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Arbeiten rund um die Uhr? Die Gewerkschaften befürchten im Zusammenhang mit der Digitalisierung eine „Entgrenzung der Arbeit“, die Arbeitgeber fordern noch mehr Flexibilität - und wollen die Arbeitzeitgrenzen im Gesetz verändern.

© Caro / Muhs

Jamaika-Sondierungen: Viele offene Fragen bei Arbeit und Rente

Jamaika hat sich mit Beschäftigung und Rente befasst und viele Fragen aufgeworfen. Arbeitgeber und Gewerkschaften positionieren sich.

Einen Einfluss von DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach und Verdi-Chef Frank Bsirske auf die Sondierungsgespräche der Jamaika-Partner vermutet man eigentlich nicht. Doch die beiden sind die prominentesten Grünen-Mitglieder in den Reihen des DGB und werden deshalb auch von der Parteispitze zurate gezogen. Offenbar mit Erfolg – aus Sicht der Gewerkschaften. Der aktuelle „Sondierungsstand Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales“ beinhaltet so viele offene Punkte, weil vor allem FDP und Grüne weit auseinander sind. „Die Frage der Entwicklung des Arbeitzeitgesetzes“, wolle man noch diskutieren, heißt es im Text.

„Hier erwarte ich eine größere Auseinandersetzung“, sagt Buntenbach im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Die Ausweitung der täglichen Höchstgrenze bei der Arbeitszeit und Verschlechterungen bei den Ruhezeiten wären die absolut falsche Antwort auf die Digitalisierung. In der digitalen Wirtschaft brauchen die Beschäftigten mehr Zeitsouveränität und nicht weniger“, sagt Buntenbach.

Expertenkommission soll sich in Zukunft dem Thema Rente widmen

Der Sozialpartner sieht das ganz anders. „Flexibilität wird künftig die Voraussetzung für gute, sichere Arbeit sein“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände (BdA). Ohne eine Veränderung im Arbeitszeitgesetz, das die tägliche Höchstgrenze bei zehn Stunden festlegt, drohe Arbeitslosigkeit. „Wollen wir Arbeit in Deutschland organisieren oder die Arbeit abwandern lassen?“, fragt Kampeter.

Oliver Zander, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, setzt hier auch Prioritäten. „Eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist für uns zwingend.“ Man müsse die tägliche Grenze aufheben und stattdessen eine Wochenobergrenze einführen. „Und die Ruhezeiten sollten die Tarifparteien verändern dürfen.“

Noch wichtiger für die Arbeitgeber ist jedoch der Umgang Jamaikas mit dem Sozialstaat respektive dessen Finanzierung. Im Sondierungspapier steht explizit das Ziel einer „Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent“. Und dabei wird es aufgrund der Einnahmeüberschüsse auch erstmal bleiben. Es sei denn, die CSU setzt durch mit „weiteren Verbesserungen bei der Mütterrente“, vor der die Arbeitgeber warnen. Und die vermutlich auch nicht kommen wird. Eine Expertenkommission soll sich in den kommenden Jahren mit dem Großthema Rente befassen – das dauert, und über die Zeit dürften die CSU-Wünsche verblassen.

Arbeitgeber glauben nicht an Abschaffung der Rente mit 63

An eine Abschaffung der Rente nach mindestens 45 Versicherungsjahren, wie vom CDU-Politiker Jens Spahn angeregt, glauben die Arbeitgeber nicht. Zu groß wäre der Ärger – mit den Arbeitnehmern in den Reihen der Union und mit den Gewerkschaften sowieso. „Die Rente mit 63 einzuschränken oder gar abschaffen zu wollen, ist eine sozialpolitische Provokation“, sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. „Eine Jamaika-Koalition darf keine Regierung der Arbeitgeber sein.“ Damit es nicht so kommt, gibt es den Arbeitnehmerflügel der Union und eben die Grünen.

Für Buntenbach ist die Forderung nach Abschaffung der Rente mit 63 „pure Ideologie, weil die 63 Jahre sowie nur für bestimmte Jahrgänge galten und das Eintrittsalter steigt“. Und weil damit von der Notwendigkeit einer Rentenreform abgelenkt werde, „die die Menschen vor Altersarmut schützt“.

Alles in allem „scheint es in die richtige Richtung zu gehen“, fasst Gesamtmetall- Chef Zander seine Bewertung des aktuellen Sondierungsergebnisses zusammen. Kritischer ist BDA-Geschäftsführer Kampeter. „Es gibt vor allem Überschriften, eine Botschaft für den Arbeitsmarkt fehlt.“ Den Arbeitgebervertretern missfallen Formulierungen über die „Förderung der Zeitsouveränität der Beschäftigten“ sowie über die „Möglichkeiten von Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit“. Doch selbst die CDU hatte das im Wahlprogramm stehen, sodass hier der Widerstand vermutlich zwecklos ist.

DGB-Buntenbach: „Vor allem für Frauen in der Teilzeitfalle brauchen wir ein Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit. Das ist ein Muss für moderne Unternehmen, um für Fachkräfte attraktiv zu sein.“ Klingt plausibel und wird die Arbeitgeber – ab einer bestimmten Betriebsgröße – nicht überfordern. Und wenn es im Gegenzug eine Änderung beim Arbeitszeitgesetz gibt, wären die auch zufrieden.

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