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Erschwerte Bedingungen für Bewerber: Gespräche laufen jetzt meist per Videochat.

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Jobsuche in der Coronakrise: So führen Unternehmen jetzt Vorstellungsgespräche

Mit Videochats wollen Firmen ihre Bewerber kennenlernen - und zeigen sich bei Technikproblemen tolerant. Eine Sache finden Personaler aber gar nicht witzig.

Von Laurin Meyer

Eine Woche vor ihrem Termin hat Lisa Prammer diesen Brief bekommen: Persönlich könne ihr Bewerbungsgespräch nicht mehr stattfinden, stattdessen aber virtuell, hieß es darin. „Da war ich anfangs schon etwas nervös“, sagt Prammer. Sorgen hat sich die 27-Jährige vor allem um die Technik gemacht: „Funktioniert es, funktioniert es nicht?“ Prammer ist eine von Tausenden jungen Menschen, die sich bei der Deutschen Bahn um einen Ausbildungsplatz bewerben. Und zwar virtuell. Denn der Konzern hat seinen gesamten Einstellungsprozess wegen der Coronakrise digitalisiert, führt seine Bewerbungsgespräche jetzt per Videokonferenz.

Die Coronakrise beeinträchtigt die Personalplanung der Firmen massiv. Persönliche Vorstellungsrunden sind untersagt, Personaler sind teils in Kurzarbeit. Und manche Arbeitgeber verhängten wegen der unsicheren Perspektive einen Einstellungsstopp. Wer jetzt am Beginn des Berufslebens steht, ist verunsichert. Kann die Ausbildung pünktlich starten? Sind ausgeschriebene Stellen noch aktuell?

Umstellung war für die Deutsche Bahn ein Kraftakt

Das merkt auch Kevin Fröde von der Deutschen Bahn. „Unsere Bewerber fragen vor allem, ob unsere Jobangebote noch sicher sind“, sagt der Leiter der Personalgewinnung im Nordosten. Der Bedarf an Nachwuchs bei der Bahn sei aber einfach zu groß, um Azubis plötzlich nicht mehr zu rekrutieren. So will der Konzern im Rahmen der Strategie „Starke Schiene“ in den kommenden Jahren immerhin gut 100000 neue Mitarbeiter einstellen. Rund 6000 Vorstellungsgespräche im Monat führen die Personaler der Bahn jetzt auf virtuellem Wege – und das allein in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

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Für den Konzern war das ein Kraftakt. „Unsere Personalgewinnung wurde komplett in die virtuelle Welt übertragen“, sagt Fröde. Innerhalb weniger Tage hat die Bahn ein Online-Konferenzsystem aufgebaut, Führungskräfte bekamen Schulungen. Und potenziellen Bewerbern schickte der Konzern vorab einen Leitfaden, um sich auf das Gespräch vorzubereiten.

Manchmal läuft das Haustier durchs Bild

„Wir sind selbst positiv überrascht, wie gut das geklappt hat“, sagt Fröde. Bedenken hatte die Bahn vor allem wegen der digitalen Infrastruktur der Bewerber. Die Vorstellungsgespräche führen seine Personaler per Videokonferenz mithilfe des Konferenzprogramms „Teams“. Hält die Verbindung nicht, könne man immer noch aufs Telefon wechseln.

Weil der Bedarf an Nachwuchs groß ist, stellt die Bahn weiter ein - per Videochat.
Weil der Bedarf an Nachwuchs groß ist, stellt die Bahn weiter ein - per Videochat.

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„Es sind auch witzige Geschichten dabei gewesen“, berichtet Fröde. Etwa, wenn Familienmitglieder oder Haustiere ungewollt durchs Bild laufen. Wenn etwas technisch schief läuft, sei das aber kein Ausschlusskriterium. Schließlich könnten Bewerber meist nichts dafür. „Die Toleranzgrenze liegt höher, man nimmt mehr Rücksicht“, sagt Fröde. Nur eines findet der Personaler weniger witzig: Wenn Bewerber in Jogginghose vor der Kamera sitzen. Auch das ist schon vorgekommen. „Bewerber sollten sich trotz der heimischen Atmosphäre angemessen kleiden“, sagt Fröde.

Azubis und Betriebe finden so schon schwer zueinander

Auch sonst ist im virtuellen Bewerbungsverfahren manches nicht möglich. Etwa zu prüfen, wie fest der Händedruck des Gegenübers ist. Oder zu sehen, ob ein Bewerber die Etikette beherrscht. „Die Umstellung ist eine wertvolle Erfahrung, wird aber den persönlichen Kontakt zu Bewerbern nicht vollständig ersetzen“, sagt Fröde.

Eine Alternative gibt es für Unternehmen wie die Deutsche Bahn derzeit aber nicht. Tage der offenen Tür fallen aus, Schulbesuche in Betrieben sind nicht möglich, Azubi-Messen abgesagt. Dabei orientieren sich laut aktuellstem Report der Plattform „ausbildung.de“ noch die Hälfte aller Schüler auf solchen Veranstaltungen. Schon so finden Betriebe und potenzielle Azubis offenbar nur schwer zusammen. Laut der Bundesagentur für Arbeit meldete die deutsche Wirtschaft im März knapp 288.000 offene Ausbildungsstellen. Gleichzeitig waren aber 218.000 junge Menschen auf Platzsuche.

Firmen bauen digitale Messestände auf

Das lässt manche Unternehmen jetzt erfinderisch werden. Sie veranstalten digitale Ausbildungsmessen. Auf der Internetseite „sofastart.de“ stellen demnächst rund 50 Betriebe ihre Ausbildungsprogamme vor. In kurzen Videos berichten Mitarbeiter, was angehende Azubis erwartet, in Live-Chats können sich Bewerber mit Personalern austauschen.

Aufgebaut hat die virtuelle Messe das Start-up Talentsconnect, ein Entwickler von Personalsoftware. Auf die Idee brachten die Jungunternehmer die bestehenden Kunden. „Unsere Bestandskunden waren verunsichert“, sagt Robin Sundermann, Gründer von Talentsconnect. „Wie soll der Einstellungsprozess für Auszubildende funktionieren, wie die Kommunikation mit bereits eingestellten Auszubildenden?“

Normalerweise auf 200 Veranstaltungen im Jahr

Zum Start konnte das Start-up jedenfalls prominente Konzerne gewinnen, darunter McDonalds, Vodafone und Deichmann. Die Schuhhandelskette ist normalerweise auf mehr als 200 solcher Veranstaltungen im Jahr vertreten. „Da ist jetzt ein großes Loch entstanden“, heißt es vom Unternehmen.

Messen wie die "Jobaktiv" sind vorerst abgesagt.
Messen wie die "Jobaktiv" sind vorerst abgesagt.

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Die Firmen können dabei wie auf regulären Messen verschiedene Standgrößen buchen. Ab 500 Euro pro Monat geht es los. Wer mehr zahlt, bekommt auf der Startseite eine größere Kachel, um sichtbarer als seine Konkurrenten zu sein. Abhängig davon stehen den Betrieben auch unterschiedliche Funktionen zur Verfügung – etwa, wie viele Ausbildungsberufe sie vorstellen dürfen oder ob sich Bewerber schon per Klick bewerben können.

Hochschulen als größter Konkurrent

Als Gegner sehen sich die Betriebe hier aber nicht. Ihr größter Konkurrent seien vielmehr die Hochschulen. „Die Unternehmen müssen zusammenhalten“, sagt Thomas Lewicki, Leiter für Erstausbildung beim Versicherer Ergo. Ab der kommenden Woche öffnet die digitale Messe für jeweils ein paar Stunden am Tag – und auch nur für jeweils eine Region. Am kommenden Dienstag suchen die Unternehmen virtuell nach Azubis für Darmstadt, eine Woche später für Köln.

Auch manche bestehende Jobplattformen sehen in der Krise ihre Chance. Das Berliner Start-up „Honeypot“ hat eine Art berufliche Partnervermittlung für IT-Kräfte und Arbeitgeber im Netz geschaffen. Das Besondere: Hier müssen sich die Unternehmen um die begehrten Spezialisten bewerben. Mitarbeiter von Honeypot gehen mit den angemeldeten IT-Kräften die notwendigen Unterlagen durch, prüfen deren Qualifikation mit Programmiertests und führen persönliche Interviews. Und zwar online.

Gespräch lief nicht ganz reibungslos

Was sonst die Arbeitgeber machen müssten, erledigt das Start-up. Die Firmen bekommen anhand der von Honeypot gesammelten Bewerberdaten dann Vorschläge, mit welchen Angeboten sie bei den IT-Kräften punkten können. „Unternehmen, die jetzt einfach jegliches Recruiting einfrieren, werden in ein paar Monaten ein großes Problem haben“, sagt Honeypot-Gründer Kaya Taner.

Auch das virtuelle Vorstellungsgespräch von Lisa Prammer bei der Deutschen Bahn lief nicht ganz reibungslos. „Ich wohne in einer kleinen Wohnung“, sagt die 27-Jährige. „Da gibt man zwangsläufig persönliche Dinge preis.“ Und da musste es so kommen, dass ihre Katze mitten durchs Bild huschte. „Letztendlich hat es die Stimmung aufgelockert“, sagt Prammer – mit Erfolg. Im September startet sie ihre Ausbildung.

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