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China hat die Importe von Schweinefleisch der Unternehmensgruppe Tönnies gestoppt.

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Kein Tönnies-Fleisch mehr: Wie China der Appetit nach deutschem Schweinefleisch vergeht

Nach den Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen sinkt die Nachfrage in Fernost. Dabei ist der Markt essenziell für die deutsche Fleischindustrie.

Die Nummer 202 ist ausschlaggebend für die chinesischen Fleischgroßhändler. Sie steht für Qualität aus Deutschland. 202 ist die Veterinärnummer aus dem Hause Tönnies. „Wir liefern für den chinesischen Markt hauptsächliche Schweinefleischartikel wie Öhrchen, Schnäuzchen, Pfötchen oder auch ganze Köpfe“, heißt es vom Fleischproduzenten aus Rheda-Wiedenbrück. Für ein Kilo Schweineohren bezahlen chinesische Großhändler etwa 38 Dollar.

Der chinesische Markt ist essenziell für die deutsche Fleischindustrie. Die sogenannten Chen-Produkte, zu denen auch Innereien, Herz und Knorpel gehören, bringen die wichtigen Umsätze für die deutschen Schweinefleischproduzenten. Denn hierzulande drückt der Preiskampf bei den Discountern auf die Margen. Deshalb hat Konzern-Chef Clemens Tönnies schon lange lieber auf Wachstum im Ausland gesetzt. Schon im Oktober 2014 schwärmte er in einem Interview: „Wir schicken viele Ladungen nach China, die Exporte steigen monatlich.“

Doch seitdem sich mehr als 1500 Mitarbeiter von Tönnies beim Fleischwerk Rheda-Wiedenbrück innerhalb von kürzester Zeit mit dem Coronavirus infizierten, hat China die Einfuhr von Schweinefleisch aus dem Werk von Tönnies gestoppt. Zwar sorgte schon die Corona-Pandemie für einen Nachfrage-Rückgang in China. Zolldokumente zeigen chinesischen Medien zufolge nun aber, dass China seit dem 18. Juni den Import von Fleischprodukten aus Schlachthöfen oder Kühlhäusern der Unternehmensgruppe Tönnies eingestellt hat.

Tönnies hat schon seit mehr als zehn Jahren eine Exportgenehmigung für China. Davor hatte er seine Produkte über Hongkong auf das chinesische Festland verkauft. Inzwischen erzielt Tönnies mit dem Export seiner Produkte nach Asien mindestens 20 Prozent seiner Einnahmen.

Was hier kaum jemand essen will, gilt in China als Delikatesse

Noch besser für ihn: In Rheda-Wiedenbrück und anderen Schlachthöfen des Unternehmens würden zudem noch Entsorgungskosten für „Abfälle“ anfallen, die hier in Deutschland niemand essen will. In China hingegen gelten Schweinefüße und -ohren als Delikatessen. Und nicht nur Tönnies hat die Volksrepublik als Markt für sich entdeckt. „Jede zehnte Tonne des in Deutschland geschlachteten Schweinefleischs ging 2019 nach China“, sagt Mechthild Cloppenburg, Marktexpertin Fleischwirtschaft von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Und bisher war der Export problemlos.

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Und Tönnies hatte große Pläne in China. Die Kontakte waren so gut, dass in diesem Jahr ein Schlachtbetrieb in Sichuan geplant war, auf dem langfristig bis zu sieben Millionen Schweine im Jahr geschlachtet werden sollten. Gemeinsam mit einem chinesischen Partner hätte Tönnies 500 Millionen Euro in die Schweinezucht und Schlachtung investiert. Die südchinesische Provinz Sichuan ist bekannt für seine scharfen Feuertöpfe, in der Schweinefleisch nicht fehlen darf.

Export hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreißigfacht

Chinas Verbraucher konsumieren etwa die Hälfte des weltweiten Schweinebestands im Jahr und das Land ist zu einem wichtigen Exportmarkt für Europa geworden. Noch ist in der EU Spanien der größte Fleischlieferant für China, dicht gefolgt jedoch von Deutschland. Export von Fleisch aus Deutschland hatte sich zuletzt gegenüber 2010 verdreißigfacht, auch wenn es jüngst einen leichten Rückgang gab.

Die Ringelschwänzchen von Schweinen gelten in China als Delikatesse.
Die Ringelschwänzchen von Schweinen gelten in China als Delikatesse.

© dpa

Doch 2019 drückte der Handelsstreit zwischen den USA und China weltweit auf die Schweinefleischpreise, denn Fleischexporte aus den USA drängten auf andere Märkte, weil sie nicht mehr nach China verkauft werden konnten. Gleichzeitig aber stiegen die Schweinefleischpreise in China teils um über 110 Prozent. Wegen der Afrikanischen Schweinepest (ASP) hat China 2019 laut Schätzungen der Rabobank 35 bis 40 Prozent seiner Schweinepopulation gekeult, was rund 20 Prozent des weltweiten Schweinebestands entspricht.

Tönnies profitierte vom China-Geschäft

Auch davon hat Tönnies profitiert. Die Unternehmensgruppe erwirtschaftete im Jahr 2019 einen Jahresumsatz von rund 7,3 Milliarden Euro – 9,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Geschäftsführer Andreas Ruff erklärt das damit, dass die Fleischindustrie wegen der „hohen Nachfrage aus Asien nach Schweinefleisch seit Herbst 2019 einen recht starken Anstieg der Schweinepreise erlebt“. 2018 hatte der Fleischkonzern noch einen Rückgang um 3,6 Prozent auf 6,65 Milliarden Euro hinnehmen müssen. Zum Unternehmensgewinn macht der Familienbetrieb keine Angaben.

Laut dem Verband der deutschen Fleischwirtschaft (VDF) hat Deutschland insgesamt rund 2,87 Mio. Tonnen Schweinefleisch exportiert. Von diesen Exporten gingen 65 Prozent in die EU. Nach China gingen im vergangenen Jahr 599 235 Tonnen Schweinefleisch. Diese Menge war 2019 aufgrund der ASP-Fälle in China deutlich höher als in den Jahren zuvor. In China sei derzeit aber eine Herdenerholung im Gange, die schneller verläuft als erwartet und auch die ASP-Situation in Vietnam stabilisiert sich.

Beobachter erwarten Rekordimporte

Für 2020 wird jedoch ein weiterer Rückgang der Produktion erwartet. Auf den Philippinen breitet sich die Krankheit weiter aus. Daher werden China und Südostasien in nächster Zeit die Schweinefleischimporte wohl weiter steigern. Die Rabobank rechnet damit, dass Chinas Schweinefleischimporte sogar ein Rekordniveau erreichen werden.

Doch die Afrikanische Schweinepest ist nicht nur in Asien, sondern auch in Europa verbreitet. In der Ukraine, Bulgarien, Rumänien oder Polen werden ständig Ausbrüche gemeldet. Auch deswegen könnte Peking weitere Importverbote für Fleischprodukte aus der EU verhängen. Doch bisher hatte die Corona-Pandemie die Nachfrage aus China nochmal ordentlich angekurbelt. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch berichtete, lief die Produktion in Deutschland in mehreren Fleischbetrieben auf Hochtouren. In den ersten vier Monaten dieses Jahres stieg der Umsatz des Gewerbes um 14,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Weil der Exportanteil so hoch war, bedeutete das für Verbraucher in Deutschland deutlich gestiegene Preise: Im Mai 2020 lagen sie 11,2 Prozent höher, als ein Jahr zuvor.

Ning Wang

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