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Vielen nach wie vor zu langsam: die Internetverbindung. Bis 2018 soll in Deutschland Breitband verlegt sein.

© Fredrik Von Erichsen/dpa

Industrielle Revolution 4.0: Die Baustellen der Gründerhauptstadt

Gründer fühlen sich wohl in der Hauptstadt. Für die Metropole ist die Digitalisierung eine Chance, zu einem wirtschaftlichen Zentrum nicht nur in Deutschland zu werden. Am Mittwoch treffen sich über 100 Digital-Forscher auf dem Digital Science Match, um ihre Ideen vorzustellen.

Etwas wagen. In Berlin gibt es immer mehr, die das tun. Rund 2500 junge technologielastige Unternehmen gibt es in der Bundeshauptstadt, sagt Florian Nöll, Chef des Bundesverbands Deutsche Start-ups. Und jeden Tag kommt ein neues dazu – statistisch gesehen. Das spricht sich herum. Aus ganz Europa strömen Gründer und junge Fachkräfte hierher, treffen auf Gleichgesinnte, auf Geldgeber, auf Wissenschaftler. Für Berlin kommt der Aufbruch in die digitale Epoche zur rechten Zeit, glaubt Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU). Als vor zwei Jahrzehnten der Nachwendeboom in der Bundeshauptstadt zu Ende ging, fehlten plötzlich die großen Industrien. Allein 100 000 Arbeitsplätze gingen in diesem Sektor verloren, bei der Arbeitslosenquote lag Berlin im bundesweiten Vergleich lange Jahre ganz hinten. Industrie 4.0, also die Digitalisierung der Wirtschaft, sieht Yzer deshalb als große Chance für ein Comeback Berlins in diesem Bereich.

Die Vierte Industrielle Revolution soll Berlin 17 bis 25 Milliarden Euro jährlich bringen

Tatsächlich bergen die riesigen Datenmengen, die Maschinen heutzutage liefern können, in Verbindung mit der Rechenleistung moderner Informationstechnologie enorme wirtschaftliche Chancen. „Die Welt vernetzt sich völlig neu“, sagt Jörn Quitzau, Volkswirt bei der Berenberg-Bank. „Alle Lebensbereiche und Märkte sind davon betroffen, von Mobilität über Bildung bis hin zur Gesundheitsversorgung.“ Gemeinsam mit dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut hat das private Geldhaus kürzlich das Potenzial errechnet, das die zunehmende Digitalisierung von Fabriken, Lieferketten, Dienstleistungen und anderen Geschäftsprozessen mit sich bringt. Demnach winkt den Unternehmen hierzulande in den kommenden 15 Jahren eine zusätzliche Wertschöpfung von 17 bis 25 Milliarden Euro – jährlich.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister wird nicht müde zu betonen, wie entscheidend die so genannte Vierte Industrielle Revolution – also die Vernetzung von produzierendem Gewerbe und IT-Wirtschaft – für die Wettbewerbsfähigkeit sei. In diesem Zusammenhang hatte Michael Müller (SPD) im Sommer einen Arbeitskreis mit Berliner Wissenschaftler und Manager mit initiiert. Dieser soll im Herbst Ergebnisse präsentieren. Nach gehörigem zeitlichen Anlauf hat die Politik offenbar verstanden, lobt auch die Wissenschaft. „Es gibt eine hohe Aufmerksamkeit in der Politik“, sagt Thomas Wiegand, Leiter des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts.

„Die Breitbandagenda – der Ausbau des schnellen Internets in ganz Deutschland bis 2018 – ist der Bundesregierung ernst.“ Auch beim künftigen Mobilfunkstandard 5G – unerlässlich etwa für vernetzte Autos und das industrielle Internet – sei man in guten Gesprächen. Wiegand fordert in diesem Zusammenhang aber mehr Mut von allen Beteiligten – und speziell von Berlin. Tokio beispielsweise wolle 5G bis 2020 ausrollen. „Aus meiner Sicht müsste eine Stadt wie Berlin sagen, das können wir schon lange.“ Dafür brauche es aber nicht nur fähige Politiker, sondern auch Verständnis in Bevölkerung und Wirtschaft. Wenn Deutsche Telekom, Vodafone und Telefonica sich etwa darüber verständigen könnten, 5G innerhalb Europas zuerst in Berlin zu starten, hätte man „schon einen großen Schritt“, meint der Elektrotechniker.

43 000 IT-Spezialisten werden gesucht

Doch gerade in der Wirtschaft – vor allem abseits der IT-Branche – besteht noch Nachholbedarf in Sachen Verständnis. So sammeln viele Betriebe zwar inzwischen fleißig Daten aus ihren Fertigungshallen, wissen sie aber nichts mit ihnen anzufangen. Das wiederum führen Forscher auf das fehlende Fachpersonal zurück. „Hier zeigt sich Nachholbedarf in der deutschen Wirtschaft. "Die Firmen investieren zwar in Technik", sagt Alexander Börsch, Forschungsleiter bei der Unternehmensberatung Deloitte. Um aus den Datenmengen jedoch sinnvolle Erkenntnisse etwa über den eigenen Maschinenpark oder neue Geschäftsmodelle abseits vom bestehenden entwickeln zu können, brauchten sie Spezialisten. In einer Studie der Beratungsfirma gaben weniger als zehn Prozent an, für solche Posten Naturwissenschaftler zu suchen, die sich mit Algorithmen auskennen.

Das ist zu wenig, meint auch der IT-Branchenverband Bitkom. „Damit Deutschland einen Spitzenplatz in der digitalen Welt erreichen kann, brauchen wir IT-Spezialisten“, sagt dessen Präsident Thorsten Dirks. Nach Angaben des Verbands suchen Unternehmen hierzulande derzeit rund 43 000 IT-Spezialisten. Zum fehlenden Verständnis vieler Betriebe kommt also auch noch eine beachtliche Lücke gut ausgebildeter Bewerber.

50 000 Menschen arbeiten in Berlin bei Start-ups

Für Berlin macht sich der Weg in die digitale Welt bereits bezahlt. Mehr als 50 000 Menschen arbeiten in der Stadt alleine für die Start-ups. Und 1,4 Milliarden Euro pumpten private Geldgeber und Investmentfonds allein im ersten Halbjahr in die hiesige Szene. Leuchtturm-Projekte wie das frühzeitige Ausrollen von 5G könnten diesen Boom noch mit mehr Substanz versehen. Ein Umfeld zum Beispiel für Verkehrs-Apps entstünde. „In diesem Bereich hätten wir dann weltweit die Nase vorn“, sagt Wiegand. Das wäre „unbezahlbar“.

VERANSTALTUNGSHINWEIS

Über 100 Digital-Forscher kommen am 7. Oktober im „Kosmos“ (Karl-Marx-Allee 131a) zusammen. Beim Digital Science Match, veranstaltet von Tagesspiegel und „Die Zeit“, trifft sich die digitale Szene – Wirtschaft, Wissenschaft, Start-ups und Studierende. In Impulsvorträgen von drei Minuten Länge stellen die Forscher ihre zentralen Ideen vor. Die Keynote zur Eröffnung der Konferenz spricht Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD). Für die Veranstaltung sind noch Restkarten verfügbar. Auch kann man sich für die Teilnahme noch auf ein Stipendium bewerben.

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