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Berlin scheint mit Milieuschutzgebieten und einer verschärften Mietpreisbremse darauf setzen zu wollen, dass die Stadt in Zukunft möglichst wenig Veränderung erfährt.

©  Paul Zinken/dpa

Stadtentwicklung: Berlin braucht eine klare Vision für den Städtebau

Seit dem Mauerfall schlummert die Hauptstadt im Dornröschenschlaf und wacht nicht auf. Ein Plädoyer für eine neue städtebauliche Idee.

Wir müssen reden. Über unser Berlin. Über das Gesicht unserer Stadt, seine Wohnhäuser. Über die Zukunft unserer Baukultur. Über eine städtebauliche Idee, die derzeit fehlt, und über eine darauf gründende Gesamtplanung, die mangels besagter Idee nicht möglich ist.

Derzeit wird in Berlin unkoordiniert, chaotisch, ohne roten Faden oder gar nicht erst gebaut. Jeder Bezirk verfolgt seine eigenen kleinpolitischen Interessen, während das Land und der Bund – bekanntlich kein unwichtiger Akteur in der Bundeshauptstadt – nach innen wie außen vor mehreren Zielkonflikten stehen und sich in ihren Interessen ständig widersprechen. Das Land fordert bezahlbaren Wohnraum, fördert aber den Neubau nicht. Die Bezirke wollen ihre Bestandsmieter schützen und nutzen dazu das gesetzliche Vorkaufsrecht, sie geben dafür aber jene Millionenbeträge aus, die anschließend dem städtischen Neubau fehlen. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften wiederum sollen günstig bauen (lassen), die beauftragten Partner müssen aber zugleich immer schärfere und damit Baukosten treibende Auflagen beachten. Und wenn der Bund Grundstücke oder Wohnhäuser verkauft, dann nutzt das Land häufig seine Erstzugriffsoption nicht, woraufhin der Bund per Gesetz nach kaufmännischen Grundsätzen agieren muss – im Klartext: Der Bund schreibt ein Bieterverfahren aus und muss an den Höchstbietenden verkaufen.

Von den Folgen der jahrelangen Baugenehmigungstombola ganz zu schweigen. Diese Stadt und sehr viele Menschen, die darin wohnen, haben keine Vorstellung und auch keine Idee davon, wie Berlin in zwanzig, dreißig Jahren aussehen will. Mantrartig zu wiederholen, früher sei alles besser gewesen, dreht die Uhr nicht zurück (und besser war es früher doch auch nicht!).

Wie gehen wir mit dem Wachstum der Metropole Berlin um?

Die Mauer ist weg, Berlin wieder vereint, die vier Millionen Einwohner in Sichtweite – aber davon hat Dornröschen scheinbar nichts mitbekommen. Was Berlin fehlt, ist das Selbstverständnis seiner Bürger, es fehlt die Identifikation der Berliner mit einer von ihnen geprägten Zukunft ihrer Stadt und ihres Stadtbilds.

Vor Kurzem wurden für einen Zeitungsartikel mehrere namhafte Architekten zu Berlin befragt. Es ging vornehmlich um die Frage, wie hoch in Berlin gebaut werden sollte und die offenkundige Willkür der geplanten Höhenfestlegung des Senats auf 120 bis 150 Meter. Ich bin kein Experte für den Bau von Wolkenkratzern (die laut internationalem Konsens übrigens erst bei 150 Metern anfangen), aber für mich ist klar: Die Festlegung auf Höhen von Hochhäusern ebenso wie auf deren Anzahl und die dafür vorgesehenen Flächen innerhalb des Berliner Stadtrings bedürfen eines Gesamtarrangements. Es geht doch nicht allein um die Frage, ob letztlich acht, neun oder zehn Hochhäuser am Alexanderplatz stehen und wie die Zukunft des Europacenters aussieht. Es geht auch nicht darum, ob die Türme 100, 200, 300 oder gar 400 Meter hoch sein dürfen.

Vielmehr müssen wir uns als Bürger unserer Stadt fragen: Wie gehen wir mit dem Wachstum der Metropole Berlin um? Wie wollen wir den zeitgeschichtlich bedingten Nachholbedarf dieser ehemals geteilten und teils isolierten Stadt steuern, damit eben kein städtebauliches Wildwest entsteht? Wir Berliner müssen endlich lernen, auf unsere eigene Stadt zu schauen! Dieser Blick muss Grundlage sein für eine städtebauliche Idee und diese Idee wiederum Grundlage für eine städtebauliche Gesamtplanung. Als wäre dies nicht Herausforderung genug, wandeln sich derzeit unsere Ansprüche an das Wohnen. Gewiss, Innovationen in der Wohnkultur kommen eher behutsam daher. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad – an den Grundstrukturen unserer Wohnungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig geändert, nur Küche und Wohnzimmer akzeptieren mittlerweile, dass sich ihre Liaison zu einer festen Beziehung entwickelt hat. Sofern die Küche überhaupt noch bestehen bleibt. Denn warum muss Kochen innerhalb des privaten Rückzugsraums stattfinden? Vielerorts erleben wir eine neue Ausgehkultur, davon betroffen auch das Kochen, das immer mehr mit Freunden in Kochhäusern stattfindet.

Der Wohnungsbau muss einer minutiösen Gesamtplanung unterliegen

Entsprechendes gilt für Fitness, Entertainment und selbst dem häuslichen Arbeitsplatz. Statt des Heimgeräts braucht es gemeinsame Fitnessräume, statt hundert Sofas in hundert Wohnungen braucht es eine gemeinsame Etage mit Lounge-Bereich und Bar. Statt eines separaten Arbeitsplatzes in jeder Wohnung den quartiersinternen Coworking-Space. All das sind nicht nur ökologisch nachhaltige Entwicklungen, sie prägen zudem die Art und Weise, wie gebaut werden kann und, in der Folge, wie sich das Antlitz unserer Stadt in den nächsten Jahrzehnten wandeln wird. Bestand bislang eine Dualität aus privatem Rückzugs- und öffentlichem Raum, so gibt es nun zunehmend auch den „dritten“ Wohnraum – Third Place Living genannt, dem Wohnen innerhalb einer hybriden Stadtlandschaft. Auf diese Weise wird die Stadt selbst zum erweiterten Wohnzimmer. Dass dieses „Third Place“ Brutstätte für Kreativität ist, erklärt sich von selbst: Nur dort kann sich der Flaneur des 21. Jahrhunderts wahrhaft entfalten.

Jetzt aber denkt der Berliner: Was erzählt mir da der Fischer, das kostet alles viel Geld, das haben Berlins Einwohner nicht. Und an dieser Stelle gilt es, festgefahrene Vorurteile aufzubrechen. Denn nicht nur die Wohnkultur wandelt sich, sondern – infolge derselben, diese neue Wohnkultur begründenden Digitalisierung – erleben wir auch einen Entwicklungssprung im Wohnungsbau. Der teuerste Faktor in der Immobilienentwicklung ist die Zeit. Baustellen leben in Jahren, Verzögerungen treiben die Kosten. Wer freilich in vorgefertigten Modulen baut und erst am Schluss die einzeln geplanten Parzellen zusammenfügt, spart an der Ausführungsdauer und nicht an der Qualität des Ergebnisses. Einzige Hemmnis und Herausforderung: Auch hierbei gilt, wie beim Antlitz unserer Stadt, dass die wohnungsbaulichen Ideen und Ziele einer minutiösen Gesamtplanung unterliegen müssen.

Es ist an der Zeit, dass wir uns mit der Idee, die der Baustelle Berlin zugrundeliegen sollte, ernsthaft auseinandersetzen. Statt immer nur regulatorisch von oben einzugreifen, brauchen wir einen Dialog, eine Idee, ein Konzept und einen städtebaulichen Gesamtplan – wie, wo und für welche Zielgruppen gebaut werden kann. Unser Berlin hat mehr verdient als eine zunehmend ideologisch festgefahrene Debatte.

Der Autor des Gastbeitrages ist seit Mitte September 2017 Vorstand der Primus Immobilien AG. An der Technischen Universität Berlin referiert er im Fachbereich Architektur zum Thema Projektentwicklung.

Sebastian Fischer

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