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Kurth

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Interview: "Sozialtarife würden den Wettbewerb behindern"

Matthias Kurth, Chef der Bundesnetzagentur, über steigende Strom- und Gaspreise, Kohlekraftwerke und die Zukunft des Energiemarkts.

Herr Kurth, die Bundesnetzagentur ist für den Wettbewerb im Energiemarkt verantwortlich. Sind die Strom- und Gaspreise ein Indiz für funktionierenden Wettbewerb?

Man muss sehen, wie sich die Verbraucherpreise zusammensetzen und worauf wir Einfluss haben. Beim Strompreis machen die Netzkosten nur rund ein Drittel aus, beim Gas etwa 20 Prozent. Da haben wir in den vergangenen Jahren einiges erreicht. Seit 2005 sind die Netzkosten im Durchschnitt von 7,30 Cent pro Kilowattstunde auf 5,90 Cent gesunken.

Aber der Gesamtpreis ist gestiegen.

Das stimmt. Insgesamt ist der Preis für eine Kilowattstunde von 18 auf 21,60 Cent gestiegen. Aber der größte Teil der Kosten, die der Kunde zahlt, betrifft nun einmal die Produkte Öl und Gas, die im Weltmarkt deutlich teurer geworden sind. Diese Preisentwicklung hat man ja auch an den Tankstellen gemerkt. Die Anbieterstrukturen beim Öl und beim Gas sind weltweit auf wenige konzentriert. Das können wir nicht beeinflussen.

Die Gaspreise steigen weiter, obwohl der Ölpreis zuletzt stark gesunken ist.

Hier gibt es einige Ungereimtheiten, denen auch das Bundeskartellamt in Missbrauchsverfahren nachgeht.

Wie lange dauert es, bis ein sinkender Ölpreis zu sinkenden Gaspreisen führt?

Bisher haben nur wenige Anbieter Preissenkungen vorgenommen. Das Risiko, den Kunden zu verlieren, ist offenbar noch nicht groß genug, damit die Anbieter sich von Verhaltensweisen aus der Monopolwelt verabschieden.

Können die Energiekonzerne, wenn sie geringere Netzgebühren kassieren, diese Einbußen durch Erhöhungen an anderer Stelle ausgleichen?

Das kann man nicht völlig ausschließen solange der Wettbewerb unvollständig ist. Konzerne legen den Preis der Endprodukte fest. Aber da gibt es große Unterschiede. Ein Stadtwerk zum Beispiel, das kein Kraftwerk hat, ist relativ unflexibel bei der Preisgestaltung und muss die höheren Einkaufspreise weitergeben. Ein Konzern, der ein abgeschriebenes Kraftwerk hat, ist da natürlich flexibler und kann seinen Strom unter Umständen mit überdurchschnittlichem Gewinn sehr gut verkaufen.

Könnten staatliche Zuschüsse ein Mittel sein, um etwa sozial schwachen Familien bei den Energiekosten zu helfen?

Ein Großteil des Strompreises wird durch staatliche Abgaben und Steuern beeinflusst. Dann würden ja den politisch gewollten Abgaben Subventionen gegenübergestellt. Diese Abgaben wurden zum Teil damit begründet, dass man Anreize zum Energiesparen schaffen wollte. Außerdem würden Sozialtarife den Wettbewerb behindern. Wir wollen aber Wettbewerb, indem auch andere Betreiber Kraftwerke bauen. Die müssen auch auf ihre Kosten kommen. In jedem anderen Markt würden bei hohen Preisen sofort neue Markteintritte folgen.

Warum passiert das in diesem Fall nicht?

Das passiert ja. Aber im Strommarkt und auch im Gasmarkt ist das natürlich nicht so einfach wie in anderen Märkten. Da haben sie lange Vorlaufzeiten, um ein Kraftwerk zu bauen. Da brauchen sie Genehmigungen. Trotzdem gibt es inzwischen zahlreiche Vorhaben, neue Kraftwerke zu bauen und zwar nicht nur von den großen Konzernen. Etwa die Hälfte der Projekte sind Kohlekraftwerke, wie etwa das geplante Steinkohlekraftwerk in Mainz und Wiesbaden.

Kohlekraftwerke sind aber kaum noch durchzusetzen.

Man hat fast den Eindruck, jedes Kohlekraftwerk in Deutschland soll verhindert werden. Natürlich ist niemand begeistert, wenn in seiner Nachbarschaft ein Kraftwerk entsteht, aber in einem Industrieland sind derartige Dinge immer akzeptiert worden, wenn man das richtig erklärt hat. Es geht ja auch um irrationale Ängste, die mit Kraftwerken verbunden sind. Merkwürdig ist, dass der Widerstand manchmal von Leuten kommt, die sich über die hohen Strompreise beklagen. Das ist ein widersprüchliches Verhalten.

Müssen sich die Menschen auch bei mehr Wettbewerb auf dauerhaft steigende Strompreise einstellen?

Das hängt davon ab, wie wir den Energiewandel hinbekommen. Dass die fossilen Träger zurückgehen, ist klar. Ob nun in 50 oder 100 Jahren, darüber streiten die Experten. Dass die weltweite Nachfrage nach Energie steigt, ist auch klar. Deshalb ist es in Deutschland Konsens, dass wir einen Wandel zu erneuerbaren Energien wollen, die künftig 20, 25 oder vielleicht eines Tages sogar 30 Prozent der Stromerzeugung ausmachen sollen.

Wie wird sich dieser Energiemix auf den Strompreis auswirken?

Das kann man nicht beziffern. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es in der Zukunft intelligente Zähler und differenzierte Preise gibt, je nachdem, wann man seinen Strom bezieht.

Wie funktioniert das?

Man kann ja in der Nacht bestimmte Geräte aufladen oder die Waschmaschine laufen lassen. Das würde die Nachfrage nach Strom kontinuierlicher machen und die Netze entlasten. Wer dazu bereit wäre, bekäme einen günstigeren Tarif. Dafür wäre der Strom in Spitzenzeiten teurer. Das würde intelligentes Verbrauchsverhalten anregen und gleichzeitig auch unsere Netze intelligenter machen.

Sind die Netze denn überlastet, wenn viele Leute gleichzeitig Strom verbrauchen?

Das hat eher mit der unterschiedlichen Erzeugung von Energie zu tun und besonders mit der Windkraft. Wenn zum Beispiel starker Wind ist, können sie in Ostdeutschland den gesamten Strombedarf mit Windenergie decken. Dazu müssen sie aber alle Kohle- und sonstigen Kraftwerke auf Null fahren, damit das Netz noch funktioniert. Wir haben in den Netzen schon heute durchaus Stresssituationen. Wenn die Windkraftanlagen künftig auf dem Meer stehen, wo der Wind noch stärker weht, wird das unsere Netze noch stärker belasten.

Der Energiemarkt in Deutschland und in Europa wurde vor zehn Jahren liberalisiert. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Gemischt. Ich würde sagen, das Glas ist halb voll. Wir haben noch keinen funktionierenden Wettbewerb in den Energiemärkten, wie wir uns das vorstellen. Allerdings haben wir in Deutschland auch erst seit drei Jahren eine Regulierungsbehörde. Seitdem haben wir viel Grundlagen- und Entwicklungsarbeiten erledigt.

Was hat die Bundesnetzagentur im Strommarkt erreicht?

Wir haben es möglich gemacht, dass Kunden einfacher den Anbieter wechseln können. Über Internetportale kann jeder die Preise vergleichen. In den Jahren 2006 und 2007 hat es insgesamt rund zwei Millionen Wechsler im Strommarkt gegeben. Das ist eine Zahl, die sich bei den einzelnen Unternehmen gerade auch im Berliner Raum schon bemerkbar gemacht hat. Die Verbraucher sind kritischer geworden, gerade wegen der steigenden Preise und sie wissen, dass man etwas sparen kann, wenn man den Anbieter wechselt.

Wie ist es beim Gas?

Beim Gas ist es leider noch nicht so positiv, weil die Anbieterzahl geringer ist, auch wenn wir hier gerade in den Großstädten eine Trendwende feststellen. Auch beim Wechsel des Gaslieferanten haben wir standardisierte Wechselbedingungen geschaffen. Außerdem gibt es Vorgaben, um die Marktgebiete zu reduzieren, gegen fünf Netzbetreiber haben wir vor kurzem ein Missbrauchsverfahren eröffnet. Ohne unsere Maßnahmen würde die Kleinstaaterei im Gasnetz weitergehen. Dazu unterliegen künftig auch zehn Fernleitungsnetzbetreiber unserer Regulierung. Davon erwarten wir eine weitere Belebung des Wettbewerbs.

Der Bundesgerichtshof hat Eon und RWE vergangene Woche untersagt, sich weiter an Stadtwerken zu beteiligen. Was bedeutet die Entscheidung für den Wettbewerb?

Sie ist positiv zu bewerten. Nach langen Jahren der Konzentration bei den Erzeugern und Anbietern in Deutschland gibt es jetzt die Chance für mehr Vielfalt und neue Bündnisse und Anbieter. Eine Trendwende zeichnet sich gerade bei Eon ab.

Das Interview führte David Lerch.

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