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Der Chef und sein Nachfolger. Joe Kaeser (rechts) und Roland Busch stellen am 12.11.2020 in München die Geschäftszahlen vor.

© dpa

Joe Kaeser zieht Bilanz: Siemens ist kein Konglomerat mehr

Der Siemens-Chef präsentiert letztmalig die Geschäftszahlen und sieht den Konzern in guter Verfassung für die sich beschleunigende Digitalisierung.

Joe Kaeser hinterlässt eine volle Kasse. 6,4 Milliarden Euro hat Siemens auf den Konten, das ist Kaeser zufolge der beste Wert für den Cash Flow seit zehn Jahren. Er muss es wissen, denn bevor Kaeser 2013 Vorstandsvorsitzender wurde, war er sieben Jahre für die Finanzen des Weltkonzerns zuständig. Am Donnerstag stellte der 63-jährige Niederbayer zum letzten Mal die Geschäftszahlen vor – gemeinsam mit seinem Nachfolger Roland Busch, der „den herausragenden Cash Flow als Highlight des Jahres“ würdigte. Und der ebenso wie sein Vorgänger die „neue Siemens“ gut aufgestellt sieht für Digitalisierung und Transformation.

Noch drei Geschäftsfelder

„Gerade noch rechtzeitig“, so lobte sich Kaeser im Rückblick, habe Siemens die von ihm im Mai 2014 ausgerufene Strategiewende unter dem Namen „Vision 2020“ umgesetzt, um jetzt mit drei selbstständigen Unternehmen „den größten disruptiven Wandel in der Industrie zu bestehen“. Zu den drei Unternehmen gehört die ehemalige Medizinsparte, die unter dem Namen Siemens Healthineers (SH) 2018 an die Börse gebracht wurde; Siemens gehören noch 79 Prozent von SE. Mit „gerade noch rechtzeitig“ meint Kaeser den Energiebereich, der seit Ende September unter dem Namen Siemens Energy (SE) an die Börse und in die Selbständigkeit entlassen wurde; an diesem Unternehmen hält Siemens noch 35 Prozent. Zur Siemens AG gehören damit nur noch drei Geschäftsbereiche: Digital Industries mit Softwarelösungen für die Industrie 4.0; Smart Infrastructure (Energieinfrastruktur und Gebäudetechnik) sowie das Zuggeschäft mit dem Namen Mobility. Alles in allem habe sich Siemens in der Ära Kaeser „aus einem Konglomerat in ein fokussiertes Industrieunternehmen verwandelt“, lobte Busch seinen Vorgänger, den er formal mit Ablauf der Hauptversammlung im kommenden Frühjahr ablöst.

Busch ist seit 1994 bei Siemens

Im Mai 2021 will der promovierte Physiker Busch, 1966 in Erlangen geboren und seit 1994 für Siemens tätig, seine eigene Strategie vorstellen. Das größte Wachstumspotenzial sieht Busch im Internet of Things (IoT) und überhaupt im Bereich Software. „Siemens kann digitale und reale Welt verbinden“, sagte Busch und bezifferte das Wachstumsziel für die kommenden Jahre auf vier bis fünf Prozent per anno. Besondere Anstrengungen kündigte er in den Bereichen Aus- und Weiterbildung an. „Alle Führungskräfte werden fit gemacht für das Geschäft mit IoT.“ Mit Investitionen von zuletzt acht Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung (FuE) ziele Siemens auf Innovationsführerschaft. Im neuen Geschäftsjahr, das am 1. Oktober begann, werde der Konzern knapp fünf Milliarden Euro für FuE ausgeben.

Kaeser verkaufte die Haushaltsgeräte

„Es hätte besser sein können, aber auch viel schlechter“, resümierte Kaeser seine Arbeit als Vorstandsvorsitzender. Der damalige Finanzvorstand war im Sommer 2013 aufgestiegen, nachdem der Aufsichtsrat mit dem zunehmend zaudernden und glücklosen Peter Löscher die Geduld verloren hatte. Der Österreicher Löscher war 2007 berufen worden, um als externer Manager nach dem Korruptionsskandal, der den Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld die Jobs gekostet hatte, aufzuräumen und Ruhe in den Konzern zu bringen. Mit Kaeser kam dann ein radikaler Umbau mit den erwähnten Börsengängen und dem Verkauf der Beteiligung an BSH Bosch und Siemens Hausgeräte an Bosch für drei Milliarden Euro. Kaeser fusionierte die Windkraftsparte mit der spanischen Gamesa; heute gehört der Bereich zu Siemens Energy.

Die Zugsparte bleibt im Konzern

Das Schienengeschäft inklusive Signaltechnik wollte Kaeser mit der französischen Alstom fusionieren – was die EU-Kommission aus Wettbewerbsgründen untersagte. Busch ist froh, den Bereich heute noch im Konzern zu haben. „Wir haben alle digitalen Lösungen zur Transformation der Bahn“, sagte er am Donnerstag und sprach von einem „globalen Champion“ mit einer mittelfristig möglichen Marge von gut elf Prozent; in diesem Jahr werden etwa zehn Prozent erwartet. Für den Bereich Smart Infrastructure sind es mindestens zehn Prozent und im Bereich Digital Industries 17 bis 18 Prozent. Alles in allem erwartet der Vorstand einen Gewinn nach Steuern „moderat“ über dem Niveau des abgelaufenen Jahres, in dem der Konzern 4,2 Milliarden Euro verdiente – das war rund ein Viertel weniger als im Jahr zuvor. Trotzdem soll die Dividende nur von 3,90 auf 3,50 Euro gekürzt werden.

Entscheidung für Berlin: Joe Kaeser und sein Vorstandskollege Cedrik Neike erläuterten vor zwei Jahren die Pläne für den Innovationscampus Siemensstadt.
Entscheidung für Berlin: Joe Kaeser und sein Vorstandskollege Cedrik Neike erläuterten vor zwei Jahren die Pläne für den Innovationscampus Siemensstadt.

© promo

„Das Siemens-Team hat ein bemerkenswertes Geschäftsjahr mit einem starken vierten Quartal abgeschlossen“, sagte Kaeser. Von Juli bis September verdiente der Konzern 1,9 Milliarden Euro, was auch mit dem Wiederaufschwung in China nach der Coronapause zusammenhängt. Wie bereits nach der Finanzkrise 2008/09 scheine auch China jetzt wieder der Weltwirtschaft auf die Beine zu helfen, meinte Kaeser.

Kaeser wird Aufsichtsrat von Energy

Auch mit Blick die Siemens-Aktie, die am Donnerstag aufgrund des verhaltenen Ausblicks stärker unter Druck geriet als der Dax, zog Kaeser eine positive Bilanz seines Wirkens. Inklusive Dividenden habe ein Siemens-Aktionär fast doppelt so viel Ertrag in den vergangenen sieben Jahren kassiert wie ein Anleger, der auf den Dax insgesamt gesetzt habe. Er sei 2013 mit dem Anspruch angetreten, Siemens in einem besseren Zustand an den Nachfolger zu übergeben. Ob ihm das gelungen sei, müssten andere beurteilen. „Es hätte mehr sein können, vielleicht sogar müssen“, sagte Kaeser. Doch „weniger mit vielen zu erreichen sei nachhaltiger als umgekehrt“, meinte der scheidende Siemenschef, der als Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens Energy in der Konzernfamilie weiter mitspielt.

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