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Nicola Fuchs-Schündeln ist Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Kaum VWL-Professorinnen in Deutschland: Mehr Ökonominnen gesucht

Noch immer eine Männerdomäne: Nur 20 Prozent der VWL-Professuren sind mit Frauen besetzt. Wie Ökonominnen das ändern wollen.

Von Carla Neuhaus

Auf Fachkonferenzen oder in Sitzungen der Universität passiert Dorothea Kübler eines immer wieder. „Man hält mich für die Sekretärin oder die Frauenbeauftragte.“ Unterbewusst wird unterstellt, dass sie eins ja nicht sein kann: Professorin.

„Das nervt“, sagt Kübler, die an der Technischen Universität Berlin eine Professur für Volkswirtschaftslehre hat und Direktorin am Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) ist. Spezialisiert hat sie sich auf die experimentelle Wirtschaftsforschung. Die Liste ihrer Publikationen ist lang, viele sind in renommierten Fachjournalen erschienen.

Küblers Erfahrungen decken sich mit denen anderer Ökonominnen. Denn die Wirtschaftswissenschaften sind bis heute eine Männerdomäne. Zwar liegt der Frauenanteil bei den Bachelorabsolventen immerhin bei 35 Prozent.

Doch je weiter es auf der wissenschaftlichen Karriereleiter nach oben geht, desto niedriger wird er. Lediglich 20 Prozent der VWL-Professuren sind hierzulande mit Frauen besetzt, zeigt die Untersuchung eines Teams um den Frankfurter Ökonom Guido Friebel, das Daten der European Economic Association ausgewertet hat. EU-weit gibt es demnach nur fünf Länder, in denen die Frauenquote noch schlechter ausfällt.

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Dabei ist die Sichtbarkeit von Frauen in der Ökonomie weltweit ein Problem. Erst zum zweiten Mal hat in diesem Jahr mit Esther Duflo eine Frau den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen. In der Geschichte der höchsten Auszeichnung für Ökonomen stehen damit zwei Preisträgerinnen 83 Preisträgern gegenüber.

Wohl auch deshalb sagte Duflo bei der Verkündung, sie wolle für alle Ökonominnen stehen, die noch immer untergingen. Sie wolle Frauen inspirieren, ihrer Forschung nachzugehen. Außerdem solle ihre Auszeichnung männliche Kollegen dazu bringen, Frauen den Respekt für ihre Forschungsarbeit zu zollen, den sie verdienten.

Esther Duflo ist erst die zweite Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhält.
Esther Duflo ist erst die zweite Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhält.

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Denn das scheint unter manchen Ökonomen noch immer nicht selbstverständlich zu sein. Eine Umfrage der American Economic Association unter 9000 Ökonominnen zeigt: Rund die Hälfte von ihnen ist nach eigenen Angaben im Wissenschaftsbetrieb schon einmal aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden. Dabei geht es nicht nur darum, wer eine Professur erhält und wer nicht. Auch bei Publikationen in namhaften Journalen und bei der Verteilung von Forschungsgeldern fühlen sich Frauen demnach im Nachteil.

Nicola Fuchs-Schündeln, Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hält das für ein Problem. „Uns geht Talent verloren“, sagt sie. „Es gibt viele Ökonominnen, die sehr gute Professorinnen werden könnten, aber auf dem Weg dorthin aufgeben.“ Als Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik arbeitet sie deshalb derzeit an einem Statusbericht. Das Ziel: „Wir wollen herausfinden, an welcher Stelle der Karriere uns die Frauen verloren gehen.“ Denn detaillierte Zahlen gibt es dazu für Deutschland bislang nicht. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass es hierzulande ähnlich läuft wie in den USA, wo der Anteil der VWL-Professorinnen ebenfalls sehr gering ausfällt. Auf eine Frau, die ihren Doktor in Ökonomie macht, kommen dort zwei Männer. Auf jede Assistenzprofessorin kommen bereits drei männliche Kollegen. Bis schließlich auf jede Vollzeitprofessorin sechs Männer kommen.

Woran das liegt?  „Das dürfte eine Mischung aus Karrierehindernissen und persönlichen Vorlieben sein“, sagt Kerstin Bernoth, die Professorin an der Hertie School of Governance in Berlin ist und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellvertretend die Abteilung für Makroökonomie leitet.

Kerstin Bernot ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hertie School of Governance Berlin.
Kerstin Bernot ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hertie School of Governance Berlin.

© promo

Wer eine Professorenstelle anstrebt, ist häufig noch immer gezwungen, über die Jahre hinweg mindestens ein bis zwei Mal den Wohnort zu wechseln. Dazu kommt, dass der Erfolg von Ökonomen zu einem großen Teil davon abhängt, wie häufig sie ihre Arbeit auf Fachkonferenzen vorstellen. „Das ist mit viel Reisetätigkeit verbunden“, sagt Bernoth. „Forschung und Familie sind deshalb oft nur schwer miteinander zu vereinbaren.“ Die Berliner Professorin hat selbst eine zweijährige Tochter. Die Professur, die Forschung am DIW und die Familie – das bringt sie nur unter einen Hut, weil ihr Mann mithilft. Als Arzt hat er seine Sprechstunde auf den Samstag ausgedehnt, um auch unter der Woche die Tochter aus der Kita abzuholen.

Zusätzlich zur Vereinbarkeit von Familie und Forschung spielt aber auch noch etwas anderes eine Rolle: „Frauen haben mehr Selbstzweifel“, sagt Bernoth. Sehr viel eher als Männer stellen sie sich die Frage: Schaffe ich es überhaupt, eine Professur zu ergattern? Auch Dorothea Kübler kennt diese Zweifel. „Ich komme aus einer Professorenfamilie“, sagt sie. „Trotzdem hatte ich als junge Frau das Gefühl, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ich einmal Professorin werde.“ Erst als sie im Ausland forschte – zunächst in Berkeley, später in Harvard –, verschob sich ihre Perspektive. „Ich habe gemerkt, bei meinen Kollegen in Deutschland wird auch nur mit Wasser gekocht.“ Jungen Ökonominnen rät sie deshalb, dranzubleiben, nicht aufzugeben.

Dorothea Kübler ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin.
Dorothea Kübler ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin.

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Dass das nötig ist, zeigt die Europäische Zentralbank (EZB). Sie hat in einer anonymen, internen Umfrage herausgefunden, dass Ökonominnen sich seltener von sich aus für eine Beförderung bewerben als ihre männlichen Kollegen. Wenn sie es aber doch tun, werden sie sehr viel eher ausgewählt als ihre Konkurrenten. Ökonominnen haben in der EZB also an sich gute Chancen, Karriere zu machen. Und das liegt nach Erkenntnissen der Zentralbanker nicht daran, dass man sie als Quotenfrau auswählt, sondern an ihrer Qualifikation: Zumindest leiten sie das aus den hohen Gehältern ab, die die Ökonominnen nach der Beförderung erhalten.

Wie die EZB machen sich auch Universitäten inzwischen Gedanken darum, wie sie gezielt mehr Forscherinnen gewinnen können. Einen besonders drastischen Schritt geht die Technische Universität Eindhoven in den Niederlanden, an der der Frauenanteil mit 12,6 Prozent besonders niedrig ist. Als Reaktion sollen dort nun in den kommenden fünf Jahren offene Stellen nur mit Frauen besetzt werden. Erst wenn sich über sechs Monate hinweg keine geeignete Bewerberin findet, sollen Männer zum Zug kommen.

Aus ökonomischer Sicht sei solch eine Quote aber nur die zweitbeste Lösung, sagt Fuchs-Schündeln. Deshalb suchen sie und ihre Kolleginnen nach anderen Möglichkeiten, Ökonominnen zu fördern. Bei der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik gab es in diesem Jahr zum Beispiel eine eigene Paneldiskussion zu den Hürden von Frauen in der akademischen Karriere, an der auch Männer teilnahmen. Außerdem ging es auf einer eigenen Veranstaltung rein für Frauen um die Frage, wie Wissenschaftlerinnen eine Work-Life-Balance finden. Oder wie man seine Forschungsschwerpunkte wählt. Die Idee: Frauen miteinander zu vernetzen, ihnen das Gefühl zu geben, keine Einzelkämpferinnen zu sein. Zu diesem Zweck hat Kerstin Bernoth mit Kolleginnen am DIW in diesem Jahr auch erstmals eine Konferenz nur für Frauen veranstaltet, die zur Makroökonomie forschen – einem Feld, auf dem besonders viele Männer arbeiten.

Als Nächstes wollen Fuchs-Schündeln und Kübler die vielen Ökonominnen sichtbarer machen, die es trotz allem in Deutschland gibt. Mehrere Hundert haben sie angeschrieben, um ihre Namen samt Forschungsfeld demnächst in einer Liste zu veröffentlichen. Damit wollen sie zum Beispiel erreichen, dass mehr Frauen zu Fachkonferenzen oder Paneldiskussionen eingeladen werden. Kübler hofft, auch dadurch häufiger für das gehalten zu werden, was sie ist: eine erfolgreiche Wissenschaftlerin und Professorin.

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