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Gamestop: Am Unternehmen liegt die Entwicklung des Aktienkurses nicht.

© AFP/Getty/Spencer Platt

„It's the Wall Street Stupid“: Investieren schließt die Kluft zum Establishment – nicht spekulieren

Die Gamestop-Aktionäre sehen sich als Umverteiler, das Establishment ist der Feind. Charmant! Doch breites Investieren wäre sinnvoller. Ein Kommentar.

Eine Schar von Privatanlegern, ein marodes Unternehmen und einen Shortseller, der auf den Untergang ebenjener Firma gesetzt hat – mehr brauchte es in der vergangenen Woche nicht, um die Wall Street in helle Aufregung zu versetzen. In einer im sozialen Netzwerk Reddit konzentrierten Aktion kauften die Kleinaktionäre immer mehr Papiere des Computerspiele-Händlers „Gamestop“ und trieben damit den Aktienkurs in schwindelerregende Höhen. Irgendwann, so das Kalkül, werde der Leerverkäufer aufgeben und der Kurs noch weiter explodieren.

Doch hier geht es um mehr als gewöhnlicher Börsenspekulation. Manche sprechen von einem neuen Klassenkampf, andere von „Occupy Wall Street“ – aus dem Homeoffice. Ob hinter dem Angriff auf den Leerverkäufer nun politische Absichten stecken, darf bezweifelt werden.

Doch ein Blick in die Reddit-Foren lässt keinen Zweifel daran: Wie so viele Ereignisse der jüngeren Geschichte der westlichen Demokratien fußt auch dieses Phänomen auf einem Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber dem vermeintlichen Establishment.

Jeder Gamestop-Aktionär ein Verbündeter

Die Kleinanleger sehen sich als Umverteiler, die den Hedgefonds Geld entziehen, das stattdessen in Millionen kleiner Haushalte weltweit fließt. Einige Aktionäre posten Krankenhausrechnungen, die sie von dem bisherigen Gewinn endlich zahlen konnten. Andere freuen sich, es den Großen endlich mal zeigen zu können, wo das an der Wahlurne mit Donald Trump schon nicht geklappt hat. So wird jeder Gamestop-Aktionär zum Verbündeten im Kampf gegen das große Geld.

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Durch jeden Widerstand sehen sie sich in ihrer Außenseiter-Position nur noch bestärkt. Hinter jedem Post bei Reddit, der zum Kauf anderer Aktien als „Gamestop“ rät, wird der Shortseller vermutet. Wenn Facebook eine Diskussionsgruppe von Kleinanlegern schließt, sehen sie dahinter den Einfluss der Wall Street. Und wenn der von den meisten Kleinaktionären favorisierte – und eigentlich auch schon fast verbündete – Smartphone-Broker Robin Hood für einen halben Tag den Handel behindert, wird auch das bösen Machenschaften der Wall Street zugeschoben.

Langfristiges Anlegen schließt die Kluft zum Establishment

Es ist möglich, dass das stimmt. Allerdings gibt es dafür – wie für so vieles rund um die Rallye von Gamestop – keine gesicherten Beweise. Fast alles läuft übers Hören-Sagen. Die Quellen der Behauptungen bei Reddit oder die Interessen derjenigen, die dort posten, sind nicht einsehbar. Natürlich ist es unerlässlich, dass gerade Kleinanleger darauf zählen können, dass alle Regeln beachtet werden und Handel jederzeit möglich ist. Und die Börsenaufsicht sollte aufarbeiten, warum diverse Apps am Donnerstag den Handel mit Gamestop einstellten.

Doch angesichts der Empörungsstimmung auf Reddit mag man den Aktionären dort zurufen: „It’s the Wall Street, stupid!“ Jedem Gewinn steht ein Risiko gegenüber. Es besteht kein Grundrecht auf tausendfachen Gewinn. Jeder noch so gut geplante Short-Squeeze kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geldanlage an der Börse nur dann als sicher gelten kann, wenn man sie langfristig betreibt. Dass möglichst viele Anleger diese Wahrheit beherzigen, wäre das wichtigste Ergebnis der Gamestop-Rallye. Spürt man den Effekt einer wachsenden Wirtschaft dann auf dem eigenen Konto, ist auch die Wut auf das Establishment schnell nicht mehr so groß.

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