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Im Dornröschenschlaf. Fast schon in brandenburgischer Stille dämmert das alte Haus der Arbeiterwohlfahrt in Lichtenrade vor sich hin. Oft verkauft, oft verplant, doch wachgeküsst hat es bisher niemand.

©  Gerd W. Seidemann

Spekulation mit ehemaligem Pflegeheim: Ruinen statt Wohnungen

Ehemaliges AWO-Heim in Lichtenrade entpuppt sich als exemplarisches Spekulationsobjekt.

Ganz ruhig ist es in diesem Zipfel von Lichtenrade, an der Grenze zu Brandenburg. Unmittelbar an einem Wäldchen endet die Augsburger Straße in einer zum Teil unbefestigten Sackgasse. Hier schlummert auf einem sehr großen, baumbestandenen Areal das 2011 aufgegebene „Franz-Neumann-Haus“. Es war 1957 als Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt eröffnet worden. Anwohner meinen: Heute würde sich manche Familie freuen, hier wohnen zu dürfen.

Doch äußerlich ist nicht erkennbar, ob sich etwas in diese Richtung bewegt. Und obwohl Vandalen dem Ensemble bisher nicht zugesetzt haben – das Wasser zerborstener Heizkörper soll die Substanz schwer angegriffen haben. Der Eigentümer möchte das Objekt jedoch nicht instand setzen, sondern spekuliert auf Verkauf. Es ist nicht der erste Fall dieser Art.

Aufgeteilt und liegengelassen

Die Liegenschaft wurde nach einem Konkurs des Berliner Landesverbands der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Ende 2010 von der Betreiberin AWO Seniorenwohnung GmbH zum 31. März 2011 aufgegeben und im Dezember des Jahres vom Insolvenzverwalter veräußert. Seitdem hat sich entgegen des äußerlichen Anscheins durchaus etwas getan. Allerdings nur auf dem Papier. Der Projektentwickler Tamax hat das mehr als 17 000 Quadratmeter große Grundstück nach dem Kauf von der AWO möglichst gewinnbringend zerlegt, dabei eine unbebaute 3 008 Quadratmeter große Parzelle an der Münchener Straße für die künftige Entwicklung von Stadtvillen für sich behalten. Für das verzweigte Gebäude des ehemaligen Pflegeheims nahm Tamax „eine Umplanung in eine hochwertige Wohnanlage mit einer Nutzfläche von 7 376 Quadratmeter" vor, erwirkte einen Bauvorbescheid und verkaufte 2015 dieses Paket an einen Investor. Ein üblicher Vorgang im Immobiliengeschäft. Doch seitdem herrscht Ruhe am Wald.

Luftschlösser

Die Pläne, die Tamax samt Grundstück verkauft hat, lesen sich auf der Internetseite des Unternehmens wie folgt: „Die Planung der Eigentumswohnanlage sieht im Erdgeschoss die Schaffung hübscher Gartenwohnungen sowie in den Obergeschossen attraktive Maisonettewohnungen vor. Alle Einheiten verfügen über eine West- oder Südausrichtung und sind geschützt zum angrenzenden Wald ausgerichtet. Bei Wohnungsgrößen von ca. 50 bis 170 Quadratmetern entstehen insgesamt 55 Wohneinheiten mit einer Gesamtnutzfläche von 4 876 Quadratmetern. Im Untergeschoss existieren zudem weitere 2 500 Quadratmeter für die großzügige Unterbringung von Mieterkellern, Haustechnik sowie Lagerräumen. Des Weiteren lassen sich auf dem großzügigen, neu anzulegenden Parkgrundstück ca. 50 oberirdische PKW-Stellplätze realisieren.“

Soweit die Theorie. Als Architekt der Umplanung wird das Berliner Büro André Janka genannt. Das allerdings teilt auf Anfrage mit, man habe mit dem Projekt „schon lange nichts mehr zu tun.“ Die Liegenschaft sei übrigens inzwischen öfter verkauft worden.

Auf der langen Bank

Verkauft wurde der größte Teil der Immobilie nach unseren Recherchen nur ein Mal. Für 4,5 Millionen Euro von Tamax an die „Objektgesellschaft Augsburger Straße 18 mbH“, die wiederum zum Firmengeflecht der Moravia Holding mit Sitz in Reinickendorf gehört. Ob und gebenenfalls wie oft die Liegenschaft innerhalb des Firmennetzwerks verschoben wurde, ist für Außenstehende nicht ersichtlich. Die Moravia Holding ist nach eigener Darstellung „ein expandierendes Immobilienunternehmen mit zahlreichen Beteiligungen und Sitz in Berlin und einem Bestand von rund 1 200 Einheiten mit 70 000 Quadratmetern Wohn- und Gewerbefläche“. Die Geschäftstätigkeit konzentriert sich dabei auf den Berliner, den Leipziger Raum und auf Magdeburg.

Aus dem Stadtplanungsamt des bezirklichen Rathauses ist in der Angelegenheit zu hören: „Es gibt für das vorhandene Gebäude einen Vorbescheid aus dem Jahr 2013 zur Umnutzung des ehemaligen Wohnheims in ein Wohngebäude. Dieser ist 2017 zuletzt verlängert worden“, wie Uwe Klotz, Referent des Bezirksstadtrats für Stadtentwicklung und Bauen, mitteilt. Um welche Art von Wohnungen es sich dabei handeln soll, entzieht sich der Kenntnis des Amtes, spielt für die Behörde auch keine Rolle. Zulässig wären Einzel-, Doppelhäuser oder Reihenhäuser.

Absage für Flüchtlinge

Nachdem 2014 einmal spekuliert wurde, ein potenzieller Käufer des Ensembles, in dem ehemals 171 Pflegebedürftige lebten, könne die Gebäude für die Unterbringung Asylsuchender nutzen, erteilte die damals zuständige Bezirksstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) diesen Plänen umgehend eine Absage. Denn inzwischen hatte der Träger eines Mutter-Kind-Heims ein allein stehendes Gebäude des ehemaligen Pflegeheims von Tamax erworben. Klotz sah deshalb „in einem allgemeinen Wohngebiet keinen weiteren Spielraum“ für ein Asylbewerberheim. Weitgehend im Dunkeln bleiben die Pläne, die die Moravia für das Millionenobjekt hat.

Trotz mehrfacher Anfragen des Tagesspiegels mochte sich keiner der beiden Geschäftsführer äußern. Auch die Frage, ob es zutreffe, dass der Kauf der Immobilie im Rahmen eines „Share Deals“ erfolgt sei, ließen die Geschäftsführer bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Zur Erläuterung: Sogenannte Share Deals werden bei großen Immobiliengeschäften so manches Mal genutzt, um die Zahlung von Grunderwerbsteuern zu vermeiden. Es werden Anteile eines Unternehmens erworben, das im Besitz einer Immobilie ist. Und wer nur Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft erwirbt, zahlt keine Grunderwerbsteuer. In Berlin werden derzeit sechs Prozent auf den Kaufpreis fällig. Das Geschäft ist nicht illegal, gleichwohl gilt es als anrüchig.

Marodes Angebot zum Höchstpreis

Dass das ehemalige Heim samt der verbliebenen 10 000 Quadratmeter längst wieder zum Verkauf steht, ist in Immobilienkreisen ein offenes Geheimnis. Ein dem Tagesspiegel bekannter Interessent hat die Gebäude 2016 genauer unter die Lupe genommen: „Es ist von außen nicht sichtbar, doch innen steht überall das Wasser. Der Keller ist voll, vermutlich sind sogar die Bodenplatten gerissen.“ Dem Vernehmen nach sind nach dem überstürzten Auszug der Pflegebedürftigen 2011 die Häuser nicht für einen längeren Leerstand präpariert worden, das heißt im folgenden Winter sind alle Heizkörper und Wasserleitungen geplatzt. „Die Gebäudesubstanz ist in meinen Augen völlig wertlos“, urteilt der Interessent, der nach der Besichtigung von einem Kauf Abstand nahm. Abriss sei die einzige Lösung. Doch auch der sei auf dem dicht mit Bäumen bestandenen Grundstück nur mit hohem Aufwand möglich. „Und was glauben Sie: Bei dem reinen Kaufpreis von 8,3 Millionen, der meines Wissens jetzt aufgerufen wird, wie sollen sich denn da 50, 60 Wohnungen in zweigeschossigen Häuschen rechnen? Den Quadratmeterpreis könnte niemand bezahlen.“

"Da passiert nüscht"

Wer womöglich als Nächster durch das Liegenlassen der Immobilie von einer Wertsteigerung zu profitieren hofft, wird die Zeit zeigen. „Na, da passiert nüscht“, sagt die Spaziergängerin vor dem Ex-AWO-Heim. „Je länger das Grundstück liegt, desto wertvoller wird es. So ist det heute in Berlin.“ Bevor sie mit ihrem verspielten Schäferhund dem nahen Wald entgegenstrebt, versäumt sie nicht noch schnell zu erwähnen, dass sie den Namenspatron des Heims noch persönlich gekannt habe. Der 1904 in Berlin geborene gelernte Metallarbeiter Neumann stand von 1946 bis 1958 an der Spitze der Berliner SPD und wirkte sowohl als Abgeordneter im Landesparlament als auch bis 1969 im Bundestag. Der Ehrenbürger Berlins starb 1974.

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