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Interview mit Brigitte Zypries: „Ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr griffe zu weit“

Wirtschafts-Staatssekretärin Brigitte Zypries sprach mit dem Tagesspiegel über Lärm am BER, die Lage von Air Berlin, die Raumstation ISS und das Teleskop „Sofia“. Zudem verriet sie, wie sie zu ihrem neuen Posten kam.

Als langjährige Bundesministerin der Justiz sind Sie bekannt profiliert. Mit Luft- und Raumfahrtthemen sind Sie bis zu Ihrer Ernennung nicht aufgefallen. Woher das plötzliche Interesse?

Sigmar Gabriel und ich hatten vereinbart, dass ich bei ihm Parlamentarische Staatssekretärin werde, zunächst sprachen wir über den Bereich der Informationstechnologie. Dann kam die Luft- und Raumfahrt als weitere Aufgabe dazu, was mich freute. Denn beides sind sehr spannende Aufgaben, die für mich viel Neues bringen. Und noch mal etwas ganz anderes tun - das wollte ich gerne.

Welche Rolle spielte der Umstand, dass das europäische Raumfahrtkontrollzentrum ESOC, genannt „Houston Europas“, in Ihrem Wahlkreis Darmstadt sitzt?

Das verstärkte mein Interesse an der Aufgabe sehr. Mein Wahlkreis ist sowohl bei der Luft- und Raumfahrt als auch im IT-Sektor sehr gut positioniert, die Themen und Herausforderungen sind mir seit Jahren von dort bekannt. Darmstadt und die Region Rhein-Main-Neckar nennt man ja auch das Silicon Valley Deutschlands.

Hier in Berlin hat Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft Air Berlin für 2013 netto gut 315 Millionen Euro Verlust verbucht. Ihr Chef begründet die Schieflage auch damit, dass er 143 Millionen Euro Luftverkehrssteuer zahlen musste. Zu Recht?

Es ist leicht zu erkennen, dass diese Zahlen nicht zusammenpassen. Auch ohne Luftverkehrsteuer bliebe ja ein erhebliches Minus. Aber klar ist: Die Steuer tangiert alle deutschen Airlines – und zwar massiv. Ich hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode dafür eine Lösung finden werden.

Die Steuer abzuschaffen?

Zumindest sollte die Steuer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten noch einmal geprüft werden. Schließlich müssen unsere Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Denn wir reden hier auch über viele Arbeitsplätze und technologisches Know-how.

Eigentlich wollte Air Berlins Partner Etihad aus Abu Dhabi weitere Anteile übernehmen. Da setzt das EU-Recht enge Grenzen. Wie stehen Sie zu Investoren von außerhalb der EU?

Unabhängig von Fluggesellschaften: Wir leben in einer global vernetzten Welt. Da ist es nur normal, dass nicht jedes Unternehmen, das in Deutschland aktiv ist und Arbeitsplätze schafft, auch deutschen Eigentümern gehört. Gleichwohl begrüße ich sehr, dass wir mit der Lufthansa nicht nur eine große deutsche Airline haben. Insofern würde ich mich freuen, wenn sich auch nationale Investoren für die Air Berlin fänden.

Und wenn sich kein heimischer Investor findet?

Das ist Marktwirtschaft.

Auch Hersteller kämpfen. Im vergangenen Jahr vereitelte die damalige Bundesregierung einen Zusammenschluss von EADS, heute Airbus, und der britischen BAE Systems. Würde das heute wieder so laufen?

Fragen Sie doch mal bei Airbus nach, wie sie das sehen. Ich glaube, dass sie nicht unglücklich darüber sind, dass es zu keinem Zusammenschluss gekommen ist.

So oder so leidet Airbus unter sinkenden Rüstungsausgaben, baut Personal in der Militär- und Raumfahrtsparte ab. Inwieweit könnte sich das durch die Ukraine-Krise ändern?

Ich hoffe sehr, dass es dort keine militärischen Auseinandersetzungen gibt und diese Frage sich damit erledigt. Jedenfalls tut die Bundesregierung alles, damit die Lage dort nicht eskaliert. Und zum Thema Rüstungsexporte haben wir ganz klar gesagt: Wir wollen die Exportkontrollen verschärfen und insgesamt weniger exportieren, mit allen Konsequenzen.

Glauben Sie, dass das zu mehr Frieden in der Welt führen wird?

Ihre Frage ist wie die Frage: Meinen Sie, dass die Welt besser wird, wenn Deutschland aus der Atomenergie aussteigt? Ich glaube, einer muss den ersten Schritt tun, wenn er richtig ist. Und wenn ihn keiner tut, passiert auf alle Fälle gar nichts.

Womit wir schon beim Pannenprojekt BER wären, an dem der Bund beteiligt ist. Wie ist das zu lösen?

Da müssen Sie den zuständigen Verkehrsminister fragen.

"Der wirtschaftliche und politische Schaden ist groß"

Aber die Nicht-Eröffnung betrifft Unternehmen, die Sie betreuen. Da werden Sie doch eine Meinung haben.

Der wirtschaftliche und politische Schaden ist groß. Nicht nur die Fluglinien haben einen großen materiellen Schaden - die Debatte um den BER wirft auf den Technologiestandort Deutschland insgesamt kein sehr gutes Licht. 

Diverse andere Flughäfen wurden eröffnet, verdienen aber kein Geld. Kassel-Calden...

...einer von mehreren Flughäfen

...hatte im Winter gar keinen Linienverkehr. Der in Lübeck ist pleite. Haben wir zu viele Regionalflughäfen?

Es scheint ganz so. Ganz offenbar gibt es nicht den Bedarf für Ferienflieger, wie mancherorts beim Bau der Flughäfen angenommen. Im Umkreis von Kassel zum Beispiel gibt es im Radius von 200 Kilometern fünf Flughäfen zur Auswahl, von Frankfurt und Hannover über Münster / Paderborn, Erfurt bis Dortmund. Da ist es wirtschaftlich natürlich ausgesprochen schwer, noch einen weiteren zu installieren.

Was folgt für Sie daraus?

Der Bund hat unmittelbar kaum Einflussmöglichkeiten. Aber er muss ein Luftverkehrskonzept erstellen, an dem das Verkehrsministerium auch bereits arbeitet. 

Ein anderes Instrument für den Anwohnerschutz sind Nachtflugverbote. Was halten Sie von einer Ruhe zwischen 22 bis 6 Uhr, wie Anwohner um Schönefeld fordern?

Eine entsprechende generelle Regel griffe zu weit und würde viele Interessen unberücksichtigt lassen. Es geht dabei ja nicht nur um die Airlines, sondern auch um alle, die mit ihnen fliegen wollen. Grundsätzlich muss das für jeden Flughafen einzeln geregelt werden. So werden Flugzeuge am BER über Gebieten starten und landen können, die sicher nicht so dicht besiedelt sind wie zum Beispiel rund um den Flughafen Frankfurt.

Was für andere Lärmschutz-Möglichkeiten sehen Sie?

Die Flugzeug- und Triebwerkstechnologien haben hier in den vergangenen Jahren glücklicherweise gewaltige Fortschritte gemacht. So hat zum Beispiel das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gute Vorschläge erarbeitet, die bei Airbus und anderen schon umgesetzt werden. Über das Luftfahrtforschungsprogramm finanzieren wir diese innovative Entwicklung mit. Nun könnte man überlegen, ob man zum Beispiel zu Nachtzeiten nur noch Maschinen starten und landen lässt, die modern und relativ leise sind.

Kürzlich wurde ein ungewöhnlich heftiger Hackerangriff auf das DLR bekannt, das dem Wirtschaftsministerium untersteht. Es heißt, China stecke dahinter.

Dieser Vorgang ist technisch hoch komplex, sensibel und muss aufgrund der Sicherheitsrelevanz vertraulich behandelt werden. Die Ermittlungen hierzu laufen; deshalb kann ich Ihnen dazu keine Auskünfte erteilen.

Solche Attacken betreffen viele Unternehmen der Hochtechnologie in Luft- und Raumfahrt. Wie wehrt man sich gegen Wirtschaftsspionage?

Wir müssen in Deutschland unsere Informations- und Kommunikationssysteme stärker schützen. Und wir müssen Daten sicherer machen: das gilt sowohl für ihre Übertragung, da denke ich an Verschlüsselung, aber auch für die Speicherung, beispielsweise in einer deutschen- oder europäischen Cloud.

Aber das kostet. Geben Sie zum Beispiel dem DLR nun mehr Geld dafür?

Es ist zu früh, um über die Mittelverteilung für den Haushalt 2015 zu sprechen.

Ende des Monats steht ein Höhepunkt im Raumfahrtkalender. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst wird zur Internationalen Raumstation (ISS) fliegen. Beneiden Sie ihn um den Trip?

Höchstens um den Blick, den er auf die Erde haben wird. Der ist bestimmt grandios. Aber das Leben dort oben ist sicher sehr entbehrlich. Ich jedenfalls möchte keine sechs Monate ohne Dusche sein.

"Eines Tages werden auch die Chinesen auf die ISS kommen"

Brauchen wir die teure bemannte Raumfahrt überhaupt?

Der Charme der ISS ist, dass sich Russen, Amerikaner, Europäer und weitere Nationen die Station teilen. Das ist für die Frage, wie arbeitet die Welt zusammen, ein gutes Signal. Die ISS ist als politisches Projekt entstanden und war ein bedeutendes Symbol für das Ende des kalten Krieges. Die Station wird jetzt wissenschaftlich genutzt und dient beispielsweise Medizinern, Biologen oder Materialforschern dazu, Grundlagen besser zu verstehen und so bessere Therapien oder Werkstoffe zu entwickeln. Die Zukunft gehört meines Erachtens allerdings der Robotik, die solche Untersuchungen kostengünstiger und ohne Gefährdung von Menschen möglich macht.

Die Chinesen sind nicht beteiligt, obwohl sie das gern wären. Die USA stellen sich quer.

Das wird sich sicherlich noch ändern. Ich glaube, dass eines Tages auch ein Chinese auf der Station zu Gast sein wird.

Um die Zukunft der ISS verhandeln die ESA-Minister im Dezember. Einer der größten Streitpunkte dürfte dort auch die Zukunft der Ariane-Rakete sein. Sie setzen auf eine Weiterentwicklung, genannt Ariane-5 ME. Warum?

Es geht vor allem um die Frage, was der kostengünstigste Weg ist, um den europäischen Zugang zum All zu sichern. Nach unserer Vorstellung ist das die Weiterentwicklung der Ariane 5, die ja schon viele Jahre erfolgreich fliegt. 

Doch auch bei der Ariane-5 ME werden die Starts weiterhin wesentlich teurer sein als die der Konkurrenz, etwa bei der US-Firma SpaceX.

Das stimmt nach der derzeitigen Preistafel, aber das Problem hätten wir auch mit einer Neuentwicklung.

Braucht Europa überhaupt eine eigene Transportrakete?

Ja. Die Bedeutung eines europäischen Zugangs zum Weltall sieht man gerade jetzt während der Ukraine-Krise. Da kann Europa schnell zwischen die Interessen der Amerikaner und der Russen geraten. Aber wir müssen sicher sein, dass wir unsere Satelliten auch künftig ins All bekommen - denn auf die Daten, die die Satelliten liefern, sind wir inzwischen angewiesen. Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Europäer eine eigene Startmöglichkeit haben.

Was wird bei der Ministerratskonferenz außerdem wichtig sein?

Die Frage, wie sich die europäische Raumfahrtagentur ESA weiterentwickelt. Ich möchte, dass sie in der jetzigen Form bestehen bleibt und nicht in der EU aufgeht.

Warum nicht?

Sie ist nicht deckungsgleich bei den Mitgliedsstaaten. Wir haben auch die Schweiz und Norwegen dabei, die nicht zur EU gehören. Und es gibt einige Länder, die nicht dabei sind, aber EU-Mitglieder sind. Wir sollten diese Länder nicht dazu bringen, bei etwas mitzumachen, was sie nicht wollen. Und wir haben bei der ESA immer einen guten return of invest: Das, was wir an Geld hineingeben, kommt in Form von Forschungsmitteln und Arbeitsplätzen nach Deutschland zurück. Damit sind wir sehr gut gefahren, das wollen wir beibehalten.

2015 wird der ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain in den Ruhestand gehen.

Und wir möchten, dass der Nachfolger aus Deutschland kommt.

Als möglicher Kandidat wird der DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner gehandelt. Würden Sie seine Bewerbung unterstützen?

Bisher gibt es noch nicht einmal eine Ausschreibung - aber Herr Professor Wörner wäre ohne Zweifel hervorragend geeignet.

Zur nationalen Raumfahrt. Ihr Amtsvorgänger Peter Hintze hat lange Zeit für eine unbemannte Mondmission unter der Führung Deutschlands geworben. Haben Sie ein ähnliches Herzensprojekt?

Mein Anliegen ist es, die Felder zu stärken, die zu Nutzanwendungen auf der Erde führen. Hier sehe ich gerade für die mittelständischen Firmen in der Luft- und Raumfahrt besondere Chancen. Ich habe bereits eine Reihe von Unternehmen besucht, um zu schauen, wie wir diese noch besser positionieren können, auch international. Bei der Satellitentechnik zum Beispiel sind einige deutsche Firmen weltweit führend. Dort schließen sich aber noch weitere Geschäftsfelder an. Viele Apps wären gar nicht möglich, wenn wir nicht kontinuierlich Daten aus dem Weltraum bekommen würden. Neulich wurde auch der erste Copernicus-Satellit für die Erdbeobachtung gestartet. Seine Daten stehen offen zur Verfügung und können von jedem, der eine gute Idee hat, genutzt werden. Diesen Weg wollen wir weitergehen.

Für die Astronomen hingegen läuft es schlecht. „Sofia“, einem umgebauten Jumbojet mit einem Spezialteleskop im Heck, droht die Stilllegung, weil die Amerikaner die Finanzierung von 84 Millionen Dollar im Jahr auf 12 Millionen kürzen wollen. Dem mehr 1,25 Milliarden Dollar teuren Projekt von Nasa und DLR droht nach nur drei Jahren das Aus.

Wir sind dazu mit den Amerikanern in intensiven Gesprächen auf verschiedenen politischen Kanälen. Wir versuchen, sie davon zu überzeugen, dass es keine kluge Entscheidung ist, Sofia auf den Boden zu zwingen.

Eine Lösung wäre, dass Deutschland seinen Anteil von 20 Prozent an allen Kosten erhöht.

Es gibt Vereinbarungen. An die muss sich jedes Land als Vertragspartner halten. Es kann nicht sein, dass Deutschland seinen finanziellen Beitrag erhöht, wenn ein anderes Land sagt, sie zahlen nicht mehr.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass die Nasa ein internationales Vorhaben einfach kürzt.

Das mag sein, aber das ist keine Entschuldigung. Unser Ziel ist es, die Amerikaner zu überzeugen, dass das in die Forschungsvorhaben von Sofia investierte Geld gut investiertes Geld ist.

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