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Viktor Mayer-Schönberger ist einer der führenden Experten für Internetregulierung. Davor hatte er eines der ersten und meistverkauften Antivirenprogramme Österreichs entwickelt.

© Mike Wolff

Internetforscher Mayer-Schönberger zum Facebook-Skandal: "Die Datenkraken zu zerschlagen würde nicht helfen"

Der Experte für Internetregulierung fordert, dass Facebook seine Daten teilen muss und erklärt die Vorzüge personalisierter Preise.

Viktor Mayer-Schönberger (51) ist Professor für Internet Governance und Regulierung an der Oxford University. Zuvor lehrte und forschte der österreichische Jurist zehn Jahre in Harvard. Dabei forderte er zum Beispiel ein Ablaufdatum für Informationen und gilt damit als Begründer des „Rechts auf Vergessenwerden im Internet“. Nach einem EuGH-Urteil muss Google deswegen bestimmte Suchergebnisse entfernen lassen. Mayer-Schönberger hat verschiedene Bestseller wie „Big Data“ verfasst. Sein jüngstes, gemeinsam mit Thomas Ramge geschriebenes Buch „Das Digital“ widmet sich Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus.

Herr Mayer-Schönberger, nach dem Datenskandal werden Forderungen lauter, die Macht von Facebook zu begrenzen. Muss man das Unternehmen gar zerschlagen?

Die Datenkraken zu zerschlagen würde nicht viel helfen. Nach zehn Jahren hat man das Problem wieder, das ist wie die vielköpfige Schlange, der man den Kopf abschlägt und dann wächst er wieder nach. Viel wichtiger ist es, zu verstehen, warum Facebook so mächtig ist. Das hängt damit zusammen, dass Milliarden von Menschen sehr viele Informationen über Facebook anderen mitteilen – und damit Facebook bemächtigen. Und Facebook nutzt diese Daten, lernt daraus und wertet sie zielgerichtet aus.

Wie würden Sie diese Macht begrenzen?

Wir müssen die Datenkraken zwingen, diese Daten anonymisiert mit anderen zu teilen. Dann verlieren die Datenkraken ihre strukturelle Vormachtstellung. Daher fordere ich eine Datenteilungspflicht. Jeder der über zehn Prozent Marktanteil hat, muss allen anderen am Markt einen Teil seiner Daten anonymisiert zur Verfügung stellen.

Aber dann bekommt Facebook auch noch Daten von Google, Apple und Amazon. Führt das nicht dazu, dass die Großen nur noch mächtiger werden?

Der Grenznutzen von neuen Daten für Facebook ist sehr klein, weil die schon so viele Daten haben. Aber für die kleinen Mitbewerber, vor allem auch aus Europa, die sehr wenige Daten haben, ist der Zugewinn riesengroß. Es potenziert ihre Chancen gegen die Datenkraken bestehen zu können.

Wir diskutieren gerade, wieviel Facebook schon jetzt über uns weiß. Kommen wir nicht zu einem totalen Big-Brother-Szenario, wenn das noch mehr wird?

Nein. Aber es geht darum, eine Art informationelle Gewaltenteilung in den Märkten herzustellen. Beim Staat gilt seit über 200 Jahren das Prinzip der Trennung von Exekutive, Legislative und Judikative, um Machtkonzentrationen zu verhindern.

Jetzt haben wir eine ähnliche Machtkonzentration zwischen Markthersteller, Datensammler und Entscheidungsbeeinflusser. Diese Verbindungen zwischen den informationellen Gewalten müssen wir lösen. Damit wird auch die Marktmacht wieder weniger.

Wie soll das konkret bei Facebook funktionieren?  

Ich wünsche mir beispielsweise ein Start-up, das mir einen Bot anbietet, so dass ich nur noch angezeigt bekomme, was ich sehen möchte und nicht was Facebook glaubt, dass ich gern sehen würde. Dann kann Facebook nicht mehr steuern was ich sehe und dann ist auch das institutionelle Fake-News-Problem viel kleiner. Denn ich schaffe mir meinen eigenen Filter, und muss nicht länger mehr den verwenden, der mir die Fake News russischer Trolle einspielt.

Aber Facebook ist auch so erfolgreich, weil die Nutzer zumindest mit den Filtern bislang zufrieden waren.  

Das ist, denke ich, ein Trugschluss. Wir verwenden Facebook und sein Filtersystem, weil es für viele gefühlt keine Alternative dazu gibt. Als ich vor zehn Jahren vorhergesagt habe, dass es soziale Netzwerke geben wird, die Informationen vergänglich machen, haben alle gesagt, Du spinnst. Heute hat Snapchat 280 Millionen Nutzer mit dem zentralen Argument gewonnen, dass sie Informationen vergänglich machen. Es hat einfach eine Alternative gefehlt.

Alle die in der Bubble sein wollen, können das natürlich auch tun. Ich kann den Leuten nicht den Bubble-Filter verbieten, das konnte ich früher auch nicht. Wer vor 50 Jahren Verschwörungstheoretiker war und nur mit entsprechenden Freunden zusammen sein wollte, den konnte man auch nicht davon abbringen. Das ist die Freiheit in unserer Gesellschaft. Ich kann aber durch Wahlmöglichkeiten jenen Menschen eine Chance geben, ihr Leben in Zukunft besser selbst zu gestalten, die bisher nur auf Facebook zurückgreifen können.

Im Mai gilt die Datenschutzgrundverordnung, erhoffen Sie dadurch eine Verbesserung?

Die Datenschutzgrundverordnung ist Schritt in die richtige Richtung – aber ein kleiner. Wenn man in Software-Versionen denkt, ist sie noch nicht Datenschutz 2.0, sondern eher Datenschutz 1.2. Spannend ist darin aber die Datenportabilität. Damit können Betroffene ihre Daten herausholen und anderen, wie Start-ups, zur Verfügung stellen. Das ist viel umständlicher als die direkte Verpflichtung an die Datenkraken ihre Datenschätze mit anderen zu teilen, aber es ist ein erster Schritt.

Werbeplakat von Facebook: Der Konzern hat die Datensammlung perfektioniert.
Werbeplakat von Facebook: Der Konzern hat die Datensammlung perfektioniert.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Die Möglichkeit der Weitergabe von Daten an Dritte hat doch erst zum jüngsten Skandal geführt. Ergeben sich dadurch nicht nur wieder Missbrauchsmöglichkeiten, wenn Menschen leichtfertig Zugriff gewähren können?  

Das Problem bei Facebook ist ja, dass Facebook die sehr persönlichen Daten weitergegeben hat. Bei der Datenportabilität hingegen entscheiden die Betroffenen selbst, welche Daten sie an wen weitergeben. Sie haben damit die Macht, nicht Facebook.

Ihre Forderungen klingen insgesamt wie eine Absage an das Prinzip der Datensparsamkeit?

Ich komme aus der Datenschutzecke und mir war Datensparsamkeit immer sehr wichtig. Aber wir leben jetzt in einer Welt, in der viele Daten gesammelt werden, die aber derzeit nur für wenige große Unternehmen verfügbar sind. Für mich ist das große Informationsungleichgewicht die unmittelbare Gefahr. Und das beste Mittel gegen dieses Ungleichgewicht ist es, wenn die Daten nicht bloß wenigen großen US-Konzerne sondern der Gesellschaft insgesamt zur Verfügung stehen. Der Geist der Datensparsamkeit ist aus der Flasche entschwunden. Nun geht es darum sicherzustellen, dass durch die Datenflut niemand zu Schaden kommt und es keine gefährlich großen Informationsungleichgewichte und Machtkonzentrationen gibt.

Stattdessen wollen Sie totale Transparenz wie in Schweden, wo ich die Steuererklärung meines Nachbarn im Netz einsehen kann?

Das finde ich besser als wenn die Datenkraken alles wissen, aber niemand sonst. Das Spannende in Schweden ist ja, dass die Daten allen zur Verfügung stehen aber kaum einer geht nachsehen. Es ist eine potenzielle Transparenz, aber trotzdem muss tatsächlich nicht jeder alles über alle wissen.

Und wenn ein cleveres Start-up daraus ein Scoring-Modell macht?

Im Kreditbereich wäre ein besseres Scoring ja sogar wünschenswert. Kreditscoring mit sehr wenigen Datenpunkten ist hoch problematisch. Das hat sich in den USA gezeigt. Dort bekommt keinen Kredit, wer an der falschen Adresse wohnt. Aber die Postleitzahl als zentrales Kriterium für Verlässlichkeit zu verwenden, ist ganz offensichtlich ungenügend. Da wünsche ich mir, dass viel mehr Daten verwendet werden, damit auch die Ergebnisse weniger unfair sind.

In China wird gerade ein individuelles Scoring eingeführt, könnte so etwas könnte dann nicht auch passieren?

Ja, das ist eine Gefahr. Wir brauchen absolute gesetzliche Grenzen der erlaubten Datennutzung. Das bedeutet auch neue Rechte und Freiheiten für die Bürger im Datenzeitalter. Im 20. Jahrhundert waren Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit zentrale Grundrechte. Im 21. Jahrhundert müssen wir diese durch die Entscheidungsfreiheit ergänzen. Wir müssen auch in Zukunft selbst entscheiden dürfen, und nicht die Gesellschaft.

Auf Gemüsemärkten sind auf verschiedene Personengruppen abgestimmte Preise schon immer üblich und akzeptiert.
Auf Gemüsemärkten sind auf verschiedene Personengruppen abgestimmte Preise schon immer üblich und akzeptiert.

© Christoph Driessen/dpa

In ihrem aktuellen Buch sagen Sie, Daten sind das neue Geld. Können Sie das erklären?

Geld hat zwei Funktionen. Zum einen ist es Wertspeicher und erlaubt uns, damit zu bezahlen. Zum anderen – und das wird gern vergessen – ist es mit Hilfe des Preises das notwendige Schmiermittel, mit dem wir am Markt Informationen über Vorlieben und Wünsche austauschen. Das verändert sich gerade. In Zukunft müssen wir nicht mehr alles auf den Preis kondensieren, sondern können unsere Wünsche umfassend am Markt mitteilen. Damit wird es uns viel öfter gelingen, am Markt exakt das zu finden, was wir suchen. Das bedeutet nicht, dass wir kein Geld mehr haben werden, aber es wird vor allem die Zahlfunktion und weniger die Informationsfunktion am Markt haben und damit weniger wichtig sein.

Werden nicht einfach die vielen Informationen genutzt, um die Preise zu optimieren?

Die Anbieter versuchen natürlich so viel wie möglich über ihre Kunden zu verstehen. Gleichzeitig leben wir aber auch in einer Welt, in der das Angebot so transparent ist wie noch nie. Ich kann etwa über die Bewertungen oft genau erfahren, wie gut oder schlecht Produkte sind. Das Hauptproblem für viele Konsumenten ist daher eher die fehlende Zeit haben das gesamte Angebot zu sondieren.

Hat der Konsument wirklich die Entscheidungshoheit? Amazon & Co. optimieren doch in Echtzeit, teilweise werden sogar personalisierte Preise genutzt.

Personalisierte Preise sind nicht grundsätzlich schlecht. Wenn ich nur rote Schuhe haben möchte und dafür bereit bin mehr zu zahlen, dann soll ich das auch tun. Denn dann bekomme ich, was ich möchte, und nicht jemand, der sich am Rot der Schuhe gar nicht freuen kann.

Wir Menschen mögen individualisierte Preise nicht, weil wir hoffen mit standardisierten Preisen einen besseren Deal zu bekommen. Wir glauben, dass wir die großen Anbieter austricksen können, wenn wir ihnen unsere Präferenzen nicht verraten. Aber in Wahrheit ist es vielfach andersrum: Viele von uns zahlen dann bei standardisierten Preisen zu viel. Und dann sind die einzigen, die draufgezahlt haben sind wir selbst.

Und wenn jemand mehr zahlen soll, weil er einen Shop mit einem teuren Apple-Rechner aufruft finden Sie das auch okay?

Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn Leute, die mehr Geld verdienen, für manche Produkte auch mehr zahlen. Wenn irgendwo ein Snob hereinkommt und ohne auf den Preis zu sehen einfach wahllos bestellt, dann akzeptieren wir das auch – selbst wenn wir den Kopf dabei schütteln. Auch sind unterschiedliche Preise für die gleiche Ware nichts Neues. Wenn sie durch das Bundesgebiet fahren, sehen sie ganz unterschiedliche Benzinpreise. An der Autobahn etwa sind sie meist höher als an der Landstraße, in Bayern anders als in Brandenburg.

Schon 50 Meter können da einen Unterschied machen, das sieht man auf jedem Gemüsemarkt. Am Rand sind die Preise oft höher, weil dort alle einkaufen, die nicht viel Zeit haben und wer sich bis zur Mitte vorkämpfen kann, bekommt günstigere Preise. Mit allen diesen unterschiedlichen Preisen haben wir uns abgefunden.

Ich fände es trotzdem ungerecht, für die gleiche Flasche Wein im Internet mehr zu zahlen, nur weil ich ein teureres Apple-Gerät nutze.

Das verstehe ich. Aber eine derartige Situation ist höchstens vorübergehend. Denn wenn das zu oft passiert, werden sie bald kein Apple-Gerät mehr nutzen. Oder Apple bringt eine Software heraus, die vorgaukelt ein Windows-Gerät zu sein, damit Apple-Nutzer nicht mehr zahlen müssen. Die Welt ist viel dynamischer als wir denken – und bei richtigen Rahmenbedingungen sind wir ihr auch nicht hilflos ausgeliefert.

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