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Die Zäune und Mauern müssen weg: Das Gelände des ehemaliges Krankenhauses des Ministerium für Staatssicherheit MfS Stasi an der Hobrechtsfelder Chaussee im Pankower Ortsteil Buch soll mit Wohnungen bebaut werden.

© imago/Jürgen Ritter

Wohnen im Umland: Unter Buchmachern

Entwickelt Berlin keine neuen großen Quartiere, könnte die Stadt ins Abseits geraten

Der Frust in der Berliner Stadtgesellschaft über die keineswegs ausreichende Neubautätigkeit - angesichts des weiterhin enormen Zuzugs nach Berlin - ist inzwischen offenbar so groß, dass Jedermann sich nunmehr aufgerufen fühlt, Flächen für den Wohnungsneubau zu definieren. Die fünf Initiatoren der Bürgerstadt Buch (der Tagesspiegel berichtete) sind allerdings nicht Jedermann und schon gar nicht Irgendwer.

Anfang September 2019 stellten die Architektin Julia Tophof, der Mietenexperte der SPD, Günter Fuderholz, Winfried Hammann (Vorstandsmitglied Bürgerstadt Aktiengesellschaft) der SPD-Wohnungs- und Immobilienpolitiker Volker Härtig und der Sachverständige Friedrich Stark ihr Projekt zum ersten Mal in einer Fachöffentlichkeit vor. Eingeladen hatten der Architekturpreis Berlin e. V. gemeinsam mit der Wirtschaftskanzlei Zirngibl, der Funk Gruppe und der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH zum Gespräch am Langen Tisch „Bürgerstadt Buch bauen“ in das KutscherHaus am Kurfürstendamm / George-Grosz- Platz. Das Ergebnis: ernüchternd und ermutigend zugleich.

Die Bürgerstadt Buch dürfte kaum Chancen auf eine Realisierung haben, denn das Gebiet kommt im aktuellen Stadtentwicklungsplan nicht vor.

Zwar plante der Senat von Berlin in den 90er Jahren 800 weitere Wohnungen in Buch IV, die Realisierung des Wohngebiets Buch V mit 3000 Wohnungen, die Bebauung der Elisabethaue mit 1800 Einfamilien- und Reihenhäusern sowie die Errichtung einer neuen Stadt in und um Buch VI mit 900 Wohnungen und zahlreichen Arbeitsplätzen. Im Autobahndreieck zwischen Berliner Ring und A 114 sollte gar das Gewerbegebiet „Posseberg“ mit einer Größe von 53 Hektar entstehen. Und diese Planungen wurden 1994 auch in den Flächennutzungsplan übernommen. Doch in der Zeit der wirtschaftlichen Schwäche und sinkenden Bevölkerungszahlen änderte Berlin 2002 den Flächennutzungsplan: Die Fläche der geplanten neuen Stadt zwischen Buchholz und Buch (rund um „Buch VI“) wurde analog des benachbarten Posseberg in „gewerbliche Baufläche“ umgewandelt. Wohngebiete wurden verkleinert. Landwirtschaftlich genutzte Flächen und ehemalige Rieselfelder wurden zu erheblichen Teilen zu Landschaftsschutzgebieten erklärt. Vor diesem Hintergrund müssten zunächst die Pläne geändert werden, wofür der politische Wille derzeit noch fehlt.

Der Nordosten Berlins hat die größten Entwicklungspotentiale

Ohne Zweifel hat der Nordosten Berlin die größten Entwicklungspotentiale. 16 Quartiere hat die Initiativgruppe hier definiert. „Man würde auch noch weitere finden“, sagte Fuderholz: „Bei einer plausiblen Bevölkerungsprognose braucht Berlin 100000 Wohneinheiten mehr.“ Und an diesem Punkt wurde es am 4. September 2019 richtig spannend: Warum entwickelt die Stadt eigentlich keine großen Neubaugebiete und verliert sich lieber im Kleinklein der Nachverdichtung?

Die Initiativgruppe Buch hatte sich Verstärkung aus Hamburg geholt - in Gestalt von Jürgen Bruns-Berentelg, seit 2003 Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH, einer öffentlichen Entwicklungsgesellschaft. Nach seiner zehnminütigen Einlassung über Erfahrungen mit der Realisierung ahnt man, warum es in der Hauptstadt nicht vorangeht, aber vorangehen könnte. Und das war der mutmachende Teil des Abends. „Die Blaupausen kann man zwar nicht Eins zu Eins übertragen - große Entwicklungsgebiete haben unterschiedliche Bedingungen“, sagte Bruns-Berentelg. Aber: „Großgebiete haben ein größeres Potential, Diversität von Stadt zu erzeugen als die Verdichtung der inneren Stadt.“ Außerdem - hört, hört - „will ich gar keine Investoren. Ich brauche Bauherren.“ Große Gebiete lassen sich auch kleinteilig entwickeln. Das zeigen Beispiele aus Breslau/Wroclaw, das zeigt die prototypisch vorgelegte Entwicklung der Bürgerstadt Buch. Der Hafencity-Mann benannte, worum es ihnen in Hamburg ging und geht, nicht um die Entwicklung von Quartieren nämlich, sondern um die Entwicklung ganzer Stadtteile - wenn es irgendwie geht mit allem Pipapo. Die umweltorientierten Baustandards sollen erhöht, eine grüne Infrastruktur geschaffen werden. Es geht um Bussysteme für autonomes Fahren - um die Entwicklung eines anderen Charakters von Stadt mit Hilfe von öffentlichen und privaten Bauherren, auch mit Bestandhaltern aus Reihen der in Berlin so verhassten Wohnungsbaukonzerne.

Was Berlin aber von Hamburg lernen könnte, ist dass die HafenCity Hamburg GmbH „keine Profit-Transfer-Organisation“, ist. „Wir können Grundstücke für 450 Euro pro Quadratmeter verkaufen“, sagte Bruns-Berentelg. Seine Firma müsse am Jahresende nur Plus-Minus-Null machen: „Es ist uns institutionell erlaubt, von Grundstückswerten abzuweichen.“ Und anders als in Berlin habe man in Hamburg nicht das unbedingte Bedürfnis, Grundstücke in öffentlicher Hand zu halten. Kleingärten sieht der Hamburger nicht als Tabu: „In fünf Jahren werden wir keine weiteren Flächenreserven mehr haben, wo wir den Hafen anknabbern können.“

Eine unattraktive Stadt verliert attraktive Fachkräfte

Wie wichtig es wäre, auch in Berlin auf allen Ebenen ein positives Klima für den Neubau zu erzeugen, machte im Kutscherhaus Christian Böllhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Prognos AG deutlich. „Wir arbeiten eigentlich immer noch die Vergangenheit nach“, sagte er anlässlich der Vorstellung des jüngsten Deutschland-Reports mit dem Fokus auf die voraussichtliche Entwicklung Berlins im Bereich Bevölkerung. Die Bedarfslücke ist in Berlin größer als in anderen deutschen Großstädten - „überdurchschnittlich“, so Böllhoff: „In Berlin sind zwischen 2011-2017 rund 60 000 neue Wohnungen gebaut worden, aber 294000 Haushalte sind hinzugekommen.“ So rutscht man zwar näher zusammen, fühlt sich aber nicht unbedingt wohler. „Wir dürfen, und das meine ich wirklich positiv, davon ausgehen“, so der Prognos-Mann, „dass diese Stadt weiter wächst, auch mit den richtigen Menschen, die Innovation und interessante Perspektiven in diese Stadt bringen. Wir sollten uns nicht unattraktiv machen. Das wäre ein Jammer, denn wenn eine Stadt unattraktiv wird, dann werden diese Menschen nach Hamburg gehen - oder nach Hannover.“

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