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Schwer geschützte Blutabnahme.

© Kay Nietfeld / dpa

Ist das ethisch?: Was hinter dem ersten Corona-Immunitätspass steckt

Der Ethikrat diskutiert die Einführung eines Immunitätsnachweises. Ein Anbieter hat schon einen herausgebracht - und wirbt mit knalligen Botschaften.

In der nächsten Woche wird der Ethikrat seine Ad-hoc-Empfehlung abgeben zu den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), einen „Immunitätsnachweis“ einzuführen für Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und damit immun gegen die Krankheit sein könnten.

Es ist die erste Sitzung unter der neuen Vorsitzenden Elena Buyx, und für die Medizinethikerin wie die anderen neuen Mitglieder des Gremiums dürfte der Immunitätsausweis ein schwieriges Debut werden: Schließlich liegen die Vorteile eines Immunitätspasses auf der Hand, genauso aber die ethisch hochproblematischen Implikationen, die für eine Gesellschaft damit einhergingen.

Nun droht die Diskussion überholt zu werden, und zwar in einer Weise, wie es sich weder Jens Spahn noch der Ethikrat wünschen können. Denn private Anbieter scheinen die diffuse Hoffnung, die viele Menschen in einen Immunitätspass setzen – etwa die Freiheit zu reisen oder sich unbekümmert im öffentlichen Raum zu bewegen – als Geschäftsmodell zu entdecken.

Und könnten dabei das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Maßnahmen der Pandemiekontrolle, zum Beispiel die Corona-Tracing-App, deutlich verringern.

Erstmals untergebracht wurde Spahns Vorstoß für einen Immunitätspass Ende April im vom Kabinett dann auch verabschiedeten Entwurf des „Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Nach heftigen Protesten machte Spahn einen Rückzieher und bat den Ethikrat Anfang Mai darum, eine Stellungnahme zu dem Plan abzugeben – das Gesetz wurde am 19. Mai dann ohne den Passus verabschiedet.

Die Befürworter des Plans führen an, dass die Corona-Beschränkungen für Inhaber des Passes nicht mehr gelten müssten, also zumindest für Teile der Bevölkerung Freiheitseinschränkungen aufgehoben werden könnten.

Die Gegner des Plans führen in aller Regel das gleiche an, bloß mit anderen Schlussfolgerungen: Sie fürchten eine „Diskriminierung und De-Sozialisierung“, wie es der Ex-Ethikratschef Peter Dabrock formulierte, der damit schon andeutete, in welche Richtung der Rat kommende Woche plädieren könnte.

Auch an der unumstrittenen und Anfang dieser Woche präsentierten Tracing-App zeigt sich, wie sensibel der Themenkomplex zu behandeln ist. So fordern die Grünen eine gesetzliche Absicherung, die sicherstellt, dass durch die Nichtnutzung der App keinerlei persönliche Nachteile entstehen.

Den Pass gibt es als PDF-Datei

Für solche Vorsichtsmaßnahmen könnte es beim Immunitätsausweis jetzt vielleicht schon zu spät sein. „Passinhaber können wieder freier leben, Auslandsreisen sicherer planen und die Zahl der Todesopfer stark verringern“ – mit dieser knalligen Botschaft bewirbt seit dieser Woche der durchaus etablierte Tele-Arbeitsunfähigkeitsbescheiniger au-schein.de sein neues Angebot. Und zwar den „weltweit ersten Covid-19-Immunitätspass“, den alle Menschen mit einem positivem Antikörpertest bestellen können – den Test gibt es ebenfalls bei au-schein.de 

Der Immunitätspass von au-schein.de
Der Immunitätspass von au-schein.de

© obs/Dr. Ansay AU-Schein GmbH/dpa

„Der Patient bzw. seine Eltern“ müssten dafür nur einen Onlinefragebogen ausfüllen, der dann „durch eine Tele-Ärztin überprüft wird“. Der Pass werde dann als PDF oder in Papierform verschickt, inklusive einem Armband, kosten soll das Paket mindestens 29 Euro. Auch niedergelassenen Ärzten wird ein Testkit mitsamt Blanko-Pass angeboten, ab 19 Euro aufwärts. Die Kits haben eine Zulassung der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, heißt es in der Pressemitteilung, die Tagesspiegel Background vorab vorlag.

Mit dem Pass könne man angstfrei leben

Bereits jetzt kann der Pass – der in keiner Weise ein offizielles Dokument irgendeiner anerkannten Behörde ist – auf der Webseite bestellt werden. Zwar wird beim Anklicken auch darauf hingewiesen, dass es für den Ausweis „momentan in der EU noch keine rechtlich verbindliche Grundlage gibt“, doch grundsätzlich versprochen wird zuvor „Freiheit für Immune!“.

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Mit dem Pass könne man „wieder angstfrei leben, seine Großeltern besuchen und Auslandsreisen sicherer planen“. Und sobald „die Corona-Verbote angepasst“ seien, „können Sie sich auch wieder ohne Maske frei bewegen“. Der zugrundeliegende Antikörpertest kommt von einem Labor in Berlin, das auch DNA-Tests anbietet, unter anderem für „personalisierte Müslis“.

Anbieter wirbt mit falschen Versprechen

In der Pressemitteilung erwähnt au-schein.de-Gründer Can Ansay zwar den Kabinettsbeschluss von Ende April, bei dem der Immunitätsnachweis noch im Gesetzentwurf stand – nicht aber die nachfolgende Streichung. Derzeit werde das Vorhaben vom „Ethikrat geprüft“, so Ansay weiter. Allerdings hat das Gremium nur die Aufgabe, eine Empfehlung abzugeben, die dann eventuell in kommende Gesetzesvorhaben eingearbeitet wird.

Ansay zitiert schließlich auch Gesundheitsminister Spahn, der Mitte Mai sagte, „andere Staaten planen bereits, die Einreise künftig von einem derartigen Immunitätsnachweis abhängig zu machen“. Weiter verweist Ansay auf Norwegen, wo Einreisende ihre Immunität nachweisen oder, wenn sie das nicht können, in eine Quarantäne müssten. Aber das stimmt nicht: Einreisen nach Norwegen wären für die meisten Deutschen auch mit Immunitätsausweis derzeit nicht möglich, da dies nur in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt ist.

Manche Länder diskutieren über Passregelungen

Es sind solche Unsicherheiten, auf die Anbieter kommerzieller „Corona-Immunitätspässe“ künftig setzen könnten. Denn durchaus gibt es ja Länder, die darüber diskutieren, Einreisen nur mit einem solchen Pass zuzulassen. Entsprechende Ideen gibt es zum Beispiel in China, den USA, in Italien und Großbritannien, beim EU-Digitalvorreiter Estland wird ein Pass schon getestet. Vor diesem Hintergrund dürfte sich auf der Anbieterseite in den kommenden Wochen viel bewegen.

So kündigte just gestern das israelische Digitalunternehmen Pangea einen Covid-19-Immunitätspass an, der auf biometrischen Daten fußt. Auch hier lautet das Versprechen, Ländern die Wiedereröffnung von Flughäfen zu ermöglichen „und gleichzeitig die Bevölkerung vor einem erneuten Auftreten des Virus zu schützen“. Allerdings offeriert sich Pangea als Dienstleister für Staaten, die eine „biometrische Smartcard“ als Immunitätspass entwickeln wollen.

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Anbieter zeigen sich entschlossen

Au-schein.de- Chef Ansay sieht sich in einer anderen Position, wie er in der Presseerklärung mehr als deutlich macht. „Corona-Verbote“ dürften nicht „rechtswidrig auch für Immune gelten“, schreibt er. Er sei entschlossen, „mittels Eil-Klagen durch unseren Rechtsanwalt, der schon mehrere rechtswidrige Corona-Verordnungen gekippt hat“, darauf hinzuwirken.

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Der weit verbreiteten Befürchtung, Menschen könnten sich mit dem Ziel, einen Immunitätspass zu bekommen, zu „Corona-Partys“ verabreden, begegnet er mit einer eigenwilligen Empfehlung. „Dagegen helfen Menschenversuche durch kontrollierte Ansteckung, wozu auch Experten zur schnelleren Erforschung eines Impfstoffs raten.“

Demnächst auch in den USA und Frankreich

Solche Worte lassen letzte Zweifel daran schwinden, mit welcher Aggressivität Anbieter von „Immunitätspässen“ in den kommenden Wochen und Monaten auf den Markt dringen werden. Au-schein.de wolle, heißt es in der Presseerklärung dazu, demnächst auch in den USA und Frankreich über die dort existierenden Portale arretmaladie.fr und drnote.com seine „Ausweise“ anbieten. „Um weltweite Qualitäts-Standards made in Germany zu setzen.“

Im Bundesgesundheitsministerium äußerte man sich bislang nur knapp zu dem Angebot von au-schein.de. „Der Minister hatte wiederholt betont, dass Patienten bereits heute Testergebnisse dokumentieren lassen können“, erklärte ein Sprecher. Die ethischen Implikationen eines Ausweises prüfe gerade der Ethikrat, „und das BMG wird diese Analyse auswerten“.

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