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Energie auftanken. Das Staatsballett Berlin hat für seine Tänzer Schlafräume eingerichtet. Sarah Mestrovic legt sich hier gern mal nieder.

© Georg Moritz

Schlafen am Arbeitsplatz: In die Ruhebox

Ein kurzes Schläfchen am Arbeitsplatz, das sehen Chefs gewöhnlich nicht gern. Dabei spricht vieles dafür, sagen Experten. Einige wenige Arbeitgeber haben inzwischen Betten aufgestellt.

Zunächst fühlt man sich an eine Dunkelkammer erinnert, dann an einen Schlafwagen. Sarah Mestrovic schreitet an vier kleinen, abgetrennten Boxen entlang, die von viel schwarzem Stoff umgeben sind. In der ersten, etwa zwei Quadratmeter großen Box steht eine Hightech-Liege mit beleuchteter Liegefläche, in der nächsten ein Massagesessel. In den beiden weiteren Kojen befinden sich gemütliche Betten mit frisch bezogener Bettwäsche. Im ganzen Raum ist es zappenduster.

„Dies ist mein Lieblingsbett, das hat so ’ne tolle Matratze“, sagt Mestrovic, die sich gerade in einem sehr speziellen Darkroom an ihrem Arbeitsplatz befindet. „Ich schlafe meist vor der Vorstellung“, sagt sie, „erst esse ich was und dann lege ich mich hin.“ Mestrovic ist Tänzerin des Berliner Staatsballett. Seit zwei Jahren verfügt das Ensemble, das in der Deutschen Oper im Berliner Westen seine Trainingsräume hat, über diesen eigens eingerichteten Ruhe- und Schlafbereich. „Die Tänzerinnen und Tänzer nutzen es gerne zum kurzen Nappen“, sagt Eva Czaja, die beim Staatsballett für die Presse zuständig ist.

Napping ist kein neues Wellness-Trend

Wenn an dieser Stelle nun vom „Nappen“, „Napping“ oder „Powernapping“ die Rede ist, so sprechen wir nicht vom neuesten heißen Wellness-Trend, sondern eigentlich nur von einem sehr alten Phänomen: dem einfachen Nickerchen zwischendurch. Während der Arbeitszeit, so sind sich Schlafforscher einig, ist ein kurzes Schläfchen in der Phase eines Müdigkeitstiefs sinnvoll. „Danach ist man wieder fitter, leistungsfähiger und kann sich besser konzentrieren“, sagt Ingo Fietze, der das Schlafmedizinische Zentrum an der Berliner Charité leitet. Der 53-Jährige ist bundesweit einer der bekanntesten Apologeten des Powernaps.

Gemeint ist mit einem Powernap der kurze, bis zu 40-minütige Schlaf, bei dem die Tiefschlafphase nicht erreicht wird. „Wir sprechen hier nicht vom Mittagsschlaf“, betont Fietze. Denn schlafe man länger und falle in den Tiefschlaf, erklärt er, erreiche man nur schwerlich wieder den Wachzustand – man fühle sich bleiern und müder als zuvor.

Das Problem ist: Hierzulande ist es fast ein Tabu, auf der Tastatur zu dösen oder sich während der Mittagszeit im Büro auf ein Sofa zu fläzen. „Es ist mühsam, den Schlaf bei der Arbeit in Deutschland zu einem besseren Ruf zu verhelfen“, erklärt Fietze. Denn diesbezüglich hat ein Sinneswandel noch nicht eingesetzt: Es sind eher die Berufe, in denen Schlaf wichtig bis lebensnotwendig ist, in denen dies akzeptierter ist. Bei der Lufthansa etwa gibt es Ruheräume für Mitarbeiter und Piloten – für letztere hat das Unternehmen gar eine „Napping policy“. Während sich beim Bund Deutscher Arbeitgeber (BDA) niemand zu dem Thema äußern will, hat sich mit Annelie Buntenbach ein Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bereits 2011 für das kurze Mittagsschläfchen ausgesprochen.

Beim Ballett sind – wie bei den Hochleistungssportarten auch – Ruhepausen und Schlaf hingegen nichts Ungewöhnliches oder gar verpönt. „In unserem Beruf ist Schlaf wichtig. Die Beine sind einfach oft schwer“, erzählt Mestrovic.

Vor der Aufführung schläft sie bis zu einer Stunde

Mestrovic berichtet von ihren durchgetakteten Arbeitstagen. Morgens Bodengymnastik, dann Training. Nach der Mittagspause geht sie zur Probe, dann gibt es eine kurze Pause und wieder Probe. Abends hat Mestrovic, die oft als Solistin in den Stücken besetzt wird, dann häufig noch Aufführungen – bis zu dreimal pro Woche. „In den Pausen kann ich nicht mal eben nach Hause fahren“, sagt die in Prenzlauer Berg lebende Tänzerin, „außerdem stresst mich dann als erstes schon das Autofahren. Da bleibe ich doch lieber hier und nutze den Ruheraum.“

Sie schläft dann bis zu einer Stunde, nie länger. In der Regel stellt sie sich den Wecker. Inzwischen kann man im Ruheraum aber mit Lichteffekten in den Schlaf fallen und sich wieder wecken lassen: Eingebaute Lampen können etwa über das Tablet gedimmt und programmiert werden. So wird der Raum zur gewünschten Weckzeit erhellt – mit warmem, gelbem Licht.

Andere Unternehmen halten es da schlichter und man kann in einfachen Ruheräumen auf Sesseln oder Liegen vor sich hindösen, wie bei IBM. Eine lebhafte Debatte gab es in Berlin, als 2007 beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf Ruheräume für Mitarbeiter eingerichtet werden sollten. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, man sehe das Bedürfnis der Mitarbeiter nicht.

Während viele Programmierer im Silicon Valley den Powernap schon in den 80ern genutzt haben sollen, ist er – vor allem in den USA – als regenerative Maßnahme am Arbeitsplatz in den frühen Nullerjahren wieder vermehrt ins Gespräch gekommen. Der Powernap sei eine mögliche Antwort auf die Belastungen der heutigen Arbeitswelt, sagt Ingo Fietze. „Die meisten Menschen bekommen maximal noch sieben Stunden Schlaf“, erklärt er, „daher gibt es immer ein bisschen Nachholbedarf.“ Wer die acht Stunden nachts vollmache, brauche keinen Powernap. Auf den Schlaf- und Ruhemangel in heutiger Zeit machten die Berliner Sophiensäle bereits im Jahr 2000 aufmerksam, als sie den Mittagsschlaf gegen Entgelt im Rahmen eines Theaterprojekts anboten.

Jeder Mensch mit Schlafdefizit falle in drei Müdigkeitstiefs am Tag, erklärt Fietze. Die fallen je nach Typ kleiner oder größer aus. Auch von mehreren Powernaps am Tag rät er daher nicht kategorisch ab. Wenn man „Frühtyp“ ist, also morgens eher fitter, falle man zwischen 12 und 14 Uhr in das größte Müdigkeitstief, bei den „Spättypen“, den abends aktiveren Menschen, trete es zwischen 16 und 18 Uhr ein.

Fietze selbst bezeichnet sich als „Zwischentypen“. Er selbst praktiziert selbstverständlich auch den Powernap. Dann findet man ihn am späten Nachmittag schon mal schlafend in seinem Büro – den Kopf auf den Armen liegend, gen Schreibtisch niedergesunken. Wie er sich selbst fühlt, wenn er auf seiner Tastatur wieder aufwacht? „Es gibt einen kleinen ‚Wach-Kick‘, man spürt, dass die Augen wieder richtig auf sind“, sagt er, „das ist ähnlich wie nach einem Sekundenschlaf am Steuer.“

Eine Überraschung hält die mittägliche Kultur des Nickerchens dann aber auch noch bereit. So kann es sogar sinnvoll sein, einen Espresso direkt vor dem Schläfchen zu trinken. Denn der Koffein wirkt erst nach 20 bis 30 Minuten – und kann einen, wenn man direkt nach dem Trinken einnickt, wieder aufwecken.

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