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Eine Landschaftsbrücke und ein Landschaftsgarten ziehen sich in einem grünen Band über den Campus und verbinden die Gebäude, sagen die Investoren.

© Graft GmbH

Quartiersentwicklung: Neue Signale am Ostbahnhof

TLG Immobilien erhält Baugenehmigung für Bürocampus „Wriezener Karree“ in der Berliner Mediaspree.

Die einen sagen so, die anderen sagen so. In London bauen sie jetzt leerstehende Büros im Finanzviertel zu Wohnungen um. 1500 neue Einheiten sollen geschaffen werden, wie aus einem am Dienstag veröffentlichten Aktionsplan hervorgeht. „Die Unternehmen haben uns gesagt, dass sie im Zentrum Londons bleiben wollen, dass sich aber auch in Zukunft die Arbeitsweise durch flexibles Arbeiten ändern wird“, sagte die Politikchefin der City of London, Catherine McGuinness. Das einstmals pulsierende Viertel und Symbol des mächtigen Finanzsektors ist seit Monaten wie leergefegt. Hier können sich Banker mit jenen der Wall Street in New York die Hände reichen: Dort begann nach der Lehman-Pleite 2007 das große Bürosterben, werden ebenfalls Büros in Wohnraum verwandelt. Ideale Bedingungen also, um in Berlin – in der Einöde hinter dem Ostbahnhof – ein neues Büroquartier zu entwickeln?

Eigentlich ja. Denn in der Krise ist vor dem Aufschwung. Hierzulande erwarten die Immobilienbanken, dass sich der Büromarkt stabil entwickelt. „Die anfängliche Euphorie für das Homeoffice schwindet“, prognostizierte Verbandspräsident Louis Hagen unter Bezug auf Umfragen aus den USA. Er rechnet auch damit, dass Unternehmen mehr Fläche brauchen, um zusätzliche Konferenzräume einzurichten und den Abstand zwischen den Arbeitsplätzen zu vergrößern.

Das Homeoffice kommt zurück ins Büro

Eine Rückkehr zum „0815-Nine-to-Five-Büro“ werde es nicht geben – jedenfalls nicht für jeden, sagt dagegen Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. Genauso wenig werde es aber dauerhaft bei Homeoffice-Arrangements wie in der Pandemie bleiben.

Zwischen diesen beiden Polen oszilliert der Entwurf von Graft-Architekten für die TLG Immobilien, ein börsennotiertes Immobilien- und Tochterunternehmen von Aroundtown mit Sitz in Berlin, das sich auf Gewerbeimmobilien in Deutschland spezialisiert hat. Soeben hat sie die Baugenehmigung für ein neues Büroquartier in Friedrichshain erhalten. 37000 Quadratmeter gilt es im Wriezener Karree in der Berliner Mediaspree ab 2024 zu bearbeiten. Zwischen Oberbaumbrücke und Alexanderplatz will man das Homeoffice angesichts der pandemiebedingten Ausgangslage wieder ins Büro holen, heißt es bei der TLG. Die Bedürfnisse moderner Mieter und kreativer Köpfe stehen im Vordergrund. Man hätte gerne Mieter wie Mercedes-Benz, BASF, Zalando, Universal oder Coca-Cola, die sich in dieser Drehe bereits niedergelassen haben. Wer in dieser Liga mitspielen will, muss seinen Kunden etwas bieten.

Auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Bahnhofs - zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke - befand sich unter anderem das Anfang der 1950er-Jahre errichtete Fernheizwerk Stalinallee. Zu DDR-Zeiten diente die Bahnanlage am Wriezener Bahnhof als Kontrollbahnsteig für die „West-Post“. Nach der Umbenennung des Schlesischen Bahnhofs 1950 in Ostbahnhof wurde der bisherige Güterbahnhof der Schlesischen Bahn zum „Ostgüterbahnhof“ und der bisherige „Güterbahnhof der Ostbahn“ zum „Wriezener Güterbahnhof“
Auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Bahnhofs - zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke - befand sich unter anderem das Anfang der 1950er-Jahre errichtete Fernheizwerk Stalinallee. Zu DDR-Zeiten diente die Bahnanlage am Wriezener Bahnhof als Kontrollbahnsteig für die „West-Post“. Nach der Umbenennung des Schlesischen Bahnhofs 1950 in Ostbahnhof wurde der bisherige Güterbahnhof der Schlesischen Bahn zum „Ostgüterbahnhof“ und der bisherige „Güterbahnhof der Ostbahn“ zum „Wriezener Güterbahnhof“

© Rita Böttcher

„Vor dem Berghain entsteht auf Wunsch des Bezirkes ein Stadtplatz“, sagt Graft-Architekt Dennis Hawner im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Weil es am ehemaligen Hauptbahnhof der „Hauptstadt der DDR“ immer noch an Urbanität mangelt, „müssen wir an dieser Stelle eine „innere Welt“ erzeugen“, sagt Graft-Partner Hawner. Im Erdgeschoss könnte es beispielsweise einen Biomarkt, eine Kita, Cafés, sowie Gastronomieeinheiten und sowie ein kleines Fitness-Studio geben. „Wir haben über 500 Fahrradstellplätze vorgesehen, mit einem zentralen Eingang – mit einer internen Fahrradstraße zum jeweiligen Gebäude, sowie 30 Ladeplätze für Elektromobilität.“ Vielleicht werden es auch noch mehr, sagt Hawner.

Außerdem gibt es 179 Stellplätze in der Tiefgarage, ergänzt René Lobstein, Asset Manager bei TLG.

Im Haus C gibt es einen zentralen Konferenzbereich, das Haus A kann komplett an einen Ankermieter vermietet werden. Aber an wen? Das ist derzeit die Frage. Denn anders als Bürobauten, die vor vielleicht zehn Jahren in Berlin angeschoben wurden, gibt es noch keine Großmieter für diese spekulativ zu errichtenden Büroimmobilien. Die TLG spricht von erfolgreichen Vorvermietungsverhandlungen und geht von einem Baubeginn 2022 aus. „Der Büroimmobilienmarkt hat sich seit dem ersten Lockdown verändert“, sagt Hawner: „Einige Mieter werden am Markt große Probleme haben, weil es in zwei, drei Jahren Engstellen gibt. Großmieter müssen lernen, dass sie sich um Flächen bemühen. Diesen Trend sehen wir in ganz Deutschland.“ Tatsächlich ist die Nachfrage von Investoren nach hochwertigen Immobilien groß, wenn sie denn – möglichst langfristig – vermietet sind.

„Angesichts der starken Fundamentaldaten und einem sich abzeichnenden Wirtschaftsaufschwung in der zweiten Jahreshälfte ist Deutschland 2021 der Markt schlechthin für internationale Investoren“, sagte Jan Linsin, Head of Research bei CBRE in Deutschland, in der vergangenen Woche. „Seit Mitte des ersten Quartals kommen auch wieder mehr Produkte auf den Markt, was dem Transaktionsgeschehen einen Schub geben wird“, ergänzt Fabian Klein, Head of Investment bei CBRE. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Dallas, Texas (USA) ist das – in Bezug auf den Umsatz im Geschäftsjahr 2019 – weltweit größte Dienstleistungsunternehmen auf dem gewerblichen Immobiliensektor. Die deutsche Hauptstadt ist im Immobilien-Monopoly einer der begehrtesten Investmentmärkte Europas.

Der Neubau entsteht am Standort der alten Papierlagerhalle des "Neuen Deutschland"

Der Standort am Ostbahnhof kann auf eine bewegte Geschichte zurückverweisen. Das Anfang des 20. Jahrhunderts noch unter der Straßenbezeichnung Friedrichsfelder Straße/Am Ostbahnhof bekannte Quartier war bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit den für die Zeit typischen Berliner Mietshäusern bebaut. Deren Keller werden im Zuge der Bauarbeiten für das Wriezener Karree wieder zum Vorschein kommen.

Eingebettet war das Areal in die Bahnanlagen des namensgebenden und erst 2005 bis auf wenige architektonische Zeitzeugen endgültig zurückgebauten Wriezener Bahnhofs. Bereits in der Vorwendezeit kam es zur gewerblichen Umnutzung des Areals, zu dem auch ein angrenzender Baumarkt gehört, der ebenfalls Teil des TLG-Portfolios ist. Zudem entstand eine Papierlagerhalle des „Neuen Deutschland“, die in den letzten Jahren als Möbelmarkt diente. Nach der pandemiebedingten Auszeit bietet diese Halle mit einer Nutzfläche von rund 6800 Quadratmetern bis zum Baubeginn Platz für eine vielfältige Zwischennutzung wie Ausstellungen, Installationen und sonstige Events.

Wie überdimensionale Containerboxen erscheinen die Bürogebäude im Wriezener Karree. "Voids" (Leerräume) sollen für Auflockerungen in den Fassaden - und im Arbeitsalltag - sorgen.
Wie überdimensionale Containerboxen erscheinen die Bürogebäude im Wriezener Karree. "Voids" (Leerräume) sollen für Auflockerungen in den Fassaden - und im Arbeitsalltag - sorgen.

© Graft GmbH

Die Quartiersentwicklung dürfte also weitergehen. Die Graft-Architekten haben sich in ihren Formensprache bereits auf die künftige Entwicklung eingestellt: „Die Zweistöckigkeit der „Boxen“ ergibt sich aus den umstehenden Gebäuden“, sagt Hawner: „Diese „Flachmänner“, der Baumarkt, Metro und Netto werden ja zunächst noch da sein. Gleichzeitig würden sich die Baukörper in ihrer geplanten Struktur später auch in eine höhere Umgebungsbebauung gut einfügen.“

Die Pandemie hat bestehende Trends beschleunigt

Die drei fünfgeschossigen Bürogebäude sind rund zwanzig Meter hoch und haben in den Räumen eine lichte Höhe von 3,1 Meter, sagt Lobstein: „Wir haben eine Boxenstruktur, um die langen Fassaden aufzulösen.“ Alles andere wäre auch langweilig. Das Architekturbüro Graft ließ sich einen weiteren Kniff einfallen und fügte sogenannte Voids (Leerräume) ein. „Das sind Break-Out-Zonen für die Büromieter“, sagt Hawner. Der Trend gehe zu besonderen Momenten in einem Gebäude, Er meint damit zum Beispiel Austritte oder Sitztreppen. „Die Pandemie hat einen Geschwindigkeits“boost“ ausgelöst und hat so für eine Beschleunigung der Trends gesorgt, die wir bereits in unserem Konzept berücksichtigt hatten“, sagt der Graft-Mann.

Mut zur Lücke. Graft Architekten haben den Anspruch, die Grundstücke nicht abzuschließen, sondern öffentliche Passagen möglich zu machen.
Mut zur Lücke. Graft Architekten haben den Anspruch, die Grundstücke nicht abzuschließen, sondern öffentliche Passagen möglich zu machen.

© Graft GmbH

Als mit einer modernen Architektursprache und einem nachhaltigen Energiekonzept ausgestatteter Bürostandort – angestrebt wird LEED Goldstandard, mindestens – fügt sich der neue Bürocampus ein in die Reihe ambitionierter Projektentwicklungen wie die Edge-Gebäude in Amsterdam und Berlin. Nachhaltigkeit ist hier immer auch ein Label, mit dem sich Mieter (und Investoren) begeistern lassen. Nicht auszuschließen, dass im Wriezener Karree mit den Backsteinen der freizulegenden Keller Durchwegungen für die Öffentlichkeit angelegt werden.

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