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Aus Protest gegen steigende Mieten und Wohnungsnot wurden in Berlin am Pfingsten mehrere Häuser besetzt.

© imago/Christian Mang

Städte als Spekulationsobjekte: "Die Investoren werden geil auf steigende Mieten"

Berlin hat den größten Mietwohnungsmarkt Europas. Soziologe Michael Goldman erklärt im Interview, warum das für Mieter gefährlich ist.

Michael Goldman ist zur Zeit auf Einladung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in Berlin und hat in dieser Woche eine Vorlesung über „Spekulativen Urbanismus und die neue Volatilität des Stadtlebens“ gehalten. Kurz gefasst geht es Ihnen um Städte als Spekulationsobjekte. Sie haben einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Minnesota-Twin Cities.

Herr Professor Goldman, mit Blick auf Venedig beklagte die Krimiautorin Donna Leon kürzlich, dass es kaum noch möglich sei, in der Lagunenstadt einen Schuhmacher zu finden. Jeden Tag kommen neue Wellen von Kreuzfahrern an. Ist das ein Beispiel für einen Ort, der komplett ausverkauft wurde? Oder beobachtet Donna Leon einfach das Schicksal einer Touristenstadt?

Gute Frage. Ich habe Venedig noch nicht näher untersucht, aber das Interessante an Venedig ist ja, dass es versinkt. Man sucht als Investor immer ein Ausstiegsszenario. Ich glaube, dass Investoren immer mit einer „Exit Strategie“ anfangen, wenn sie ihr Geschäft aufbauen. Private-Equity-Unternehmen, Kapitalbeteiligungsfonds also, verfolgen nicht den Geschäftsplan, etwas für immer und ewig aufzubauen. Sie interessieren sich für kurze Laufzeiten. Also ist beim Beispiel Venedig zu fragen, welche Wertschöpfung ist in welchem Zeitraum zu erreichen? Es muss also etwas vor sich gehen in Venedig...

…und andernorts. Auch auf den Malediven könnte der Wasserspiegel ein Problem werden. Dort werden Koralleninseln in Erbbaupacht an Investoren vergeben; darauf werden Villen errichtet, die verkauft werden. Ziemlich risikoreich, nicht wahr?

Es kommt darauf, von welchen handelnden Personen man spricht und was deren Motivationen sind. Es gibt viel Geld, das unterwegs ist. Manches soll auch gewaschen werden. Wer auf den Malediven investiert, dem geht es nicht nur um die Sonne. Es geht auch um die Art und Weise, wie man Geld parkt – ohne darauf allzu viele Steuern zu zahlen. In Indien zum Beispiel kommt mehr als fünfzig Prozent des Geldes aus Mauritius und aus Singapur. Warum investieren Mauritius und Singapur in Indien? Das tun sie nicht, es scheint nur so als ob: Investmentfirmen haben in Mauritius Strohfirmen installiert. Sie haben ein Agreement mit vielen Staaten, Geld nicht zu versteuern – weder das Geld, das dort investiert wird, noch jenes, das aus dem Land nach einer Weile wieder herausgezogen wird. Mit dem ersten Schritt wird dieses Geld auf dem Weg in ein anderes Land erst einmal billiger, weil es ja nicht besteuert wird. Auf dem Malediven kommt ein zweiter positiver Aspekt hinzu: Der Staat stellt sein Land zur Verfügung. Wenn das Geld billig ist und Land billig ist, dann rechnet es sich auch Villen zu bauen. Man muss nur noch Superreiche finden, die gerade Geld parken wollen.

In Montenegro, einem EU-Beitrittsland, passiert derzeit Ähnliches.

Ja! Wenn wir fragen, für wen es riskant ist, dann vielleicht für Sie und für mich. Aber für die Investoren, die dort eine kurze Zeit sind, und für die Bauunternehmen ist es nicht risikoreich.

Das Frankfurter Bürohochhaus „Galileo" ist eben für 356 Millionen Euro nach Singapur verkauft worden. Was bedeutet die Liberalisierung internationaler Finanzflüsse für die Monopolisierung der Immobilienmärkte?

Nehmen Sie zum Beispiel meine Tochter. Sie geht zur Uni, zu einer staatlichen Universität. Wir beobachten seit zirka zehn Jahren auf den Unigeländen in den USA private Wohnimmobilienentwicklungen. Es ist ein Markt geworden. Die Unis haben aufgehört, Studentenwohnheime zu errichten. Sie haben ihre Campusse recht preiswert auf den Immobilienmarkt gebracht. Jetzt ist zum Beispiel eine der großen Wohnungsgesellschaften Singapurs aktiv geworden. Sie kauften überall in den USA Studentenwohnheime. Irgendwie sahen sie einen Markt. Jetzt haben sie auf diesem neuen Markt ein Monopol und fanden Investoren – wie die Deutsche Bank – , die Anleihen kauften. Die Grundlage des Ganzen ist der regelmäßige Eingang von Mieten.

Was soll an Kaufen und Verkaufen verkehrt sein? Das sind doch normale Deals.

In den alten Zeiten würden wir uns aufregen über Vermieter. Vor allem über Ausbeuter, die Häuser aus spekulativen Gründen leerstehen lassen oder verwahrloste Häuser vermieten. Oder Vermieter, die ihre Mieter wieder rausschmeißen, je nach Bevölkerungsstruktur und Steigerungspotential für die Mieten. Ich spreche also von schlechten Akteuren, jenen also, die auch die Gentrifizierungsprozesse vorantreiben. Diese Schicht wird aber jetzt überlagert von Kapitalbeteiligungsfirmen, die das gesamte Geschäftsfeld und die Mechanismen verändern. Ihnen geht es nicht darum, Geld aus den lokalen Märkten herauszupressen – wie den „ausbeuterischen Vermietern“, die wir hier idealtypisch aufgebaut haben. Diese Kapitalbeteiligungsfirmen haben auch kein Interesse in die Objekte zu investieren, wie zum Beispiel ein idealtypisch „guter Vermieter“. Nein, diese Firmen interessieren sich dafür, wie sie über den Einsatz ihrer Mieteinnahmen neues Geld verdienen können. Und das am besten weltweit. Vor zehn Jahren, nach der Finanzkrise, sind private Kapitalbeteiligungsgesellschaften, die vielleicht nichts anderes besaßen als ihr eigenes Bürogebäude, angetreten, die größten Vermieter in den Vereinigten Staaten zu werden. Sie haben nichts anderes gemacht, als Billionen Dollar in den daniederliegenden Häusermarkt zu investieren, der den Banken gehörte. So entstand ein neuer Markt für Pleite-Häuser. Das war der erste Schritt. Dann haben sie die Mieten erhöht. Aber damit haben sie nicht das Geld gemacht. Sondern sie haben die Geld-Rückflüsse aus den Mieten wieder verkauft – als verbriefte Anleihen. Dass die Leute monatlich ihre Miete zahlen, weil sie ja das Haus brauchen, war eine lukrative und finanziell total abgesicherte Idee.

Michael Goldman ist Professor für Soziologie an der Universität Minnesota-Twin Cities.
Michael Goldman ist Professor für Soziologie an der Universität Minnesota-Twin Cities.

©  Reinhart Bünger

Ein gefährliches Geschäft, wenn die Mieter ausziehen?

Nicht für die Deutsche Bank sowie andere, die sich beteiligen, nicht für die Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Aber gefährlich für Städte infolge des fragilen Mietmarktes, der erzeugt wurde: Die Investoren werden „geil“ auf steigende Mieten. Weil mehr und mehr Einnahmen locken, werden mehr und mehr Häuser Teil dieser lokalen Märkte.

Welche Vergleiche sind zulässig zwischen Deutschland und den USA? Wir meldeten, dass in Nordamerika der Neubau stagniert: Die Preise für den Bau sind zu hoch und die Zinsen steigen. Schlechte Zeiten für den privaten Hausbauer, gute Zeiten für institutionelle Deals und große Banken?

Ja, genauso ist es. Man muss es nur noch herunterbrechen. Es wird teurer zu bauen, und es wird schwieriger billiges Eigenkapital zu bekommen. Das ist der entscheidende Punkt. Auch das private Kapital wird gesteuert. So wird es teurer Eigentum zu schaffen. Es sind dieselben Unternehmen, die große Mietwohnungsbaueinheiten kaufen, die hier die Fäden in der Hand halten. Wenn es billiges Kapital für den Hausbau gäbe, könnten die Mieten nicht so stark steigen.

Die Stadt verkauft Häuser an Kapitalbeteiligungsunternehmen

Die Skulptur „Support“ des italienischen Künstlers Lorenzo Quinn am Hotel Ca' Sagredo am Canal Grande in Venedig.
Die Skulptur „Support“ des italienischen Künstlers Lorenzo Quinn am Hotel Ca' Sagredo am Canal Grande in Venedig.

© Annette Reuther/dpa

Ist Berlin also in höchster Gefahr?

Man muss es vielleicht so sehen: Berlin ist einzigartig. Denn rund 86 Prozent des Wohnungsbestandes sind Mietwohnungen. Das hat historische Gründe. Die Frage also ist: Wieviel Geld wird momentan in Berlin investiert? Eine ganze Menge, vermutlich. Natürlich ist das Investment in Mietwohnungen nicht ganz ohne: Mieter haben Rechte, sie können Wohnungen demolieren, sie können protestieren, sie können klagen. Berlin ist Mieterhauptstadt Europas, klar! Das ist der erste Punkt. Der zweite ist, dass der Staat und das Land ihre Position mit Blick auf Sozialwohnungen geändert hatten. Die Stadt selbst hat verkauft. Aber nicht an lokale Vermieter, sondern an Kapitalbeteiligungsunternehmen. Die US-amerikanische Investmentgesellschaft Blackstone hat einfach mal 2500 Einheiten in Berlin und Brandenburg gekauft, gar nicht so lange her, Anfang Mai. Journalisten müssten eigentlich herausfinden, was in den Verträgen vereinbart wurde. Welche Verpflichtungen hat Blackstone gegenüber dem Gemeinwesen und gegenüber den Mietern übernommen? Kann Blackstone einfach so – mir nichts, dir nichts – wieder verkaufen? An einen russischen Oligarchen zum Beispiel? Bis zu welchem Grade wäre ein solches Geschäft öffentlich zu machen? Meine Vermutung ist, dass sich das Wohnungswesen in Berlin sehr verändern wird. Die Verträge sollten also offengelegt werden.

Wenn es um Grundstücksgeschäfte geht, dann sprechen wir immer auch von Spekulation. Sollte unbebautes Land, zum Beispiel im Umland, vor dem Zugriff von Kapitalbeteiligungsgesellschaften geschützt werden?

Das ist eine gute Frage. Es sollte vor allem ein öffentliches Gespräch darüber geben. In Indien entschied man sich dafür, das eigene Land zu verkaufen. Indien fand, unbebautes Land sei weniger wertvoll. Vielleicht denkt man das in Deutschland auch. Aber diese Frage muss analysiert werden. Wer profitiert davon, wenn Acker- in Bauland umgewandelt wird? Bei den Fällen, die ich studiert habe, wird es für Investoren wie die Deutsche Bank oder Goldman Sachs nur interessant, wenn das Land sehr preiswert ist. Verlierer ist in diesen Fällen nach meinen Beobachtungen – zum Beispiel in Bangalore – die Gemeinde. Es muss ein Gespräch in der Gesellschaft über diese Geschäfte geben, über Beteiligungsmodelle zum Beispiel und über die Idee, umgewandelte Flächen einfach vom Markt zu nehmen. Dann werden sie nicht von Bankern für die Spekulation herangezogen.

Länder wie die Türkei oder China finanzieren Infrastrukturen in anderen Ländern, so wie es die Vereinigten Staaten einst mit dem Panamakanal getan haben. Wie sehen sie den Einfluss von Staaten im Vergleich zum Einfluss von Investmentunternehmen?

Es ist ähnlich wie beim Finanzkapital. Politische Kontrolle bedeutet ja auch Profit. Aus gesellschaftspolitischer Sicht sollte man nicht phobisch damit umgehen. Aber wenn wir wollen, dass unsere Universitäten zum Beispiel für jeden und jede zugänglich bleiben, dürfen wir nicht zulassen, dass die Studentenwohnheime von Kapitalbeteiligungsgesellschaften gekauft oder errichtet werden. Denken Sie an öffentliche Schulen, an Krankenhäuser! Die Gemeinschaft muss entscheiden, was dem Markt nicht preisgegeben wird. Das heißt ja nicht, das Menschen und Unternehmen nicht mehr kaufen und verkaufen. Aber sie sollten das vielleicht nicht mehr tun, ohne den möglichen Profit mit der Gemeinschaft zu teilen. Die türkische Regierung weiß, dass sie wirtschaftlich schwächer wird. Also verteilen sie das Risiko und investieren anderswo. Wie jeder gute Investmentbanker. Das ist ihre Strategie. Aber die Frage an Polen oder Deutschland ist: Was ist Eure Strategie? Es könnte die Strategie sein, Städte lebenswert zu machen und erschwinglich zu halten.

Michael Goldman wurde bekannt mit dem Buch „Imperial Nature: The World Bank and Struggles for Sozial Justice in the Age of Globalization“.

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