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Es dauert mindestens 10 bis 18 Monate, bis ein neuer Impfstoff auf den Markt kommt.

© imago images / Panthermedia

Kampf gegen das Coronavirus: „Ein anwendungsbereiter Impfstoff braucht zwölf bis 18 Monate“

Wie funktioniert der Markt für Impfstoffe? Und wer arbeitet an einem Mittel gegen das Coronavirus? Ein Pharmamanager gibt Antworten.

Thomas Breuer leitet beim Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) die Sparte Gesundheit und ist damit auch für den Bereich der Impfstoffe verantwortlich. Zuvor hat der Mediziner am Robert-Koch-Institut gearbeitet. Im Interview erklärt er, warum GSK nicht in die Erforschung eines Corona-Impfstoffes einsteigt und wie es zu Lieferengpässen kommt.

Herr Breuer, derzeit wird weltweit intensiv an Impfstoffen gegen das Corona-Virus geforscht. Mit Ihrer Erfahrung als einer der weltweit größten Impfstoffproduzenten: Bis wann könnte ein Impfstoff vorliegen?
Die normale Impfstoffentwicklung dauert zwischen acht und zehn Jahre, was natürlich in der aktuellen Situation nicht hilfreich ist. In den letzten Jahren hat sich da aber einiges verändert: Die Arbeiten in der vorklinischen Phase, also im Labor, haben sich wesentlich beschleunigt. Dadurch können einige Firmen binnen drei Monaten einen Impfstoff herstellen. Es gibt zum Beispiel ein US-amerikanisches Unternehmen, das ab April eine Studie mit ihrem Impfstoff gegen den Erreger SARS-Cov-2 will.

Aber gerade diese Phase der Erprobung und Zulassung beansprucht immer noch viel Zeit. So etwas dauert unter den besten Umständen mindestens zwölf bis 18 Monate. Aktuell ist also noch kein anwendungsbereiter Impfstoff vorhanden, weil es sich um ein neues Virus handelt.

Beteiligt sich auch GlaxoSmithKline an der Suche nach dem passenden Impfstoff?
GSK hat sich entschieden, derzeit nicht selbst einen Impfstoff zu entwickeln, sondern den Entwicklern unsere Wirkverstärker – sogenannte Adjuvantien – zur Verfügung zu stellen, durch die man für den gleichen Schutz viel weniger Impfstoff benötigt. Dadurch lassen sich mehr Menschen immunisieren. Bisher haben wir mit zwei Organisationen – eine in Australien und eine in China – entsprechende Vereinbarungen geschlossen.
Andere Impfstoffhersteller wie Sanofi haben angekündigt, Impfstoffe entwickeln zu wollen. Wieso hat GSK sich entschieden, stattdessen die Adjuvans-Technologie zur Verfügung zu stellen?
Die Entscheidung baut auf dem wissenschaftlichen Know-How und der Kapazität von GSK auf, große Mengen an Adjuvans zu produzieren, falls dies notwendig werden sollte. Bei GSK setzen wir damit unsere Erfahrung und technischen Fähigkeiten ein, um einen sinnvollen Beitrag im Kampf gegen Covid-19 zu leisten, besonders da viele Unternehmen bereits an Covid-19-Impfstoffkandidaten arbeiten.

Thomas Breuer leitet bei GlaxoSmithKline die Sparte Gesundheit und ist damit auch für den Bereich der Impfstoffe verantwortlich.
Thomas Breuer leitet bei GlaxoSmithKline die Sparte Gesundheit und ist damit auch für den Bereich der Impfstoffe verantwortlich.

© promo

Spielen ökonomische Überlegungen bei dieser Entscheidung eine Rolle?
Die mittel- bis langfristige Entwicklung von Ausbrüchen mit neuen Erregern ist schwer vorherzusagen und damit auch generell die wirtschaftlichen Perspektive. Beispiele sind die H1N1-Grippe-Pandemie oder die Ebola-Epidemie: An beiden war GSK entweder mit einem Pandemie-Impfstoff (H1N1) oder einem Epidemie-Impfstoffkandidaten (Ebola) beteiligt, die beide ökonomisch sehr unterschiedliche Situationen darstellen. In der akuten Situation einer Epidemie wie bei Covid-19 sind wirtschaftliche Erwägungen aber derzeit zweitrangig.

Verschenken Sie die Adjuvantien?
Nicht ganz. Es kommt auf die Phase an, in der sich die Entwicklung befindet. Die erste Phase ist die vorklinische Forschung. In dieser stellen wir die Technologie für die Adjuvantien kostenlos bereit, und das auch sehr schnell, binnen 48 Stunden. Das gilt für die Forscher der australischen und chinesischen Institution, mit denen wir bereits zusammen arbeiten.

In der zweiten Phase, den klinischen Studien, liefern wir die Wirkverstärker zum Selbstkostenpreis. Funktioniert der Impfstoff schließlich und kann in großen Mengen produziert und vermarktet werden, werden wir wahrscheinlich unsere Technologie im Rahmen einer normalen professionellen Zusammenarbeit zur Verfügung stellen.
Wie bei Arzneimitteln registrieren die Apotheken immer wieder auch bei Impfstoffen Lieferengpässe. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut verzeichnet derzeit drei Impfstoffe von GSK auf der Liste der schwer oder gar nicht lieferbaren Impfstoffe, darunter ein Kombipräparat gegen Kinderkrankheiten, ein Mittel gegen Hepatitis B und eines zur Vorbeugung der Gürtelrose. Wieso sind diese derzeit in Deutschland nicht ausreichend verfügbar?
Hersteller – GSK eingeschlossen – sind natürlich nicht stolz darauf, mit Produkten auf dieser Liste vertreten zu sein. Aber die Produktion von Impfstoffen, die biologisch produziert werden, ist anfälliger für Störungen, als die von Medikamenten, die rein chemische Produkte sind. 100.000 Schmerztabletten kann man binnen weniger Stunden herstellen. Die Produktion von Impfstoffen dagegen dauert zwischen sechs und 24 Monate.

Das bedeutet natürlich, dass Auswirkungen auf die Lieferbarkeit von Impfstoffen recht langfristig sind. Und ein weiterer Punkt: Für jeden Impfstoff muss man im Prinzip eine separate Fabrik aufbauen. So etwas kostet zwischen 500 Millionen und 800 Millionen Euro und dauert zwischen vier und fünf Jahre. Wir gehen aber davon aus, dass die in Deutschland derzeit schwerer verfügbaren Impfstoffe gegen Hepatitis B ab März wieder zur Verfügung stehen.

Und Shingrix, der Impfstoff gegen die Gürtelrose?
Hier ist die Situation eine etwas andere. Die Nachfrage nach Shingrix übersteigt das Angebot deutlich. Der Bedarf ist so groß, dass wir Shingrix derzeit nur in drei Ländern vertreiben, in den USA, in Kanada und in Deutschland. Denn wir müssen sicherstellen, dass die Menschen, die die erste Dosis bekommen haben, auch die zweite erhalten, die den Impfschutz erst vervollständigt. Wir erweitern gerade die Produktionskapazitäten deutlich, haben sogar eine zweite Fabrik im Bau. Aber das braucht Zeit, so dass auch mittelfristig die Nachfrage das Angebot leider übersteigen wird.

Bleiben die Probleme beim Kombipräparat gegen Kinderkrankheiten. In Deutschland gilt ab 1. März für bestimmte Bevölkerungsgruppen eine Impfpflicht gegen Masern, darunter für Kinder in Kitas. Wirkt sich das auf die Nachfrage aus?
Tatsächlich erleben wir weltweit einen starken Bedarf nach Masernimpfstoffen, und das nicht nur wegen der neuen Impfpflicht in Deutschland. Generell ist das Thema seit zwei Jahren global mehr im öffentlichen Fokus. Ab März wird der Vierfach-Impfstoff in Deutschland wieder zunehmend verfügbar sein, aber bis die Nachfrage befriedigt werden kann, wird es noch bis zum Ende des Jahres dauern.

Aber wir haben noch Dreifach-Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln zur Verfügung, die den Bedarf in der Zwischenzeit decken können, so dass wir keinen generellen Versorgungsengpass bei Masernimpfstoffen erwarten. Zudem haben wir uns natürlich auf den durch die Gesetzesänderung wachsenden Bedarf vorbereitet. Eine zeitlich unbegrenzte Liefergarantie aber können wir nicht geben.

Es heißt, dass die Pharmaindustrie selbst für die Lieferengpässe verantwortlich ist, weil sie aus Kostengründen Medikamente in immer weniger Fabriken fertigen lässt und deshalb bei Produktionsausfällen keine Reservestandorte hat. Spielt das auch in der Impfstoffproduktion eine Rolle?
Die Herstellung von Impfstoffen lohnt sich nur, wenn man das im großen Maßstab macht. Wir produzieren deshalb einen Impfstoff in der Regel nur weltweit in einer Fabrik. In Dresden zum Beispiel produzieren wir den Influenza-Impfstoff für den weltweiten Markt und in Singapur unseren Pneumokokken-Impfstoff. Die Verfügbarkeit von einzelnen Impfstoffen ist daher direkt von individuellen Produktionsstandorten abhängig.

Was kann in der Impfstoffherstellung schieflaufen?
Viele Impfstoffe werden auf Zellkulturen gezüchtet. Und da sind manchmal Chargen darunter, die schlechter wachsen als andere oder es gibt andere Probleme mit der Qualität. Wenn man dann eine ganze Charge nicht verwenden kann, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Menge des verfügbaren Impfstoffes.

Nun gibt es immer wieder die Kritik, dass die Pharmaindustrie sich aus der Impfstoffproduktion zurückziehe, weil es lukrativer sei, Krankheiten mit Medikamenten zu behandeln, als ihnen vorzubeugen.
Vor 20 Jahren haben viele Länder Impfstoffe noch selber hergestellt. Weil das aber auf Dauer nicht rentabel war, haben sich viele Regierungen daraus zurückgezogen. In die Lücken sind viele private Impfstoffhersteller gestoßen.

Aber da sich der Riesenaufwand für Entwicklung, Produktion und Vertrieb nur lohnt, wenn man das im globalen Maßstab macht, hat sich der Markt immer weiter konsolidiert. In den westlichen Ländern gibt es nun nur noch vier große Hersteller, darunter wir als weltweit größter Hersteller von Impfstoffen. Jedes vierte Kind weltweit bekommt einen Impfstoff von GSK. Und wir haben keinerlei Pläne, uns aus dem Impfstoffmarkt zurückzuziehen und haben zahlreiche neue Produkte in der Entwicklung.

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