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Fünf auf einen Streich. Ein typisches Bild vom Hafen von Nassau auf den Bahamas – vor Corona. Bis August gilt in den USA eine „no sail order“.

© Daniel Piraino / Getty Images/ Eye EM

Interview zur Kreuzfahrt mit Daniel Rieger (Nabu): „Kleinere Schiffe sind nicht unbedingt besser“

Daniel Rieger vom Naturschutzbund (Nabu) über weniger Klimaschutzmaßnahmen durch Corona, neue Filter und modernen Ablasshandel

Herr Rieger, wird sich die Kreuzfahrt nach Corona verändern?

Es kommt darauf an, welche Zeitskala man sich anschaut. Im Moment arbeiten die Reedereien noch an einem Gesundheitskonzept. Damit steht und fällt, wann das Geschäft wieder anrollen kann. Auf den Schiffen braucht man komplett andere Bewegungsmuster. Ist ein Treppenaufgang dann zum Hochgehen und der andere zum Runtergehen? Wie lotst man die Leute durchs Schiff? Es wird sicher so sein, dass auf etliche Zeit noch die Belegungsquoten deutlich reduziert werden. Man kann sich zum Vergleich den Bereich Luftverkehr anschauen.

Daniel Rieger ist Leiter der Abteilung Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
Daniel Rieger ist Leiter der Abteilung Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu).

© NABU/Sevens + Maltry

Aber die Fluggesellschaften stopfen die Flieger doch schon wieder voll, da bleibt ja nicht einmal ein Mittelplatz frei.

Der gravierende Unterschied sind die Klimaanlagen, die zum Einsatz kommen. In den Flugzeugen sind das Hepa-Filter, also Luftfilter mit hoher Wirksamkeit gegen Teilchen. Die haben die Kreuzfahrtschiffe meist nicht. Das führte im Fall Corona dazu, dass sich das Virus über die Klimaanlagen gut verbreiten konnte. Da muss also baulich nachgebessert werden. Man kann sich ja viel in puncto Absperrungen und Plexiglasscheiben überlegen, wenn das Virus über die Klimaanlage rausgepustet wird, dann sind alle betroffen.

Was an Bord passiert, ist das eine. Wie sieht es bei den Landgängen aus?

Die Unternehmen müssen entscheiden, welche Route sie den Kunden überhaupt anbieten wollen. Schon zu Beginn der Krise haben ja einige Hafenstädte gesagt, nein, hier braucht ihr gar nicht anlegen, hier gibt es keinen Landgang. Man fährt auf Routen, wo man vom Meer aus die Kulisse anschauen kann, doch da setzt man dann keinen Fuß in die Städte. Ein Gutteil des Geldes verdienen Schiffsunternehmen aber mit Landausflügen. Das ist Teil des Geschäftsmodells. Das Paket, das vorher vermarktet wurde, wird auf absehbare Zeit nicht funktionieren.

Urlaub auf See ist für viele eine tolle Sache. Werden die Menschen darauf verzichten?

Es herrscht eine allgemeine Corona-Müdigkeit, nach dem Motto, so, jetzt haben wir das lange genug erduldet, jetzt wollen wir wieder leben wie vorher. Die Sommerferien stehen an, und die Reisewarnungen sind ja mindestens fürs europäische Ausland aufgehoben worden. Ich vermute, dass die Nachfrage nach Billigfliegern, Wochenendtrips oder eben nach Kreuzfahrten wieder stark steigen wird. Aber bei Letzteren ist das schwieriger, weil man sich auf einem Schiff weniger von anderen fernhalten kann.

Bemühen sich die Reedereien nicht um Lösungen?

Für die Unternehmen sind das aktuell enorme Kosten. Die Riesenschiffe kann man ja nicht ausstellen. Da laufen die Motoren weiter, die verbrauchen Strom, es sind auch noch jede Menge Leute aus der Crew an Bord. Zudem: Ein Kreuzfahrtschiff kostet rund eine Milliarde Euro, da müssen Kredite bedient werden. Der Druck auf die Anbieter ist also riesig, das Geschäft wieder zu beginnen.

Vielleicht ist der Neubeginn auf See auch eine Chance in puncto Nachhaltigkeit?

Wir haben schon in den vergangenen Jahren erlebt, dass die Kreuzfahrtanbieter, natürlich auch auf öffentlichen Druck hin, die technologischen Vorreiter in der Schifffahrt insgesamt geworden sind. Da wurde richtig viel Geld verdient, und das wurde anteilig auch in die Entwicklung neuer Antriebstechnologien gesteckt. Es sind nicht die Containerreeder, die danach fragen. Die Kreuzfahrtunternehmen interessieren sich bei Meyer & Co für diese Themen: Wie gelingt eine emissionsfreie Schifffahrt? Wie funktioniert das mit Brennstoffzellen, was habt ihr schon fertig, was können wir nutzen und ab wann ...

Das ist doch eine gute Entwicklung ...

Uns interessiert, wie kriegen wir die Schifffahrt in Richtung Klimaneutralität. Wenn das Geld anderweitig gebunden ist, weil die laufenden Kosten so hoch sind oder weil nix mehr reinkommt, dann sehen wir, dass diese Innovationen nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit vorangetrieben werden wie zuletzt. Das wäre dann ein Problem. Dann ruhen sich die Unternehmen darauf aus, was sie bisher hinbekommen haben, und das ist nicht sonderlich viel.

Schwimmendes Hochhaus. Die neue Kreuzfahrtschiff-Generation bietet oft Platz für mehr als 4000 Passagiere.
Schwimmendes Hochhaus. Die neue Kreuzfahrtschiff-Generation bietet oft Platz für mehr als 4000 Passagiere.

© Anatoly Anikin/Unsplash

Im vergangenen Jahr wurde die „MSC Grandiosa“ in Hamburg getauft. Mehr als 6300 Passagiere können mitfahren. Haben sich solche Megaschiffe nun überlebt?

Die Branche ist Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Bei unserem jährlichen Kreuzfahrtranking, zuletzt im September 2019, haben wir uns die Orderbücher der Werften angeschaut. Da waren noch 100 Kreuzfahrtschiffe im Zeithorizont bis 2025 drin, wobei ein Gros schon 2023 auf den Markt kommen sollte. Das ist jetzt alles auf „hold“ gesetzt, in den Werften strengt man sich an, möglichst langsam zu bauen, weil die jetzt schon enorme Überkapazitäten haben.

Werden die Schiffe künftig wieder kleiner?

Wir hatten diese Thematik bei dem Costa Concordia-Unglück 2012, als offenkundig wurde, dass solche Schiffsgrößen – und die Concordia war ja nicht mal die allergrößte – im Evakuierungsfall nicht mehr handelbar sind. Damals wurde darüber diskutiert, ob die Schiffe schon zu groß waren. Aber das hat die Branche dann schnell beiseite gedrückt, denn für die ist es ökonomisch super, wenn sie möglichst viele Menschen auf einem Schiff unterbringen. Clia, der Verband der Kreuzfahrtindustrie, hat sich folgendes Ziel gesetzt: 40 Prozent weniger Emissionen bis 2030. Dahinter steckt die Überlegung: Je mehr Leute sie auf ein Schiff packen, umso geringer ist in der Folge der Pro-Kopf-CO2-Abdruck. Sie reduzieren also nicht absolut, sondern pro Passagier.

Dann sind große Schiffe für die Umwelt sogar besser als kleine?

Von der Klimabilanz muss es nicht besser sein, ein kleineres Schiff zu haben. Aber der Trend geht dahin. Zahlreiche Hafenstädte wie Dubrovnik, Venedig, Barcelona oder Bergen in Norwegen machen für große Schiffe schon dicht. Aber wir müssen schauen, was das in puncto Abgase bedeutet. Das muss zwingend in Richtung Brennstoffzelle gehen. In Norwegen forciert jetzt die Reederei Havila diesen Weg, das ist sehr erfreulich.

Werden Kreuzfahrten in Zukunft teurer?

Man kann nicht alles immer günstiger bekommen wollen, inklusive Klimaschutz. Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe oder bei Flugzeugen Kerosin aus erneuerbarem Strom: Das kostet ein Vielfaches von dem, was die fossilen Rohstoffe kosten.

Bei Flügen können Passagiere die CO2-Emission kompensieren. Das müsste doch auch bei Kreuzfahrten funktionieren?

Man muss schauen, welche Projekte gefördert werden und welche Qualität sie haben. In der Regel ist das völlig unzureichend. Es gibt wenige gute Anbieter, und auch die hatten schon schlechte Projekte. Uns ist es wichtig, CO2 zu vermeiden, wir wollen uns nicht rauskaufen. Wir wollen, dass jene Technologien breit ausgerollt werden, die tatsächlich weniger Kohlendioxid verursachen.

Darf man überhaupt noch eine Kreuzfahrt buchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?

Es ist schwierig, das pauschal zu beantworten. Es kommt immer auf die Kombination an. Wenn man auf die Seychellen fliegt, ist das schlimmer. Die Kreuzfahrten haben den Vorteil, dass die Leute schon beisammen sind. Naturschützern würde es nicht gefallen, wenn man statt der 4000 Betten auf einem Schiff ein 4000-Betten-Hotel an eine verlassene Agavenküste bauen würde. Fakt ist, die Leute wollen Urlaub machen, und das sollte auch in irgendeiner Form möglich sein. Aber natürlich möglichst naturverträglich. Da hat die Kreuzfahrt noch etliches, was sie verbessern muss. Das gilt aber auch für andere Urlaubsformen. Auch wenn Sie mit dem Auto nach Frankreich fahren, hinterlassen Sie einen CO2–Fußabdruck.

O je, das hört sich ja an, als sollte man am besten zu Hause bleiben?

Der Lichtblick ist, dass zunehmend Technologien zur Verbesserung zur Verfügung stehen.

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