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Gemeinsame Wege. Zusammenziehen ist für viele Paare längst kein Muss mehr.

© picture alliance / dpa

Zusammen oder Getrennt?: Viele Paare leisten sich zwei Haushalte

Mein Bett, mein Kühlschrank und mein Klingelschild. Zwei Wohnungen - unnötiger Luxus oder ein Geheimrezept, um die Beziehung frisch zu halten?

Ein gemeinsames Nest - das ist für viele Paare irgendwann ein Muss. Doch nicht für alle. Denn einige finden: Es braucht keinen gemeinsamen Wohnsitz, um eine erfüllte Beziehung zu führen. „In der Soziologie trägt dieses Beziehungsmodell den Namen Living Apart Together, kurz LAT. Darunter fallen Paare, die in getrennten Haushalten wohnen“, erklärt Birk Hagemeyer, Persönlichkeitspsychologe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Fast alle Beziehungen beginnen als LAT-Partnerschaften. Denn: Dass man mit einem Menschen zunächst das Klingelschild und erst danach tiefe Gefühle teilt, kommt meist nur in Studenten-WGs vor.

Aus Sicht der Paarcoaches Frank Schulze und Claudia Müller aus Freiburg eignen sich getrennte Wohnungen vor allem für Paare, die sich ihren Freiraum wünschen oder denen es wichtig ist, dass trotz Beziehung jeder seinen eigenen Lebensstil bewahren kann. Außerdem stecken hinter der Frage „Zusammenziehen oder nicht?“ meist viel größere Fragen: Wie viel Nähe brauchen wir - und wie viel Distanz? Was ist uns in der Beziehung wichtig?

„Auch für ein Paar, das bereits zusammenlebt, aber dauernd streitet, können getrennte Wohnungen einen Versuch wert sein“, sagt die Paartherapeutin und Mediatorin Friederike Ludwig aus Lohmar bei Siegburg. Doch es gibt auch andere Gründe, warum sich zwei Partner dagegen entscheiden, ihre Haushalte zusammenzulegen. „Wer ein Kind oder einen pflegebedürftigen Angehörigen im Haushalt hat, geht den Schritt zum Zusammenziehen mit einem neuen Partner vielleicht nicht so schnell“, sagt Hagemeyer. Männer und Frauen ab Ende 30 entscheiden sich häufiger als jüngere Altersgruppen für getrennte Wohnungen. Dies lasse sich darauf zurückführen, dass für diese Altersgruppe das Thema Familienplanung nicht mehr so wichtig sei.

Vertrauensfragen

In einem Punkt sind sich die Experten einig: Geht es um die Familiengründung, stößt das Modell „Living Apart Together“ an seine Grenzen. „Ein Kind verlangt viel Betreuung, Versorgung und Energie. Das ist für ein Elternpaar natürlich deutlich einfacher, wenn es zusammenlebt“, so Frank Schulze. Das LAT-Modell kann für Partner aber einige Vorteile bieten. Denn mit dem Zusammenziehen stellen sich ganz neue Fragen. Wer putzt das Bad? Wer nimmt sich frei, wenn am Montag der Handwerker vorbeikommt? Diese Fragen können für Konflikte sorgen - etwa, wenn einer das Gefühl hat, deutlich mehr zu machen als der andere. „Wohnt man getrennt, kommt es nicht so schnell zu diesen alltäglichen Streitereien“, sagt Ludwig. Denn durch die getrennten Wohnungen hat jeder seine eigene Domäne, die Rollen sind klar verteilt. Ein weiterer Vorzug: „Wer getrennt wohnt, erlebt regelmäßig Wiedersehen. Das kann dazu führen, dass sich die Partner stärker aufeinander freuen und sich bewusster Zeit nehmen“, sagt Schulze. Gemeinsam mit dem Partner aufzuwachen, zu kochen oder auf dem Sofa Filme zu schauen, ist nicht mehr so selbstverständlich, wenn man diese Erfahrungen nicht jeden Tag macht.

Doch getrennte Wohnungen haben auch Nachteile. Nicht jedes Paar ist in der Lage, zwei Wohnungen zu finanzieren. Und auch der Komfort kommt in der Singlebude oft zu kurz. Eine von der Plattform umzugsauktion.de beauftragte repräsentative Studie „Umzug 2018“, für die deutschlandweit 1 000 Personen ab 18 Jahren befragt wurden, zeigt: 45 Prozent der Befragten geben an, dass sie keine Waschmaschine in die erste gemeinsame Wohnung mitgebracht haben. Ähnlich sieht es bei kleineren Küchengeräten aus. Fast die Hälfte zählte vor dem Einzug in die gemeinsame Wohnung weder Mixer noch Kaffeemaschine oder Toaster zur Ausstattung des Alleinelebens.

Ein weiterer Punkt, den es beim LAT-Modell zu beachten gilt, ist das Thema Vertrauen. „Durch getrennte Wohnungen wird der Freiraum größer, sich mit anderen zu treffen“, erklärt Ludwig. Mit diesem Risiko umzugehen, fällt einigen Menschen schwer. Es sei keine gute Idee, den Partner zu kontrollieren, ihn ständig anzurufen oder unangekündigt vor der Tür zu stehen. Claudia Müller empfiehlt in solchen Fällen, an der Basis der Beziehung zu arbeiten. „Wenn dort echte Liebe ist und das Paar nicht auseinandergezogen ist, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, fällt das Vertrauen natürlich leichter.“

Nähe auf Distanz

Wie behält ein Paar die Nähe, wenn es sich nicht jede Nacht ein Bett teilt? „Paare, die getrennt leben, sind oft Paare, die ohnehin schon gut kommunizieren“, hat Ludwig beobachtet. Wichtig sei dabei, dass sich die Partner aktiv mit der Beziehung auseinandersetzen. Im Alltag bewahren kleine Rituale die Nähe. „Die Partner können vor dem Schlafen kurz telefonieren, eine Gute-Nacht-Nachricht schreiben - oder einfach mal einen kleinen Zettel mit lieben Worten in der Schublade verstecken“, nennt Schulze einige Beispiele. Womit sich die Partner wohlfühlen, müssen sie natürlich selbst herausfinden. Ein Patentrezept gibt es, wie in Beziehungsfragen generell, nämlich nicht.

Manchmal ist es nur ein Partner, der sich getrennte Wohnungen wünscht, während der andere sich nach einem gemeinsamen Nest sehnt. Dieser Konflikt ist nach der Beobachtung von Claudia Müller gar nicht so selten zu beobachten: „Wichtig ist, dass die Partner nicht gegeneinander handeln, sondern gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Wenn man weiß, welche Bedürfnisse hinter dem Verhalten des Partners stecken, kann man viel besser Verständnis für ihn entwickeln.“

So können Lösungen entstehen, auf die das Paar vorher gar nicht gekommen wäre. Nämlich zum Beispiel die, sich im selben Haus zwei Wohnungen zu mieten. Oder zu vereinbaren, dass das Paar eine Woche getrennt lebt und in der folgenden zusammen. Letztlich bleibt die Erkenntnis: Das Spektrum von Wohnformen ist groß - und darin müssen die Partner mit ihren Persönlichkeiten, Werten und Bedürfnissen eine Lösung finden, die zu ihnen passt. (dpa, Tsp)

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