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Dachgeschossausbauten werden durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg erleichtert. Es kommt bei der Beurteilung der geplanten Baumaßnahme im ehemaligen Westteil Berlins nicht länger auf die unmittelbare Umgebung an, sondern auf den gesamten Kiez.

© picture alliance / Soeren Stache/dpa

Stadtplanung: OVG für Verdichtung Berlins

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg interpretiert den Baunutzungsplan West-Berlins neu

Bauen im Bestand gehört zu den wichtigsten Bausteinen, um den Bedarf an Immobilien zu decken. Nicht nur, aber vor allem in den großen Städten. Die Optimierung von Flächen ist politisch gewollt. „Verdichtung“ lautet das Zauberwort.

Dagegen stand – bisher – der für den damaligen Westteil der Stadt Berlin aufgestellte Baunutzungsplan (1958/60). Er ist auch heute noch die Grundlage planungsrechtlicher Entscheidungen in den westlichen Bezirken der Hauptstadt, sofern kein neueres Planungsrecht – z. B. durch einen Bebauungsplan – besteht. Darin festgeschrieben: Dass Berlin in stark verdichtete Innenstadtgebieten hinsichtlich der Geschossflächenzahl (GFZ) nicht über sich hinauswachsen darf. Die GFZ wurde auf 1,5 begrenzt. Ein Höhendeckel, wenn man es vereinfachen will.

Die Grundflächenzahl gibt den Flächenanteil eines Baugrundstückes an, der überbaut werden darf. Zum Beispiel: Ein Grundstück hat eine Fläche von 500 m² und eine GFZ von 1,0. Die Summe der Geschossfläche in allen auf dem Grundstück befindlichen Gebäuden dürfte somit ebenfalls 500 m² betragen.

Die GFZ wurde nach dem Krieg niedrig angesetzt, um das Gegenteil einer Verdichtung anzustreben. Baurechtler allerdings halten die alten Vorgabe heute für anachronistisch und hoffen seit Jahrzehnten, dass die GFZ-Zahl fällt. Das ist nun mit Blick auf das Praktischfaktische – unter bestimmten Voraussetzungen – der Fall.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat bestätigt, dass der Baunutzungsplan hinsichtlich der festgesetzten Geschossflächenzahl in einem Teilbereich von Neukölln funktionslos geworden ist. Durch Ausnahmeregelungen haben sich Quartierssilhouetten im Laufe der Jahrzehnte stark verändert: Viele Altbauten wurden im Laufe der Jahre aufgestockt, Neubauten gleich höher angelegt als Benachbartes.

Die OVG-Entscheidung ist von enormer Bedeutung für die bauplanungsrechtliche Beurteilung von Verdichtungsmaßnahmen im Westteil der Stadt. Es ist davon auszugehen, dass auch in anderen Innenstadtbezirken (Tempelhof-Schöneberg, Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf) entsprechend entschieden werden wird. Damit besteht nach Paragraf 34 Baugesetzbuch nunmehr ein Anspruch auf die Genehmigung von Vorhaben, die sich „in die nähere Umgebung einfügen“. Einen Ermessensspielraum – wie bei Befreiungen von der GFZ – hat die Behörde nicht. Mit anderen Worten: Dachgeschossausbauten werden durch die Entscheidungen erheblich erleichtert.

Dachgeschossausbauten werden nun leichter

Befreiungen von der GFZ verbanden die Bezirke bisher gerne mit detaillierten Wünschen, sagt Rechtsanwalt Axel Dyroff (Kanzlei Seldeneck und Partner), der die Urteile vor dem OVG erstritt: „Man hat man eine Verdichtung zugelassen, wenn der Bauherr Ausgleichsersatzmaßnahmen angeboten hat.“ Mal ging es um eine bestimmte Balkongestaltung, mal um Stellplätze. Wer weiß, worum noch? Immer stand die Befreiung von der Regel im Ermessen der Behörden. Das ist nun vorbei.

Die jüngsten Beschlüsse werden die Berliner Baurechtspraxis maßgeblich verändern. Auf eine spektakuläre Weise sogar, sagen Juristen. Neu und von besonderer Bedeutung ist nämlich, dass die Funktionslosigkeit des Baunutzungsplanes nach Auffassung des OVG nicht nur den jeweiligen Baublock betrifft, sondern das gesamte „Baugebiet“ – einen Kiez zum Beispiel. Im konkreten Fall ging es um ein Gebiet, das mit dem Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung „Schillerkiez“ mehr oder weniger identisch ist. Von den insgesamt 318 Grundstücken wurden hier nach 1960 auf 135 Grundstücken Bauvorhaben zugelassen, die die festgesetzte GFZ (weiter) überschritten. Hierbei handelte es sich um 126 Dachgeschossausbauten und neun Neubauten.

Wo in weiten Teilen also nach 1960 eine bauliche Weiter- (und Höhen-) Entwicklung stattgefunden hat, bröckelt also die GFZ. (AZ.: OVG 2 B 10.17 und 11.17, Beschlüsse vom 15. September 2020)

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