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Geflüchtet vor dem Krieg. Mykola Myronchuk arbeitet seit Anfang April bei einem Unternehmen im Emsland.

© Gerdes

Jobs für Geflüchtete: Unter uns

Knapp 350.000 Ukrainer sind vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Die ersten haben Jobs gefunden. Drei Erfahrungsberichte.

„Hallo, ich bin Mykola Myronchuk. Kann ich als Installateur in ihrem Unternehmen arbeiten?“ Am frühen Mittag an einem Tag Mitte März schickte der Metallbauer aus Kiew die Nachricht per Whatsapp an die Firma „Gerdes Fenster und Türen“ im Emsland. 45 Minuten und ein paar mit dem Prokuristen des Unternehmens, Peter Simon-Höke, ausgetauschte Nachrichten später hatte Myronchuk den auf einem Jobportal für ukrainische Geflüchtete ausgeschriebenen Job.

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Knapp 350.000 Ukrainer sind vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet. Auf Arbeitgeberseite ist das Willkommen groß. 800.000 offene Stellen hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) im März registriert. Deutschland braucht Zuwanderung, um das Arbeitskräfteniveau zu halten, sagt BA-Chef Detlef Scheele. Die Menschen in der Ukraine seien im internationalen Vergleich gut qualifiziert, jeder zweite Geflüchtete soll akademisch ausgebildet sein. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stellt Hilfe bei der Arbeitsmarktintegration in Aussicht, Integrationskurse, Beratungsangebote, Sprachkurse, Kinderbetreuung. Doch Berufsverbände warnen: Dem Fachkräftemangel werde das kaum entgegenwirken.

Und die Geflüchteten selbst? Viele möchten zu ihrem Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht öffentlich Stellung nehmen und erstmal ankommen. Drei Ukrainer:innen aber haben dem Tagesspiegel von ihren Erfahrungen berichtet.

Mykola Myronchuk, Metallbauer aus Kiew

Dokumente über seine Arbeitserfahrung konnte Myronchuk nicht vorweisen. In seinem Fall ging es auch ohne.

Myronchuk ist 38 Jahre alt, hat zwei Kinder, eines der beiden ist behindert. Deshalb durfte er mit seiner Familie ausreisen. Er spricht kein Englisch, kein Deutsch und hat sich mit dem Tagesspiegel schriftlich, per Google-Übersetzer verständigt. Prokurist Simon-Höke hilft, wenn etwas unklar bleibt. Mit zwei Kollegen im Unternehmen kann Myronchuk sich auf Russisch austauschen, das hat er in der Schule gelernt. Sobald es entsprechende Angebote gibt, will er Deutsch lernen.

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Am 4. April hat der Metallbauer seinen Job angefangen, sein Vertrag ist unbefristet, die Probezeit sechs Monate. Zwölf Euro die Stunde war abgemacht. Inzwischen ist klar, dass das Gehalt zeitnah an das seiner Kollegen angeglichen wird. „Der weiß, was er tut“, sagt Prokurist Simon-Höke. „Ich komme gut zurecht“, findet auch Myronchuk. Mit Kollegen baut er Fenster, Türen und Fassaden aus Aluminium, das Gleiche habe er bei seinem Arbeitgeber in der Ukraine gemacht.

Nach zwei Wochen waren die Formalien geklärt

Seine erste Station war München, dort kam seine Familie in einem privaten Haushalt unter. Seine Gastgeberin machte ihn auf den ausgeschriebenen Job aufmerksam. Ein paar Tage später saßen die Myronchuks im Zug Richtung Norden. „Ich wollte so schnell es geht arbeiten, um für meine Familie sorgen zu können“, sagt er. Auch habe er damals nicht gewusst, dass es für den Übergang staatliche Unterstützung gebe.

Das Familienunternehmen im Emsland beschäftigt 100 Mitarbeiter und kann ihn gut gebrauchen. Rund 20 Stellen sind unbesetzt, Tischler, Metallbauer, Monteure und Helfer werden dringend gesucht. Die Arbeitslosigkeit im Landkreis liege bei weniger als drei Prozent, sagt der Prokurist.

Der neue Arbeitgeber habe ihn in sehr unterstützt, sagt Myronchuk. Zu vergünstigter Miete ist er mit seiner Familie vorübergehend in eine Firmenwohnung eingezogen. Kollegen halfen bei den Formalitäten, zum Beispiel der Registrierung bei der Ausländerbehörde. Zwei Wochen nach ihrer Ankunft war die Familie angemeldet, Myronchuk hatte seine Arbeitserlaubnis, die Kinder einen Schulplatz.

Er fühlt sich angekommen in Deutschland, sagt der 38-Jährige. Er will bleiben und hier weiter seinen Job machen.

Oleksandra Nahorna, Studentin aus Kiew

Seit Ende März arbeitet Oleksandra Nahorna für das Kindergartenunternehmen Klax in Berlin. Ihr Job: Sie soll die Einstellung ukrainische Erzieher:innen und Lehrer:innen für die Klax Kitas und Schulen koordinieren, sagt sie im Videocall in sehr gutem Englisch.

Die Studentin. Oleksandra Nahorna arbeitet jetzt für das Kindergartenunternehmen Klax.
Die Studentin. Oleksandra Nahorna arbeitet jetzt für das Kindergartenunternehmen Klax.

© Klax

Nahorna ist 21 Jahre, studiert an einer Hochschule in Kiew im letzten Semester Sozialarbeit und arbeitete als Reiseleiterin für ein ukrainische Unternehmen. Sie hielt sich Ende Februar gerade in Ägypten auf und flog Anfang März von dort nach Deutschland. „Es wäre ja verrückt gewesen, in die Ukraine zurückzukehren“, sagt sie. Gekannt hat sie hier niemanden. In Berlin nahm eine Gastfamilie sie auf. Sie ließ sich registrieren, bekam eine Arbeitsgenehmigung, über die Gastfamilie kam sie zu dem Job bei Klax.

„Ich bin sehr froh, dass ich arbeiten kann und die Stelle passt perfekt“, sagt sie. Sie könne helfen, Geld verdienen, ihre Zeit sinnvoll verbringen. 28 Stunden die Woche arbeitet sie – und studiert daneben weiter an ihrer Hochschule in Kiew, trotz Krieg. „Wir treffen uns in Online-Sessions“, sagt Nahorna.

Bei Klax ist sie derzeit weniger Koordinatorin als Übersetzerin und informiert ukrainische Eltern darüber, wo sie Kitagutscheine beantragen müssen. Sie veröffentlicht Klax-Ausschreibungen in den Kanälen, in denen ukrainische Geflüchtete nach Jobs suchen, bei Telegram und der Plattform UA Talents.

Bisher wurden noch keine ukrainischen Kinder aufgenommen und noch keine weiteren ukrainischen Mitarbeiter eingestellt. Nur drei Bewerber gab es bisher, sagt sie. Es hakt an mangelnden Deutschkenntnissen, B2 sei für die Erzieher:innen und Lehrer:innen Voraussetzung. Ukrainer lernen in der Schule meist Englisch, manche auch Deutsch, aber sie erreichen in der Regel kein so hohes Niveau, sagt sie.

Ihr Vertrag ist bis Juli befristet. So lange wird sie hier bleiben. Danach hofft sie nach Hause zurückkehren zu können, zu ihren Eltern.

Svitlana Smolenska, Professorin aus Kharkiv

Svitlana Smolenska ist Professorin an der privaten Universität Kharkiv School of Architectur, ihr Fachgebiet Architekturgeschichte. Vor zehn Tagen kam sie in Berlin an. Nach den Osterferien, hofft sie ihren neuen Job als Gastprofessorin an der Technischen Universität (TU) Berlin offiziell zu beginnen. Schon jetzt ist sie dafür im Einsatz. Nichts tun, das kann sie nicht, wenn ihr Land in so großer Not ist, sagt sie. Ihre Uni ist geschlossen. Vom Geld des deutschen Staates will sie nicht leben. Auch deshalb hat sie Asyl beantragt – und um medizinische Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Kollegen begleiteten sie bei den Behördengängen.

Zu Gast an der TU. Svitlana Smolenska ist Professorin für Architekturgeschichte aus Kharkiv.
Zu Gast an der TU. Svitlana Smolenska ist Professorin für Architekturgeschichte aus Kharkiv.

© TU

Selbstverständlich arbeitet sie weiter an ihrer vor Jahren begonnen Forschung zur Architekturgeschichte. Ihr viel größeres Anliegen ist es aber, in Deutschland auf ukrainische Architektur, Stadtplanung und Kunst aufmerksam zu machen und dazu beizutragen, das kulturelle Erbe ihrer Heimat zu bewahren. Außerdem will sie Kultureinrichtungen in Kharkiv in Kontakt bringen mit deutschen Organisationen, die dabei helfen, wertvolle Dokumentationen und Kunstwerke zu retten. Damit hat sie bereits begonnen und bei einer Konferenz der deutschen Kunsthistoriker in Stuttgart einen Vortrag gehalten. Vorlesungen an verschiedenen Wissenschaftseinrichtungen sind geplant.

Was sie sich für die Zukunft wünscht? Drei Monate ist ihre Existenz über das Stipendium gesichert – möglicherweise kann es verlängert werden, sagt sie. Sie wünscht sich Frieden für alle Menschen. Auch wenn sich das trivial anhöre. Um wieder Hoffnung haben und für die Zukunft planen zu können.

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