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Die Anträge werden bei der Arbeitsagentur gestellt. 1,1 Millionen sind noch nicht abgeschlossen.

© dpa/Daniel Karmann

Jetzt steht die Abschlussrechnung an: 1,1 Millionen Anträge auf Kurzarbeit stapeln sich bei der Arbeitsagentur

In der Coronakrise hat Kurzarbeit viele Jobs gerettet. Für die Arbeitsagentur ist das bis heute ein Kraftakt.

Kurzarbeit ade. Immer weniger Unternehmen müssen auf das staatliche Instrument zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in Krisenzeiten zurückgreifen. Der Industriekonzern Thyssenkrupp etwa fährt die Kurzarbeit in seiner Stahlsparte zurück. Im April schickte das börsennotierte Unternehmen 900 Beschäftigte in Kurzarbeit, im Mai rund 600, im Juni soll es dort „möglicherweise“ gar keine Kurzarbeit mehr geben.

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Ähnlich gut sieht es in vielen anderen Unternehmen aus: Die Corona-Pandemie ebbt ab und trotz enormer Konjunkturrisiken, dem Krieg in der Ukraine, Lieferkettenproblemen und steigender Inflation, ist die Zahl der Kurzarbeitenden im Mai in fast allen Wirtschaftszweigen gesunken, hat das Münchner Ifo-Institut gerade verkündet. Im Handel spielt sie demnach so gut wie keine Rolle mehr, im Gastgewerbe gehen die Zahlen deutlich zurück. Insgesamt sind noch 277 000 Personen in Deutschland in Kurzarbeit. Das sind 0,8 Prozent der Beschäftigten.

Das Instrument - ein Erfolgsmodell

Läuft es konjunkturell bedingt schlecht in einem Betrieb, kommt es zu temporären Auftragsausfällen oder einem unvorhersehbarem Ereignis, sieht die Kurzarbeiterregelung vor, dass die Beschäftigten für eine Weile nur einen Teil der üblichen Arbeitszeit tätig sind oder ganz zu Hause bleiben. Die Firma zahlt den Lohn für die geleistete Arbeit, der Staat einen Zuschuss. Gewöhnlich erhalten Beschäftigte 60 Prozent des ausfallenden Nettoentgelts als Kurzarbeitergeld, bei Beschäftigten mit mindestens einem Kind sind es 67 Prozent. Nach den Corona-Sonderregeln können es ab dem siebten Bezugsmonat bis zu 80 beziehungsweise 87 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts sein.

Das arbeitsmarktpolitische Instrument gilt gemeinhin als Erfolgsmodell, das in der Pandemie viele Arbeitsplätze gerettet, vielen Beschäftigten Existenzängste und Unternehmen Kündigungen erspart hat. Ähnlich wie in den Jahren 2008 und 2009 in der Finanzkrise. „Dabei ist es nicht dazu gedacht, in nahezu allen Branchen in über Jahre dauernden Krisen den Arbeitsmarkt zu stabilisieren“, sagt Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA). Für seine Behörde war und ist Kurzarbeit in der Coronakrise ein Kraftakt. Noch eineinhalb Jahre etwa wird es dauern, bis die 1,1 Millionen offenen Kurzarbeits-Abrechnungen bearbeitet sind, schätzt er.

Der Industriekonzern Thyssenkrupp fährt die Kurzarbeit in seiner Stahlsparte zurück. Insgesamt sind in Deutschland noch 277.000 Menschen in Kurzarbeit.
Der Industriekonzern Thyssenkrupp fährt die Kurzarbeit in seiner Stahlsparte zurück. Insgesamt sind in Deutschland noch 277.000 Menschen in Kurzarbeit.

© REUTERS/Wolfgang Rattay

Ihren Höchstpunkt hatte Kurzarbeit im ersten Lockdown, im April 2020, als Restaurants, Läden und Hotels geschlossen waren, Flugzeuge am Boden blieben und in vielen Fabriken die Produktion gestoppt wurde. Für sechs Millionen Beschäftigte erhielten Arbeitgeber in diesem Monat Kurzarbeitergeld, das waren 17,9 Prozent der Beschäftigten – fast viermal so viele wie auf dem Gipfel der Kurzarbeit in der Finanzkrise im Mai 2009.

700 Mitarbeiter waren bei der BA bis zum Lockdown für die Kurzarbeiteranträge zuständig. Im April 2020 wurde dafür jeder Mitarbeiter eingesetzt, der unabhängig von seinem ursprünglichen Bereich dabei unterstützen konnte und wollte, sagt Terzenbach. Zu Höchstzeiten hätten fast 12 000 Mitarbeiter dafür gesorgt, dass die Betroffenen möglichst in einer Woche nach Eingang des Antrags ihr Geld auf dem Konto hatten. Die meisten Arbeitsvermittler, sogar Arbeitsmarktforscher und Büroassistenten wurden dafür in kürzester Zeit geschult.

Die Kosten sind immens. 22 Milliarden Euro im Jahr 2020 plus 20,2 Milliarden Euro im zweiten Coronajahr hat die BA für Kurzarbeitergeld ausgegeben. Dazu kommen die bisher 2,6 Milliarden Euro für dieses Jahr. Bezahlt wird das Geld eigentlich aus der Arbeitslosenversicherung, doch die Rücklagen sind längst aufgebraucht. Der Bund hat 24 Milliarden Euro dazugegeben. „Nach aktuellem Stand wird uns das Jahresenddefizit als Darlehen gewährt, das wir im Jahr 2023 zurückzahlen müssen“, sagt Terzenbach. Es sei in den nächsten Jahren kaum möglich, eine Rücklage zu bilden.

Von 1,4 Prozent Betrugsfällen geht die BA aus

In der BA ist so etwas wie eine neue Normalität eingekehrt. Die meisten Mitarbeiter gehen wieder ihren eigentlichen Jobs nach. Zusätzliches Personal wurde eingestellt. Etwa 4000 Beschäftigte sind es jetzt, die hauptsächlich die Anträge bearbeiten. Die vorläufige Bewilligung war der erste Schritt. „Jetzt stehen die Abschlussrechnungen an, es wird kontrolliert, ob die Gelder ordnungsgerecht ausgezahlt wurden“, erklärt Terzenbach.

Alles zu. Im April 2020 bekamen fast sechs Millionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld. Viel Arbeit für die BA.
Alles zu. Im April 2020 bekamen fast sechs Millionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld. Viel Arbeit für die BA.

© dpa

Offensichtlich gab es Betrugsfälle. Hotels in Hamburg und Schleswig-Holstein und Unternehmen in Brandenburg sollen Gelder unrechtmäßig bezogen haben. Teils ging es um mehrere Millionen Euro. Ausnahmefälle, sagt Terzenbach. Er rechnet damit, dass der Missbrauch in der Coronakrise mit dem in der Finanzkrise vergleichbar sein wird. Damals habe es 1,4 Prozent unrechtmäßige Inanspruchnahmen gegeben. Bisher sind die BA-Mitarbeiter auf 8000 Verdachtsfälle gestoßen, etwa 1000 wurden an das Hauptzollamt oder die Staatsanwaltschaft übergeben.

Kurzarbeit ist ein sehr individuelles Instrument“, sagt der BA-Vorstand. Für künftige, längerfristige Krisen seien pauschalere Regelungen zu entwickeln, so dass BA und Firmen nicht jeweils einzeln für jeden Beschäftigten abrechnen müssten. „Der bürokratische Aufwand dafür ist einfach zu hoch.“

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