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Glück der frühen 50er. Max und Elsbeth auf ihrer „Lambretta“, auf der leider kein Platz für die drei Kinder war.

© privat

Wohnen im Alter: Wie zwei Hochbetagte den Alltag im eigenen Haus meistern

Sie ist 98, er 104 Jahre alt. Die beiden leben eigentlich den Traum vieler alter Menschen – gemeinsam und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden.

Wie immer gibt Elsbeth Helwig* an der Haustür ihrem Ehemann Max denselben Rat mit auf den Weg: „Und lass’ dir Zeit, es hetzt dich niemand.“ Jaja. Er vergewissert sich lieber noch einmal, ob seine Jacke richtig geknöpft ist, er auch den Zettel eingesteckt hat. Dann stiebt er samt „Hackenporsche“ los in Richtung Supermarkt. Max ist Jahrgang 1914 und für das Einkaufen zuständig, seit Elsbeth nicht mehr gut zu Fuß ist. Sie macht sich derweil im Haus nützlich. So gut sie es mit 98 Jahren noch kann. Bei allen Einschränkungen: Die beiden leben eigentlich den Traum vieler alter oder gar hochbetagter Menschen – gemeinsam und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden.

Selbstbestimmt war das Leben der meisten aller heute etwa 17 000 Hundertjährigen in Deutschland wahrlich nicht immer. Bei vielen kam der Vater verwundet oder traumatisiert aus dem 1. Weltkrieg zurück (wenn überhaupt), es herrschte Chaos im zusammengebrochenen Kaiserreich, die Weimarer Republik brachte politische und wirtschaftliche Verwerfungen, Inflation, Börsenkrach. Dann das verfluchte Dritte Reich, ein erneut verlorener Krieg und seine Folgen. Stets gaben die herrschenden Umstände die Richtung an – Selbstbestimmung begann für die große Mehrheit dieser Generation eigentlich erst mit dem 40. Lebensjahr, zumindest in der Bundesrepublik. „Die Zeiten haben uns geprägt. Wir haben gelernt, eigene Ansprüche hintanzustellen, wenn es erforderlich war. Und das war es fast immer. Doch irgendwie hat es uns auch stark gemacht fürs Alter, wir können mit Beschränkungen umgehen“, sagt Elsbeth Helwig. „Jammern hilft ja nicht. Jeder muss tun, was er kann. Und solange es im Oberstübchen noch stimmt, lässt sich ohnehin das meiste bewältigen.“

Ganz ohne fremde Hilfe geht nicht mehr alles

Doch wie meistern sie ihren Alltag? Die drei Kinder sind längst selbst im Rentenalter und leben weit auf der Welt verstreut. Das Haus in Schuss halten, die Wohnung pflegen, den Garten bestellen. „Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, klar. Es fängt ja morgens bei der Körperpflege bereits an“, sagt die 98-Jährige. „Wer da schlampert, hat schon verloren.“ Die Helwigs haben ihren Tagesrhythmus immer beibehalten. Gut, sie stehen nicht mehr wie früher um sechs Uhr auf, sondern erst um sieben. So viel Luxus darf sein. Und jeden Morgen sind beide froh, dass „kein Zivi auf der Matte steht, um beim Waschen und Anziehen zu helfen“, sagt Elsbeth. Der Einstieg in den Tag dauere zwar wesentlich länger als früher, aber mit gegenseitiger Unterstützung laufe es gut. Vor allen Dingen passen sie auf, dass keiner von ihnen in der Dusche stürzt und sich schwerwiegender verletzt. „Das ist mein Horror.“ Altengerechte Umbauten haben sie noch nicht vornehmen lassen, „für mich reicht vorerst ein Stock“. Kochen tut sie noch jeden Tag. Allein schon der Gedanke an „Essen auf Rädern“ hält sie mobil.

Ganz ohne fremde Hilfe geht jedoch nicht mehr alles. Staubsaugen, große Wäsche waschen und aufhängen, Fenster putzen, Rasen mähen – seit ein paar Jahren bekommen sie im Rahmen der Pflegeversicherung eine Hilfe für die körperlich anstrengenden Arbeiten im Haushalt. „Ich bin mit Pflegegrad 2 eingestuft“, sagt Elsbeth, vor allem weil sie doch sehr wackelig auf den Beinen sei. Mit den 316 Euro im Monat wird eine „tüchtige Frau“ bezahlt, die auch außer der Reihe schnell kommt, wenn es nötig ist. Etwa, wenn Elsbeth wieder mal wie vom Blitz durch einen Drehschwindel niedergestreckt ist, nicht mehr allein aufstehen kann und auch Ehemann Max mit der Situation überfordert ist. Was sagt der Arzt zu dem Schwindel? „Ach, wissen Sie: Wenn Sie älter als 90 sind, werden Sie ja von keinem Arzt mehr für voll genommen. Alt gleich doof, denken die. Das brauche ich nicht.“ Dem Ehemann steht doch sicher auch Geld von der Pflegeversicherung zu. „Wieso?“, fragt der 104-Jährige empört, „ich hab’ doch nichts.“ Er bedauert lediglich, dass seine Kondition etwas nachgelassen hat. Neulich habe er tatsächlich auf dem weiten Weg zur Sparkassenfiliale zum ersten Mal auf einer Ruhebank Platz nehmen müssen. „Das hat mich echt geschockt.“

Wann wird es denn Zeit, über ein Altersheim nachzudenken?

Wie wird ein Mensch überhaupt so alt? Max hält vor allen Dingen die Gene für entscheidend. „Allerdings kann jeder auch selbst viel zu seiner Gesundheit beisteuern. Alles, aber alles mit Maßen. Nach dieser Devise haben wir immer gelebt.“ Dass er sich stets viel Bewegung verschafft habe, zahle sich jetzt aus. Das begann während des Studiums. Von seiner Studentenbude in Ruhleben ging er täglich zu Fuß zur Humboldt-Uni, weil er nicht das Geld für Bus oder Bahn hatte. Wenn es die Zeit erlaubte, war ihm auch im Berufsleben kein Fußweg zu weit. „Bis ich 95 war, bin ich noch drei Mal die Woche in ein nahes Hochhaus und habe zwei Mal die Treppen bis zur zehnten Etage genommen, so schnell ich konnte.“ Dann habe das mit der Einkauferei angefangen. Das sei jetzt Bewegung genug, findet Max.

Wann wird es denn Zeit, über ein Altersheim nachzudenken? Uups, falsche Frage, das wird sofort klar. „Haben Sie schon mal eines von innen gesehen? Ich schon“, sagt Elsbeth. „Als ich noch fit war, habe ich all meine inzwischen verstorbenen Bekannten in Heimen oder sogenannten Residenzen besucht. Furchtbar! Das waren auch keine Häuser für Minderbemittelte, sondern zum Teil richtig teure, die wir uns gar nicht leisten könnten. Alles geht stur nach Fahrplan, jeden Tag dieselben Menschen, die einem nicht immer passen, und viel zu wenig Personal, weil die Betreiber meinen, sie müssten sich eine goldene Nase verdienen – nein“, sagt sie und blickt aus dem Fenster auf die prächtige Buche, die sie vor mehr als 50 Jahren gepflanzt hat, „besser als hier geht es nicht.“

*Nachname von der Redaktion geändert.

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