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Nicht nur gen Mekka. Die Imame sollen durch das Weiterbildungsprogramm zu einer vermittelnden Instanz werden zwischen deutschen Bildungsstätten und der muslimischen Gemeinde. Nur wenn sie die Belange der Muslime in Deutschland kennen, können sie helfen. Doch nicht alle islamischen Verbände stehen dem Projekt positiv gegenüber. Foto: dpa

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Imame: Eine Brücke bauen

Imame lernen an der Uni Osnabrück, die Deutschen zu verstehen. Und werden so zu Wegbereitern für Integration.

Ein Arbeitstag beginnt früh für Mehmed Jakubovic. Zu Sonnenaufgang verrichtet er das erste Gebet gen Mekka gerichtet, zusammen mit seiner Familie. Dann macht er sich auf den Weg in die Moschee, wo er mit den Gemeindemitgliedern über den Tag verteilt weitere vier Male betet. Dazwischen unterrichtet er Jugendliche und Erwachsene in islamischer Religion und bereitet Hochzeiten und Beerdigungen vor. Er führt viele Gespräche mit den Gemeindemitgliedern, redet mit ihnen über deren Sorgen und Nöte.

Mehmed Jakubovic ist einer der 30 Imame, die seit Oktober dieses Jahres an einem neuen Weiterbildungsprogramm für muslimische Geistliche an der Universität Osnabrück teilnehmen. „Die meisten Imame kommen nach Deutschland und sind schlecht auf die Situation vorbereitet, verstehen die Sprache nicht, kennen die kulturellen Gepflogenheiten nicht und müssen sich erst einmal den Problemen der hier in Deutschland lebenden Muslime stellen“, sagt Rauf Ceylan, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Osnabrück und Autor des Buches „Die Prediger des Islam. Imame – wer sie sind und was sie wirklich wollen.“

Ceylan und sein Kollege, Professor Bülent Ucar, sind die Wegbereiter des Weiterbildungsprogramms für Imame, das als Vorläufermodell für den im kommenden Herbst beginnenden Studiengang Islamische Theologie an den Universitäten Osnabrück und Münster gesehen werden kann. Anders als in den muslimischen Herkunftsländern, wo die Religion in der Familie, im Religionsunterricht und in der Moschee vermittelt wird, „lastet hier in Deutschland meist die gesamte religiösen Erziehung auf den Schultern des Imams“, erklärt Rauf Ceylan. Und: „Von den in Deutschland arbeitenden Imamen wird daher viel mehr verlangt.“

Auch Mehmed Jakubovic, der aus Nord-Ost-Bosnien stammt und mit seiner Familie vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen ist, kann das bestätigen. „Die Arbeit als Imam in der Diaspora ist eine große Herausforderung. Menschen, die schon seit zehn, 20 Jahren hier leben, haben ganz andere Probleme und Sorgen als die Menschen in der Heimat.“

Das neue Weiterbildungsprogramm soll diese Herausforderungen angehen und die in Deutschland lebenden und praktizierenden Imame und Seelsorgerinnen unterstützen und fördern. Neben 25 Imamen nehmen auch fünf Frauen an dem Weiterbildungsprogramm teil. Weibliche Imame gibt es im Islam nicht, dafür aber weibliche Seelsorger, die alle Aufgaben eines Imams übernehmen können, mit Ausnahme der Leitung des Gottesdienstes. „Frauen sind für die Arbeit in den Gemeinden fast wichtiger als Männer, da sie gerade im Bereich Seelsorge ein feineres Gespür haben“, sagt Rauf Ceylan.

Mehmed Jakubovic, der in Sarajevo islamische Theologie studiert hat, lebt zwar schon seit fast 20 Jahren in Deutschland und versteht und spricht die Sprache gut. Trotzdem kann er durch das Weiterbildungsprogramm sein Deutsch weiter verbessern und lernt Fachbegriffe aus dem Bereich der Religion. „So kann man mich in Diskussionen viel besser verstehen. Die Sprache ist einfach die Brücke zwischen den Menschen.“

Neben dem Deutschunterricht sind deutsche Geschichte und Religionspädagogik wichtige Bestandteile des Programms, aber auch Themen wie die Rolle der Frau in der europäischen Gesellschaft sind Teil des Seminarplans. Der Besuch des deutschen Bundestags ist ebenso geplant wie der Besuch eines Konzentrationslagers. „Anne Frank kennt jeder, der in Deutschland zur Schule gegangen ist. Den Imamen müssen wir das Thema Nationalsozialismus, zweiter Weltkrieg und Holocaust jedoch erst begreiflich machen“, sagt Rauf Ceylan. Auch ein Rabbiner ist unter den Dozenten, der den Imamen die jüdische Religion und die Geschichte der Juden in Deutschland näher bringt und sie für dieses Thema sensibilisiert.

Besonders wichtig sei es jedoch, den Imamen Know-how im Bereich der Jugend- und Gemeindearbeit zu vermitteln. „Viele Imame wollen in diesem Bereich in den Gemeinden helfen, wissen aber einfach nicht, wie – weil sie die deutschen Behörden nicht gut genug kennen“, sagt Ceylan. Das Weiterbildungsprogramm sei auch dazu da, dass die Imame zukünftig besser als vermittelnde Instanzen fungieren können.

Auch für Avni Altiner, Vorsitzender der Schura Niedersachsen, dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen, haben die Imame eine sehr wichtige Vermittlerrolle: „Die Imame müssen zukünftig eine Brückenfunktion gegenüber den deutschen Bildungsstätten haben. Sie müssen die Sprache und Alltagsprobleme der Kinder verstehen, sie müssen interreligiöse Dialoge führen können.“ Altiner wünscht sich schon seit neun Jahren, dass sowohl die Imame, als auch muslimische Religionslehrer in Deutschland ausgebildet werden und begrüßt auch den geplanten Studiengang Islamische Theologie voll und ganz: „Wir vertrauen der Universität Osnabrück und freuen uns, dass im Wintersemester 2011 auch der erste Studiengang für Islamische Theologie startet.“ Nicht alle Verbände in Deutschland reagieren so positiv auf das Weiterbildungsprogramm wie die Schura, die die Interessen der Moscheegemeinden von ganz Norddeutschland vertritt. „Von manchen Verbänden werden wir auch kritisch beäugt“, sagt Rauf Ceylan. Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., die Imame aus der Türkei nach Deutschland entsendet, habe sich bisher nicht befürwortend gegenüber dem Weiterbildungsprogramm geäußert.

Natürlich hat die Integrationsdebatte der vergangenen Wochen das neue Weiterbildungsprogramm für Imame ganz besonders ins Rampenlicht gerückt. „Die Integrationsdebatte hat gezeigt, dass in der Bevölkerung viele Ängste und Vorurteile herrschen und dass deshalb auch ein intensiver Dialog mit den Imamen notwendig ist“, macht Rauf Ceylan deutlich. Doch bei dem Weiterbildungsprogramm geht es ihm um mehr. Auch Themen wie Sterbehilfe oder Kriegseinsätze im Ausland sollten thematisiert werden. „Stellen Sie sich einmal vor, in welche Situation ein Muslime in der deutschen Bundeswehr kommt, wenn er bei einem Auslandseinsatz gegen Menschen seiner Religion kämpfen muss“, sagt Rauf Ceylan.

Mehmed Jakubovic weiß jetzt, dass es die Jugendfürsorge und Wohlfahrtseinrichtungen gibt, die auch seinen Gemeindemitgliedern weiterhelfen können. Auch in das deutsche Rechtssystem hat er tiefere Einblicke bekommen und sich bereits mit Punkten des deutschen Grundgesetzes, wie Menschenrechte und Glaubensfreiheit, auseinandergesetzt. „Es ist eine große Ehre für mich, dass ich all diese Dinge lernen und ein ganz neues Netzwerk aufbauen kann, und nicht länger Fremder sein muss“, sagt der 51-jährige Imam. „Das ist eine große Bereicherung für mich und meine Arbeit.“

Viola Zech

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