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Jobs & Karriere: Alltag adé

Eine Doktorarbeit schreiben, sich der Familie widmen, relaxen oder reisen: Wie man die Pause vom Job nutzen kann – und warum sie sich nicht nur für den Arbeitnehmer lohnt

Hartmut Henschel ist ausgestiegen. Vor fünf Jahren hat sich der Berliner Hauptschullehrer ein Sabbatical, eine Auszeit von seinem Job, genommen. „Eine siebte Klasse unterrichten, dann eine zehnte. Am nächsten Tag eine achte und eine neunte... Ich wollte diesen ständigen Kreislauf für eine Weile unterbrechen und habe mich für ein Schuljahr freistellen lassen“, erzählt Henschel. Er packte seine Koffer und machte sich auf den Weg. Sein Ziel: die Südhalbkugel ansehen. Das war 2005.

Das Lehrer und Angestellte im öffentlichen Dienst für ein Jahr Pause von ihrem Job machen können, ist weitgehend bekannt. Das auch in der freien Wirtschaft ein Sabbatjahr möglich ist, hingegen weniger. Doch grundsätzlich kann jeder Beschäftigte eine Auszeit bei seinem Arbeitgeber beantragen – auch wenn es darauf keinen gesetzlichen Anspruch gibt (siehe Kasten). Was möglich ist, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab.

Die Sabbatical-Regelungen für den öffentlichen Dienst und für Beamte gibt es in Deutschland seit 1987. Der Berliner Schuldienst machte den Anfang. Und so funktioniert es: Ein Teilzeitmodell dient als Grundlage. Auf eine mehrjährige Ansparphase (Vollzeitarbeit bei Teilzeitgehalt) folgt eine einjährige Freiphase mit Teilzeitgehalt. So war es auch bei Henschel. Drei Jahre hat der Lehrer „100 Prozent“ gearbeitet, bei 75 Prozent Gehalt, und sich so ein Überstundenkonto geschaffen. Als ein Arbeitsjahr zusammengespart war, konnte er die Auszeit nehmen – und bekam weiter regelmäßig 75 Prozent des Gehaltes auf sein Konto.

Inzwischen bieten fast alle Bundesländer Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst diese Regelung an. Dieter Haase, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtpersonalrats Berlin, bestätigt: „Viele Lehrer nutzen ein Sabbatjahr, um der hohen Belastung des Lehrerberufes für eine gewisse Zeit zu entkommen.“ Einige würden neue Sprachen lernen, Fortbildungen machen oder sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern.

Zu den Firmen, die ihren Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, „auszusteigen“ gehören etwa die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) und der Elektrokonzern Siemens. „Wir stellen Berater, die promovieren oder ein MBA-Programm absolvieren wollen, für bis zu zwei Jahre frei und unterstützen sie finanziell“, sagt Niclas Storz, der für das Recruiting verantwortlicher Geschäftsführer von BCG ist. Etwa alle zwei Jahre könnten die Mitarbeiter zudem eine Auszeit von bis zu zwei Monaten nehmen – egal ob sie eine längere Reise unternehmen oder sich intensiv um ihre Familie kümmern wollen.

Siemens-Mitarbeiter wiederum können ihre Tätigkeit für ein bis zwölf Monate auf Eis legen, wenn sie bereits mindestens ein halbes Jahr bei dem Unternehmen angestellt sind und keine betrieblichen Erfordernisse vorliegen, die der so genannten Blockfreizeit im Weg stehen.

Anders als in Beamtenkreisen haben sich Sabbaticals in deutschen Firmen aber noch lange nicht durchgesetzt. „Weniger als ein Prozent aller deutschen Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ein Sabbatical zu beantragen. Die Zahl der Mitarbeiter, die das Angebot in Anspruch nehmen, liegt im Promillebereich“, sagt Jana Jelenski von der Arbeitszeitberatung Dr. Hoff Weidinger Herrmann in Berlin.

Zum einen schreckt der Gehaltsverlust ab, zum anderen befürchten viele Arbeitnehmer, die Bitte um eine Auszeit könnte ihnen als Schwäche ausgelegt werden. Zudem haben sie keinen Anspruch, auf ihre Position zurückzukehren. „In Deutschland herrscht eine Anwesenheitskultur“, so Jelenski. Karriereängste hielten die meisten Mitarbeiter von einer Pause ab. „Die allgemeine Auffassung ist: Nur wer immer da ist, hat auch Aufstiegschancen.“

Arbeitgeber dagegen scheuen vor allem den administrativen Mehraufwand. Langzeitkonten sind einzurichten und der Mitarbeiter muss ersetzt werden, wenn die Lücke nicht intern gefüllt werden kann. Daher sind es vor allem größere Unternehmen, die Sabbaticals anbieten: Siemens, die Deutsche Post oder Hewlett Packard. Sie sind flexibler und können Zusatzkosten durch eine Neurekrutierung leichter verkraften.

Auch wenn der Begriff Work-Life-Balance heute in vieler Munde ist. Die Nachfrage ist nicht größer geworden: „Aus unserer Beratungspraxis können wir sagen, dass kein Trend hin zu Sabbaticals zu verzeichnen ist. Auch die Anzahl der Unternehmen, die das anbieten, ist seit zehn Jahren gleich“, sagt Jelenski.

Auch die Wirtschaftskrise hat nichts daran geändert, dass viele Mitarbeiter, die die Möglichkeit zu einer Auszeit hätten, diese nicht in Anspruch nehmen. Durch die Krise ist es eher noch schwerer, die Pause zu realisieren, denn der Arbeitgeber hat weniger Spielraum, auf die zeitlichen Wünsche des Arbeitnehmers einzugehen. Kann der Chef aber etwa voraussehen, dass es eine Auftragsflaute geben wird, kann das Pausieren des Beschäftigten auch für ihn von Interesse sein.

Grundsätzlich aber bieten Sabbaticals viele Chancen für beide Seiten. „Für ein Unternehmen kann der Wunsch eines Mitarbeiters, eine Auszeit zu nehmen, auch Anlass und Chance sein, bestehende Prozesse in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu verändern“, sagt Jelenski. „Ein wichtiger Aspekt ist, dass Mitarbeiter nach einer längeren Pause mit neuer Motivation und Elan an ihre Arbeit gehen.“

So auch Hartmut Henschel: „Ich war nach meiner Rückkehr wieder locker drauf, entspannt und hatte neue Energie. Davon haben alle profitiert.“ Und er macht es noch einmal: „100 Schultage noch.“ Dann packt der Lehrer wieder seine Koffer – und fliegt nach Australien.

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