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Stehen die Zeichen bald wieder auf rot? Nach der GDL erwägt nun die EVG Bahnstreiks.

© imago images/Ralph Peters

Kein Tariffrieden und wachsende Schulden: Der Herbst bei der Bahn wird ungemütlich

Nach der GDL droht nun die EVG mit Bahnstreiks. Für eine notwendige Bahnreform stehen die Zeichen schlecht. Alle Beteiligten stehen vor schwierigen Gesprächen.

Als sich am Donnerstag gerade Erleichterung über das Ende der Bahnstreiks breit machte, versuchte Klaus-Dieter Hommel mit markigen Sprüchen dagegen zu halten. Der Tarifkonflikt bei der Bahn habe nun „erst richtig begonnen“, sagte der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zornig.

Nach drei langen Streikrunden hat sich die Deutsche Bahn mit der Lokführergewerkschaft GDL auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Doch nun droht die größere EVG ihrerseits mit Streiks. „Wir bereiten uns auf Verhandlungen vor, aber auch auf Maßnahmen bis hin zum Arbeitskampf“, sagte Hommel. Das Angebot der Bahn, den GDL-Abschluss einfach zu übernehmen, will die Gewerkschaft schon aus Selbstachtung nicht annehmen

Von einem echten Tariffrieden ist die Bahn mithin noch weit entfernt. Der Überbietungswettbewerb der beiden verfeindeten Bahngewerkschaften droht weiterzugehen. Allerdings stellt sich schon die Frage, wie die EVG in Verhandlungen mehr als die GDL rausholen will, nachdem sie über Monate erzählt hat, dass der Deutschen Bahn für teure Tarifabschlüsse das Geld fehlt.

Zudem steht die EVG inzwischen relativ isoliert da. So hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), zu dem die EVG gehört, die von Klaus-Dieter Hommel beklagte Schlichtung der Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) und Stephan Weil (SPD) mitinitiiert. In diesem Konflikt geht es allerdings längst um mehr als nur Tariffragen. Verhandelt wird auch die Zukunft der Deutschen Bahn AG.

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Denn die EVG hatte 2020 auf einen attraktiven Tarifabschluss freiwillig verzichtet, um den Konzern in seiner jetzigen Form zu erhalten und sieht sich nun in gleich mehrfacher Hinsicht betrogen. Angeschlagen wie sie ist, dürfte sie damit nach der Bundestagswahl zur entschiedenen Gegnerin einer etwaigen Bahnreform werden.

Klaus-Dieter Hommel steht vor einem Scherbenhaufen

Um das besser zu verstehen, hilft es, ein wenig zurückzublicken. Als die Deutsche Bahn im Frühjahr 2020 mit leeren Zügen durchs Land rollte und auf ein Rekorddefizit in Milliardenhöhe zurauschte, schloss die EVG mit der Deutschen Bahn und der Bundesregierung das sogenannte „Bündnis für unsere Bahn“.

Der Deal: Die EVG übt Gehaltsverzicht, das Bahnmanagement verkauft das dem Eigentümer als Konsolidierungsbeitrag, im Gegenzug gibt die Bundesregierung dem Konzern in der Coronakrise zusätzliches Eigenkapital. Damit wollte die EVG die Arbeitsplätze aller Beschäftigten im seit Jahren kriselnden Staatskonzern sichern. Die Sache hatte allerdings einen entscheidenden Haken: Die GDL war an der Absprache nicht beteiligt.

Nachdem DB-Personalvorstand Martin Seiler der GDL nach langem Ringen nun einen Tarifvertrag mit deutlich besseren Konditionen ermöglichte, kündigte EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel verärgert an, dass er den 2020 geschlossenen Tarifvertrag mit der Bahn per Sonderklausel kündigen wird und erklärte das „Bündnis für unsere Bahn“ für beendet.

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Hommel, der im April 2020 überraschend zum EVG-Vorsitzenden wurde, nachdem sein Vorgänger Torsten Westphal nach nicht mal einem halben Jahr aus persönlichen Gründen zurücktrat, steht vor einem Scherbenhaufen. Im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn hat ihn GDL-Chef Claus Weselsky vorgeführt. In den für das Fahrgeschäft zuständigen DB-Töchtern DB Cargo, DB Fernverkehr und DB Regio droht die kleine Lokomotivführergewerkschaft nun die EVG zu verdrängen.

Zudem gelang es Hommel mit dem Bündnis auch nicht, den DB-Konzern zu stabilisieren. Die Coronahilfen des Bundes hat die Bahn bisher kaum erhalten. „Von den versprochenen acht Milliarden Euro sind bisher nur 28 Millionen Euro geflossen“, sagte Hommel, der zugleich stellvertretender DB-Aufsichtsratschef ist. Ende 2021 dürfte der Schuldenberg der Deutschen Bahn auf 32 Milliarden Euro gewachsen sein. Damit rückt nach der Bundestagswahl eine Radikalkur für den Staatskonzern wieder in den Fokus, die Hommel mit dem Bündnis eigentlich verhindern wollte: die Zerschlagung.

Streit um Bahnreform droht heftig zu werden

Grüne und FDP wollen den Staatskonzern mit über 500 Tochterunternehmen radikal verkleinern und das Gleisnetz in eine bundeseigene Infrastrukturgesellschaft überführen. Das Fahrgeschäft der Deutschen Bahn würden die Liberalen anschließend gern privatisieren, während die Grünen hierfür eine GmbH in Bundeseigentum gründen wollen.

Insbesondere die Grünen bereiten sich seit Jahren auf eine Übernahme des Verkehrsministeriums vor und haben für die Reform detaillierte Konzepte entwickelt. Nach dem Ende der GDL-Streiks möchte die Ökopartei deshalb möglichst rasch endlich wieder über den Bahnverkehr der Zukunft diskutieren.

So veröffentlichen die Grünen an diesem Dienstag fünf Thesen für die „schnelle Stärkung des Klimaschützers Schiene“. In dem Papier, das Tagesspiegel Background vorliegt, finden sich einige Klassiker: Die Grünen wollen in Zukunft pro Jahr drei Milliarden Euro in den Ausbau des Netzes investieren, einen Infrastrukturfonds nach Schweizer Vorbild schaffen und Städte wie Trier, Chemnitz und Heilbronn wieder an den Fernverkehr anbinden.

Zum anhaltenden Tarifstreit bei der Bahn äußert sich Grünen–Bahnexperte Matthias Gastel hingegen nur auf Nachfrage. Nachdem die EVG einen vergleichbaren Tarifvertrag wie die GDL abgeschlossen hat, solle die Friedenszeit genutzt werden, „um zwischen den drei beteiligten Akteuren einen gemeinsamen Weg im Unternehmen Deutsche Bahn zu finden“, sagte er.

Verkauf von Schenker als Kompromiss?

Auch Gastel dürfte jedoch klar sein, dass die EVG nach den Demütigungen der letzten Woche nicht nur im Tarifkonflikt, sondern auch im Streit um die Zukunft der Bahn eine Eskalation erwägt. Gegen die Trennung von Netz und Betrieb kämpft sie seit mehr als einem Jahrzehnt – mit Unterstützung der SPD. Doch in einer etwaigen Dreierkoalition nach der Bundestagswahl können Grüne und Liberale zusammen wohl Zugeständnisse verlangen.

Der Verkauf der Speditionstochter Schenker wäre ein möglicher Kompromiss. Nach der Einschätzung von Experten winken der Bahn hierbei etwa zehn bis zwölf Milliarden Euro. Das wäre ein erheblicher Beitrag zur Konsolidierung des Konzerns. Zudem würde die Deutsche Bahn AG auf einen Schlag 30 bis 40 Prozent kleiner und damit weniger komplex. Das Management könnte sich mehr aufs Kerngeschäft, den Bahnverkehr in Deutschland und Europa, konzentrieren. Außerdem würde der Overhead deutlich kleiner. Laut Insidern verursacht er derzeit 750 Millionen bis eine Milliarde Euro mehr pro Jahr als bei vergleichbaren Unternehmen.

Doch die EVG sieht auch den Straßenlogistiker Schenker als integralen Teil des Bahnkonzerns. Und die Gewerkschaft hat ein erhebliches Druckmittel. Sie organisiert die Mitarbeiter in den Stellwerken. Damit kann sie den Bahnbetrieb noch empfindlicher stören als die Lokführergewerkschaft GDL.

So droht der Herbst ungemütlich zu werden. Nur einer dürfte dabei im Bahnumfeld ganz gelassen sein: Claus Weselsky. Unter ihm hat sich die GDL vor einem guten Monat in einem Bündnis mit Fahrgastvertretern und DB-Wettbewerbern noch einmal ausdrücklich für eine zweite Bahnreform ausgesprochen.

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