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Jungfernfahrt nahe dem Jungfernstieg: Die Hamburger S21 fährt am Montag zu ihrer Premierenfahrt der digitalen, automatisch fahrenden S-Bahn Hamburg in den Bahnhof Dammtor ein. Foto: Marcus Brandt/dpa

© Marcus Brandt/dpa

ITS-Weltkongress in Hamburg: Die erste automatische S-Bahn soll nur der Anfang sein

Beim Mobilitätskongress lädt die Bahn zur Premiere in einen automatischen Zug. Für eine Woche präsentieren sich in Hamburg die Vorreiter einer smarten Verkehrswelt.

Es geht nur um vier Züge, aber für die Deutsche Bahn ist es dennoch ein wegweisendes Projekt. Am Montag um 11 Uhr fuhr Bahnchef Richard Lutz zusammen mit Siemens-Chef Roland Busch und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit der S-Bahn von Hamburg-Dammtor nach Bergedorf – mit Deutschlands erstem automatisch fahrenden Zug.

Die Station Dammtor – direkt an den Messehallen gelegen – ist nicht zufällig gewählt. Die Premierenfahrt erfolgte zum Auftakt des ITS Weltkongress. Auf der weltgrößten Messe für vernetzte und digitale Mobilität, die abwechselnd in Asien, Nordamerika und Europa stattfindet, werden 15 000 Besucher:innen erwartet. In Hamburg können sie bis Freitag über 200 Podiumsdiskussionen zur Mobilität von Morgen lauschen. In den Messehallen und der ganzen Stadt präsentieren die Aussteller mehr als 300 Demonstrationen und Projekte. Zu sehen sind unter anderem Transport-Drohnen und ein Hyperloop für Container. Und die Deutsche Bahn AG zeigt hier, wie sie sich den Zugverkehr der Zukunft vorstellt.

150 Ingenieure der Bahn und von Siemens haben in den vergangenen Jahren unter ordentlichem Zeitdruck an der Umrüstung der vier S-Bahnen gearbeitet. In der Digital Base der Bahn in Berlin legten sie fest, wie die automatisch fahrenden Züge Befehle aus dem Stellwerk empfangen und verarbeiten, sodass die Lokführer auf der 23 Kilometer langen Pilotstrecke in Hamburg nur noch im Notfall eingreifen müssen.

Pionierarbeit soll für ganz Deutschland kommen

Nach dieser mühsamen Pionierarbeit will die Bahn die Technik nun möglichst schnell in ganz Deutschland ausrollen. In Stuttgart sollen S-Bahnen auf der Stammstrecke schon Ende 2025 automatisch fahren, wodurch die Kapazität um 20 Prozent steigen würde. Denn dank der digitalen Zugsicherung ETCS können die Züge jederzeit genau geortet werden und der automatische Betrieb mit dem ATO-System garantiert eine absolut exakte Fahrweise. Das ermöglicht kürzere Abstände.

Auch die ITS-Stadt Hamburg will deshalb bis 2030 alle S-Bahnen mit der Technik ausrüsten. Die Umstellung wird laut einer am 1. Oktober vorgestellten Machbarkeitsstudie 800 Millionen Euro kosten und 30 Prozent mehr Kapazität bringen. 2035 möchte die Bahn das gesamte Gleisnetz digitalisiert haben. Allein das würde 20 Prozent mehr Zugfahrten ermögliche. Kombiniert mit einem zunehmend automatischen Betrieb sind sogar 35 Prozent mehr drin. Noch sind die nötigen Gelder im Bundeshaushalt allerdings nicht gesichert.

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Die Mobilitätsbranche erkennt in autonomen Shuttles auch auf der Straße ein riesiges Potenzial, wie das Programm des ITS Weltkongress zeigt. Die Stadt Hamburg erprobt autonomes Fahren deshalb gleich zwei Mal. Am Stadtrand in Bergedorf bringt ein autonomes On-Demand-Fahrzeug Fahrgäste noch bis November von ihrer Haustür zur nächsten Haltestelle. Das Projekt ist Teil des sogenannten „Reallabor Hamburg“, mit dem die Hansestadt vor dem ITS Weltkongress neue digital organisierte Mobilitätsformen ausprobiert hat.

Fahrerloser Kleinbus in der HafenCity

In einem weiteren wegweisenden Projekt hat die Hamburger Hochbahn die Technik des autonomen Fahrens zusammen mit der Wirtschaft und der Wissenschaft zwei Jahre lang weiterentwickelt. Seit August dreht ihr fahrerloser Kleinbus nun wieder seine Runden in der HafenCity. Sieben Passagiere haben in dem Fahrzeug grundsätzlich Platz, wegen der Corona-Regeln sind aktuell allerdings nur drei Fahrgäste erlaubt.

Mit 25 Kilometern pro Stunde ist das Shuttle unterwegs – weitaus langsamer, als ursprünglich geplant. Beim Start 2019 war das Ziel, die knapp zwei Kilometer lange Strecke irgendwann mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometern abfahren zu können. Davon ist das Projektteam mittlerweile abgerückt. Auch, weil das Verkehrsaufkommen in der Stadt eine höhere Geschwindigkeit nicht zulässt; je schneller das Shuttle unterwegs ist, desto länger der Bremsweg.

Futuristisch: Die Umrisse eines VW-Bullis sind am Stand von Volkswagen und Moia während eines Rundgangs durch die Messehallen des ITS- Weltkongress 2021 zu sehen.
Futuristisch: Die Umrisse eines VW-Bullis sind am Stand von Volkswagen und Moia während eines Rundgangs durch die Messehallen des ITS- Weltkongress 2021 zu sehen.

© Marcus Brandt/dpa

Um unfallfrei durch den Stadtverkehr zu navigieren, kommuniziert das mit Kameras und Sensoren ausgestattete Fahrzeug nicht nur mit intelligenter Infrastruktur entlang der Straße, sondern ist auch in Kontakt zu einer Leitstelle bei der Hamburger Hochbahn. Von dort aus beobachten Mitarbeiter:innen des Unternehmens das Shuttle über Bildschirme und können in kritischen Situationen eingreifen.

Bis zum Projektende in diesem Monat ist auch noch ein Sicherheitsfahrer dabei. Seine Aufgaben sollen in Zukunft vollständig von der künstlichen Intelligenz im Fahrzeug und von der Leitstelle übernommen werden. So sieht es das im Sommer in Kraft getretene Gesetz zum autonomen Fahren vor – in das auch Erfahrungen aus dem Hamburger Pilotprojekt eingeflossen sind.

ZF und Deutsche Bahn wollen einsteigen

Autonome Shuttle sollen damit integraler Teil eines vernetzen Verkehrsangebotes werden. So haben der Automobilzulieferer ZF und die Deutsche Bahn im Vorfeld der Messe angekündigt, in das Geschäft mit autonomen Kleinbussen einsteigen zu wollen. Aber auch private Anbieter wie die VW-Tochter Moia, die seit zwei Jahren mit ihrem Shuttledienst in Hamburg unterwegs ist, kämpfen um den neuen Markt. Moia will die internationale Bühne in Hamburg nutzen, um schon einmal eine interaktive Simulation des autonomen Betriebs zu zeigen. Die Umstellung darauf soll noch in diesem Jahr zusammen mit dem Kooperationspartner Argo AI beginnen.

Vor allem die digitale Verknüpfung verschiedener Verkehrsangebote soll Mobilität endlich umweltfreundlich machen. „Mobility as a Service“ heißt das Konzept, das im Jahr 2015 in Finnland entstand. In einer App sollen die Menschen spontan entscheiden können, ob sie etwa mit der Bahn, einem Leihrad, Roller oder Carsharing-Auto fahren wollen, statt stets aus Bequemlichkeit das eigene Auto zu nehmen.

"Mobility as a service" bisher noch nicht durchgesetzt

Im Reallabor Hamburg wurden auch diese vernetzten Mobilitätsangebote in den vergangenen Jahren erprobt. So erhielten Mitarbeitende von Hamburger Unternehmen ein Mobilitätsbudget, das sie für verschiedene Verkehrsdienste verwenden konnten. Der Hamburger Verkehrsverbund bietet mit der Switch- App außerdem schon längst eine übergreifende Mobilitätsplattform an.

Wirtschaftlich hat sich „Mobility as a Service“ jenseits von Helsinki bisher nicht durchgesetzt. Auf einem halböffentlichen Event hat die noch junge Branche nun auf dem ITS Weltkongress mit EU-Verkehrskommissarin Adina Valean beraten, wie „Shared Mobility“ in Europa endlich alltäglich werden kann. Ein Problem der Anbieter: In vielen europäischen Ländern tauschen Verkehrsunternehmen Daten immer noch nicht aus. Hier macht die Politik nun Druck.

In Deutschland soll der von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) initiierte Datenraum Mobilität zukünftig den Austausch ermöglichen. Auf dem Kongress in Hamburg stellt die zuständige Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) die ersten Anwendungen vor. Mit dabei im Datenraum sind unter anderem BMW, Volkswagen, Mercedes-Benz, die Bahn und die Post. Auch Nordrhein-Westfalen speist seine Nahverkehrsdaten inzwischen ein. Bei einem freien Zugang könnten Start-ups bald einfacher multimodale Navigations-Apps anbieten. Der vernetzen Mobilität dürfte das einen kräftigen Schubs geben.

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