sogar noch mehr – und schließlich in unser Ökosystem.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false