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Kinder in einem Hangar im ehemaligen Flughafen Tempelhof sind an den Stellwänden der Familienunterkünfte hochgeklettert.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Wohnungssuche: Nach der Flucht geht es durchs Paragrafendickicht

Im Heim ist es eng, laut und nicht besonders kinderfreundlich. Auf dem Wohnungsmarkt aber sind Flüchtlinge häufig chancenlos. Hinzu kommen bürokratische Prozeduren.

„Ich bin allein. Nichts passiert.“ Anas – 28 Jahre alt, Ehemann und Vater zweier Kinder – ist verzweifelt. Vor einem Jahr floh er aus dem Irak nach Deutschland. Vor dem Krieg, wie er sagt, in die Sicherheit, die er sich erhoffte. Seit einem Jahr lebt er nun mit seiner Familie in einer Notunterkunft in der Otto-Ostrowski-Straße in Friedrichshain. „Immer wieder bieten mir Menschen ihre Hilfe an, aber nichts funktioniert“, sagt er resigniert.

Anas, seine Frau und ihre zwei Kinder teilen sich ein kleines Abteil der zum Schlaflager umgebauten Turnhalle. Und ihr Schicksal mit 76 Menschen, die dort auf engstem Raum leben. Ein Stockbett reiht sich ans nächste, Menschen wuseln umher. Alle versuchen sich den Tag über zu beschäftigen, bevor sie abends schlafen gehen. Draußen vor der Turnhalle spielen Kinder. Der Rasen ist zertreten und von Zigarettenstummeln übersät.

Eine trostlose Kulisse, wäre da nicht das fröhliche Gelächter. Kinder jagen um ein altes zerschlissenes Sofa herum. Unter ihnen ein Mädchen, geschminkt wie ein kleiner Marienkäfer. Es ist Rimas, drei Jahre alt, Anas Tochter. Etwas unsicher läuft sie den Älteren hinterher, schenkt jedem ein Lächeln. Ihr sechsjähriger Bruder ist noch in der Schule.

Der Rasen vor der Turnhalle ist der einzige Spielplatz für Rimas und ihre Freunde. Auch Privatsphäre und Ruheräume sind für die Heimbewohner in der Unterkunft beschränkt. Deswegen ist Anas seit mehreren Monaten auf der Wohnungssuche.

Schutzbedürftige haben es etwas leichter

Zunächst versuchte er sein Glück bei dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF). Er wollte sich dort als Härtefall wegen „besonderer Schutzbedürftigkeit“ – wie es im Beamtendeutsch heißt – registrieren lassen. Das EJF ist seit 2014 Dienstleister des Landesamtes für Flüchtlinsgangelegenheiten und für die Beratung, Vermittlung und Antragsvorbereitung von Geflüchteten auf Wohnungssuche zuständig. Es vermittelt Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften an Flüchtlinge, die wegen ihres Alters, einer Behinderung, einer Traumatisierung oder, weil sie alleinerziehend sind, als Härtefälle gelten.

275 Wohnungen pro Jahr stehen ihnen laut einem Kooperationsvertrag zwischen dem Flüchtlingsamt und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung.

Das Vermittlungsverfahren läuft in mehreren Stufen ab. Zunächst senden die Wohnungsbaugesellschaften ihre Angebote an das Flüchtlingsamt, wo sie geprüft und an das EJF weitergeleitet werden. Dort beginnt die eigentliche Vermittlung an die Geflüchteten. Ein Besichtigungstermin und eine Benennung als Mieter folgen, ein weiterer Antrag auf Kostenübernahme muss gestellt werden. Erst nach dessen Vorlage kann der Mietvertrag unterschrieben werden.

Ein Vermittler wollte 3000 Euro Miete - pro Monat

Für Flüchtlinge, die wie Anas nicht als besonders schutzbedürftig eingestuft werden, gestaltet sich die Wohnungssuche noch schwieriger. Denn sie sind auf sich alleine gestellt. Und scheitern häufig an den bürokratischen Hindernissen und mangelnden Deutsch- und Ortskenntnissen. „Ich gehe immer wieder mit Helfern zu irgendwelchen Gebäuden, aber ich bekomme nur Informationen, die ich nicht verstehe oder die mir nichts nützen“, sagt Anas.

Er berichtet, dass es Menschen gebe, die seine Hilflosigkeit ausnutzen wollten. Einmal habe ihm ein Mann, zu dem er Kontakt durch einen Helfer bekommen hatte, ein Haus für 3000 Euro Miete pro Monat angeboten. Das seien normale Preise, darunter würde er nichts finden, hieß es. Anas war bestürzt. Er dachte, er müsse tatsächlich bei jedem Angebot so viel bezahlen. „Andere Vermieter fragten mich nach meinem Glauben“, erzählt Anas. Wegen seiner Religion wollten sie ihn nicht.

Das Lageso selbst teilte dem Iraker mit, er müsse im Regelfall drei bis vier Jahre auf eine Wohnung warten. Dabei weiß er nicht mal, ob er sich nach so langer Zeit überhaupt noch in Deutschland aufhalten darf. Diese Situation macht ihm zu schaffen. Besonders, da seine dreijährige Tochter von den Lebensbedingungen der Notunterkunft immer wieder krank werde. „Dieser Stress, kein Zuhause zu haben, das macht sie krank“, sagt Anas. Auch seiner Frau ginge es nicht gut, sie wolle einen festen Platz für sich und ihre Familie. Anas würde ihr das nur zu gern ermöglichen: „Sie hat genug gelitten.“

Viele Vermieter schreckt schon das Wort "Flüchtling" ab

Eine Notunterkunft für Flüchtlinge in Karlshorst.
Eine Notunterkunft für Flüchtlinge in Karlshorst.

© Paul Zinken/dpa

Doch eine eigene Wohnung zu finden, gleicht bei den meisten Flüchtlingen einer Odyssee. Häufig erfolgt die Kostenübernahme erst nach sechs Monaten Aufenthalt. Kostbare Zeit, denn früher können sie mit der Wohnungssuche nicht mal anfangen. Außerdem sind die Informationsschreiben auf Deutsch verfasst, Helfer müssen in der Regel übersetzen.

Eine dieser Helferinnen ist Jessica König. Ihr Fazit fällt ernüchternd aus: „Ohne die Hilfe von Freiwilligen würde die Wohnungssuche noch weniger funktionieren, als sie es ohnehin schon tut.“ Die meisten Geflüchteten würden kein Wort Deutsch sprechen und könnten daher weder die Mitteilungen und Erlaubnisse des Flüchtlingsamtes noch die Immobilienportale oder Wohnungsanzeigen verstehen. „Sie haben alleine keine Ahnung, wie sie eine Wohnung finden können“, sagt König. Deswegen müsse von außen geholfen werden. Staatliche Hilfe gebe es bei der Suche keine.

Jessica König beschäftigt das sehr. Die Flüchtlinge müssten darauf hoffen, dass die Anrufe bei Wohnungsgesellschaften und Anfragen von Privatpersonen mit der Zeit funktionieren. Auch Internetportale würden mit geringen Erfolgschancen genutzt, meistens sei allein das Wort „Flüchtling“ abschreckend.

Die Chancen sind "extrem schlecht"

Viele Betroffene bekommen nur einen sogenannten subsidiären Schutz mit einer Aufenthaltserlaubnis von einem Jahr. Danach wird erneut geprüft. Der Flüchtlingsstatus gilt drei Jahre. Das wirkt auf die Vermieter nicht gerade einladend. „Vor dem Ablauf des Prüfverfahrens sind die Chancen, eine Wohnung zu finden, aber noch schlechter, denn bis zu diesem Zeitpunkt sind Geflüchtete an einen Wohnsitz in Berlin gebunden“, sagt König. Außerdem sei es auf dem Berliner Wohnungsmarkt auch für Menschen mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung schwer, etwas zu finden.

Für Flüchtlinge gebe es allerdings eine weitere Hürde: den vom Flüchtlingsamt vorgegebenen finanziellen Rahmen, die sogenannte Angemessenheitsgrenze. Bei einer vierköpfigen Familie beträgt er 587,35 Euro für die monatliche Bruttokaltmiete. Auch die minimale Quadratmeterzahl ist vorgegeben. Zwei Personen sollten mindestens 30 Quadratmeter zum Leben haben.

Auch eine Sozialbetreuerin des humanistischen Verbandes schätzt die Chancen für Geflüchtete, eine Wohnung in Berlin zu finden, als „extrem schlecht“ ein. Es gebe zu wenig Möglichkeiten für Flüchtlinge, sich zu informieren. Zwar gebe es schriftliche Informationen und Angaben auf Hilfsportalen in verschiedenen Sprachen im Internet, doch diese seien generell zu pauschal gehalten: „Die Tipps sind zwar in jeder Sprache verfügbar, aber auch in jeder Sprache wenig hilfreich.“ Gerade für geflüchtete Familien sei die Situation untragbar, sagt die Frau, die lieber ungenannt bleiben möchte.

Durchhaltevermögen, Kontakte und eine Portion Glück

Sie findet es schrecklich, dass Kinder in den lauten, engen Notunterkünften leben müssen, in denen die offizielle Ruhezeit erst um zehn Uhr abends beginnt und wo auf die Bedürfnisse von Kindern nicht immer eingegangen werden kann. „Es ist kein passender Ort zum Großwerden“, sagt sie besorgt. Außerdem sei die Integration der Kinder, die häufig nur Kontakt miteinander und in der Schule zu anderen Flüchtlingen in Willkommensklassen hätten, durch die Wohnsituation erschwert.

Trotzdem gebe es bis auf das EJF keine festen Anlaufstellen für Familien. Und für die Sozialbetreuer sei es oft kontraproduktiv, den Geflüchteten bei der Wohnungssuche zu helfen. „Viele sind nur projektgebunden in einer Unterkunft angestellt. Wenn sie aufgelöst wird, weil sie zu wenig Bewohner hat, werden sie arbeitslos.“

„Auch Geflüchtete, die nicht als Härtefall gelten, wenden sich an das EJF“, hält die Sprecherin des Hilfswerks dagegen. Sie würden dann über ihre Möglichkeiten informiert. Auch prüfe das Hilfswerk Wohnungen, die die Geflüchteten selbstständig gefunden haben, auf ihre Tauglichkeit, bevor es die Angebote an das Landesamt für Flüchtlinge weiterleite. Man könne auch Fortschritte vermelden: Wurden 2014 rund 500 Wohnungen an die Flüchtlinge vermittelt, waren es bis Ende August 2016 schon knapp 1500. Davon hatten die Flüchtlinge 978 Wohnungen selbst gefunden.

Für Anas und seine Familie bedeutet es jedenfalls, dass er mithilfe von Freiwilligen und Übersetzern weitersuchen muss. Und dass es vor allem eine Frage von Durchhaltevermögen, Kontakten und einer Portion Glück zu sein scheint, ob und wann er eine Wohnung findet.

Christine Siedler

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