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Neue Bleibe gesucht. In Berlin stehen aktuell mehr als 3800 Studierende auf der Warteliste des Studentenwerks.

© imago/photothek

Studentenwohnungen: Erstsemester surfen in Berlin von einer Couch zur nächsten

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Studierende spitzt sich in Berlin weiter zu. Die Hauptstadt ist Schlusslicht bei der Versorgungsquote.

Bezahlbarer Wohnraum ist in Berlin knapp. Besonders für Studenten. Das sollte sich ändern, ab 2013. Versprochen hatte Klaus Wowereit das hier: 5000 Studentenwohnungen in fünf Jahren. Da war er noch Regierender Bürgermeister von Berlin. Was ist nun daraus geworden?

Zunächst einmal eine neue Ankündigung des Nachfolgesenats, dieses Mal ohne Zeithorizont. Im Senatsbeschluss Nr. S-468/2015 vom 28. Juli 2015 heißt es: „Der Senat beschließt, das Angebot an studentischen Wohnplätzen in Berlin um mindestens 5000 zu erhöhen. (…). Die berlinovo und die Wohnungsbaugesellschaften sollen dabei jeweils mindestens 2500 neue Wohnplätze errichten.“ Ob etwas daraus geworden ist?

Auch der Bund erkannte die Zeichen der Zeit. „Flexibel, nachhaltig und nicht teurer als 280 bis 300 Euro Warmmiete: Mit dem Programm „Variowohnen“ fördert das Bundesministerium Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) preiswerten Wohnraum für Studierende und Auszubildende in Deutschland“, hieß es aus dem von Barbara Hendricks (SPD) geleiteten Ministerium. Das BMUB plane, bis Ende 2018 insgesamt 30 Modellvorhaben zu fördern. 120 Millionen Euro standen zur Verfügung. Die „Förderrichtlinie Modellvorhaben zum nachhaltigen und bezahlbaren Bau von Variowohnungen“ wurde am 5. November 2015 veröffentlicht. Was daraus wohl wird?

Das Programm wurde eingestellt

Das Bauministerium von Horst Seehofer (CSU) legt dieses Förderprogramm nicht neu auf. Nur 37 Millionen Euro der zur Verfügung stehenden Mittel wurden abgerufen. Der offizielle Grund für das Auslaufen, wie ihn das Bundesinnenministerium (BMI) – nun auch für Bau zuständig – auf Anfrage dem Tagesspiegel mitteilt: „Eine Neuauflage des Modellvorhabens würde derzeit keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erwarten lassen und wäre damit nicht sachgerecht. Die Auflage eines Investitionsprogramms „Variowohnen“ ist nicht über Forschungsmittel realisierbar.“

Es handele sich nicht um „ein investives Bauprogramm zur primären Wohnraumversorgung, sondern um ein Modellvorhaben zur Erkundung neuer Wohnformen“. Diese Erkundung ist offenbar weitgehend abgeschlossen: „In unterschiedlichen Austauschformaten werden bis Ende 2019 die Erfahrungen der einzelnen Projekte zusammengetragen und ausgewertet.“ Die Rede ist von 20 Modellvorhaben, darunter zwei aus Berlin. Der BMI-Sprecher verneint, dass das mangelnde Interesse der Länder ein Grund für das Auslaufen des Programms sei.

„Auf dem angespannten Wohnungsmarkt konnten sehr viel höhere Mieten abgerufen werden als gemäß Förderrichtlinie maximal zulässig waren“, heißt es aus dem Seehofer-Ministerium. Dies wird von Eva Henkel, Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen, bestätigt: „Das Vario-Programm hat Restriktionen in der Höhe der Mieten (BAFÖG-Satz 280 Euro), für die aber derzeit kein Neubau wirtschaftlich errichtet werden kann.“

Die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft kritisiert das Auslaufen des Programms dennoch. „Für die Bundesländer war das ein unglaublich bürokratisches Verfahren mit zahlreichen Auflagen“, sagt auf Anfrage Steffen Krach (SPD), Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung: „Ich hielte es für einen Fehler, das Programm einzustellen. Man müsste es unbürokratischer gestalten. Viele Länder haben sich gefragt, ob sich der Aufwand dafür lohnt.“ Krach setzt darauf, dass das Studierendenwerk in Berlin nur größere Aktivitäten entfalten darf: „Das Studierendenwerk hat 9500 Plätze im Bestand und hat jetzt die Möglichkeit erhalten, gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin (IBB) Projekte zu initiieren und zu realisieren.“

„Kein einziger Wohnheimplatz geschaffen“

Bisher wurden vom Bund im Rahmen des „Variowohnen“-Modellprogramms knapp 2600 Wohneinheiten in zehn Bundesländern gefördert (davon in Berlin: 162 Wohnplätze). Viel zu wenig, wie wohl nicht nur der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring findet. Der hochschulpolitische Sprecher der Grünen empört sich: „Dringend notwendig ist ein Bund-Länder-Aktionsplan, um endlich mehr Wohnheimplätze für Studierende zu schaffen und den Markt zu entlasten. Studentisches Wohnen darf weder Lotterie noch Luxusgut sein – die Lage in deutschen Universitätsstädten spitzt sich seit Jahren immer mehr zu. Die Bundesregierung dagegen hat mit den „Variowohnungen“ ein spätes, kleines Programm zum Bau von Studentenwohnheimen auf den Weg gebracht, das sich drei Jahre später als Flopp erweist. Das Aberwitzigste ist: Noch immer ist kein einziger Wohnheimplatz geschaffen. Elf der 20 Projekte sind noch nicht mal im Bau. Dabei sollte Ende 2018 alles fertig sein. Das ist ministerielle Stümperei und skandalöse Bummelei.“

Immerhin hat man im BMI das Thema „Studentisches Wohnen“ wohl noch nicht ganz zu den Akten gelegt. „Wie die studentische Wohnraumförderung zusätzlich zu den bereitgestellten Mitteln für die Wohnraumförderung in der laufenden Legislaturperiode erfolgen wird, befindet sich momentan in der Prüfung“, heiß es aus dem Innenministerium.

Berlin ist Schlusslicht bei der Versorgungsquote

Nutznießer der Mangelverwaltung sind einmal mehr privatwirtschaftliche Angebote. „Privatunternehmen sorgen für notwendigen studentischen Wohnraum und erweitern das Angebot“, lässt der Bundesverband für Studentisches Wohnen (BfSW) auf Anfrage mitteilen. Anbieter, wie beispielsweise die Studentenwerke betrachte man nicht als Konkurrenz: „Die Zielgruppe ist vielfältig und so sollten es auch die Wohnangebote sein.“

Das Studierendenwerk Berlin möchte sich in die Reihe der Kritiker der Bauprogramme für Studierende nicht einreihen. Der Tagesspiegel könne nicht erwarten, dass sie ihre Fachaufsicht kritisiere, sagt Sprecherin Jana Judisch. Dass die versprochenen 5000 Plätze für Studierende dringend benötigt werden – von denen das Land derzeit weit entfernt ist – könne das Studierendenwerk Berlin anhand der Zahlen bestätigen. „Aktuell stehen 3806 Studierende auf den Bewerberlisten unserer Wohnheimpools“, sagt Judisch: „Spitzenwerte von bis zu 5000 wartenden Bewerber*innen erreichen wir vor allem vor dem Start des Wintersemesters, dann ist die Lage in der Regel am dramatischsten.“

In den vergangenen Jahren schrieben sich jeweils 5000 Studenten mehr bei den drei Berliner Universitäten ein. Die sogenannte Versorgungsquote (aus dem Verhältnis Wohnheimplätze zur Anzahl der Studierenden) ist mit 5,6 Prozent bundesweit besonders niedrig. Berlin ist Schlusslicht; der Schnitt liegt bei zehn Prozent. Dies liege aber auch daran, dass Berlin die meisten Studenten habe, sagt Judisch. Hinzu kommt, dass immer mehr Geflüchtete ein Studium aufnehmen. „Wir haben rund 187000 Studierende in der Stadt“, sagt Staatssekretär Krach, „noch vor wenigen Jahren waren es 135000.“

Es muss insgesamt mehr gebaut werden

Ist es nun schlimm, dass sich Berlin so weit von dem Ziel „5000 Wohnheimplätze in fünf Jahren“ entfernt hat? Die Berliner CDU findet: Nein! Christian Gräff, Fraktionssprecher für Bauen, Wohnen und Miete, sagt auf Anfrage: „Auch private Angebote für Studenten sind international gesehen immer noch preiswert.“  Es gehe insgesamt darum, mehr zu bauen in der Stadt. „Was wir schaffen, entspannt den Markt insgesamt – und hilft so auch den Studenten.“

Ähnlich äußert sich für die FDP Stefan Förster, fachpolitischer Sprecher seiner Fraktion für Bauen, Wohnen, Denkmalschutz, Wissenschaft, Forschung, Medien und Sport. Es werde generell zu wenig gebaut, damit fehlten Wohnungen auch für Studenten. „Der Senat muss sich natürlich an seinen eigenen Aussagen messen lassen“, sagt Förster. „Aber wir wollen nicht einzelne Altersgruppen – Jüngere wie Studenten und Älterere wie allein lebende Senioren – gegeneinander ausspielen.“ Es müssten in der Stadt einfach mehr Wohnungen mit unterschiedlichen Quadratmeterzahlen realisiert werden.

Katrin Schmidberger, die sich bei den Berliner Grünen für eine bedarfsgerechte Wohnungs- und Mietenpolitik einsetzt, sagt auf Anfrage: „Die bisher in Berlin realisierten Zahlen für Studentenwohnungen sind überhaupt nicht akzeptabel – ein Armutszeugnis für den Wissenschaftsstandort Berlin.“ Die Stadt solle ein Wohnungsbauprogramm für Studenten auflegen, die unter tätiger Mithilfe ihren Wohnraum in Holzbauweise errichten. „So könnte man kostengünstiger für diese Gruppen Wohnraum errichten“, schlägt die Fraktionssprecherin für Wohnen und Mieten vor: „Sonst laufen wir Gefahr, dass wir neue Armutsquartiere bekommen.“

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