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Ganz oben ankommen ist, wer es bis ins Penthouse des "One Wall Street" schafft.

© Dbox for Macklowe Properties

Neuer Kurs in New York: Die Wall Street wird zur Wohn-Street

Terroranschläge und Lehman-Pleite: Der Financial District wird vom Büro- zum Wohnstandort umgebaut.

Die kleine Wall Street ist eine der berühmtesten Straßen der Welt. Nur gut einen Kilometer lang ist sie mit der Börse das Zentrum des New Yorker Finanzdistrikts. Oder war sie es? In jedem Fall steht sie als Synonym für die amerikanische Finanzindustrie als Ganzes. Hier hat Manhattan seinen Ursprung. Die Gegend an der Südspitze der Halbinsel wurde bereits im 17. Jahrhundert besiedelt. Architektur und Kirchen, die teilweise noch aus der Kolonialzeit stammen, erinnern an alte Zeiten. Viele Hochhäuser, zum Teil vor acht oder neun Jahrzehnten im Art-Decó-Stil errichtet – wie etwa das Woolworth Building –, drohen heute aber aus der Zeit zu fallen: Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 9. November 2001 und nach der Lehman-Pleite 2008 haben viele Geldhäuser und die mit ihr verbundenen Branchen die veralteten Bürogebäude Lower Manhattans verlassen. Viele Banken und Investmentfirmen verlagerten ihre Büros nach Midtown, weiter nördlich.

Die Wall Street gehört heute zu den preiswerteren Lagen in Manhattan. Gleich gegenüber dem Hauptsitz der Deutschen Bank in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden unter der Adresse Wall Street 45 kürzlich noch knapp 300 Quadratmeter  Einzelhandelsfläche per Plakataushang zur Miete offeriert. Was soll mit dem alten Zentrum der Hochfinanz nun werden?

Immobilien-Mogul und Deutsche Bank investieren

Der zwei Billionen Dollar schwere US-Investor und Bauträger Harry Macklowe hat eine Angelegenheit hier jetzt an zentraler Stelle in die Hand genommen. Er baut einen von 1929 bis 1931 errichteten, zuletzt als Verwaltungshochburg der Bank of New York Mellon Corporation (BNY Mellon) genutzten Wolkenkrater um. One Wall Street mutiert vom Büro- zum Gebäude mit Eigentumswohnungen. Es ist dies eines der größten Umwandlungsprojekte in der Geschichte Manhattans. SLCE Architects (New York) zeichneten die aktuellen Pläne. Ungewöhnlich sind derartige Großprojekte in dieser Lage allerdings nicht. „Die Welt“ errechnete, dass allein zwischen 1997 und 2008 neun Bürogebäude der Wall Street in Wohnhäuser oder Hotels umgewandelt wurden. 2018 wurden 1300 Wohneinheiten in Lower Manhattan fertig, berichtet die Alliance for Downtown New York – allerdings waren dies nicht nur Umwandlungen.

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© tsp

Macklowe kaufte den Bau mit der denkmalgeschützten Kalksteinfassade 2014. Die letzten Mieter verließen ihre Etagen 2015. Nach Informationen des Fachdienstes „The Real Deal“ zahlte Macklowe 585 Millionen Dollar für das Hochhausensemble in Manhattan. Die Deutsche Bank, die noch an der Wall Street ihren Sitz hat, leiht Macklowe 750 Millionen Dollar für den Umbau, so der Dienst. Macklowe und Deutsche Bank wollten zu diesen Zahlen keine Kommentare abgeben.

Das 50 Stockwerke hohe Gebäude wurde von dem Architekten Ralph Walker entworfen, in den Jahren 1963 bis 1965 war der Bau am niedrigeren südlichen Ende um 35 Stockwerke erhöht worden, um Platz für die Mitarbeiter der Irving Trust Bank zu schaffen. Zuvor befand sich dort noch der Baukörper des Manhattan Life Building, das 1893 bis 94 errichtet wurde. Dieser Vorgängerbau war New Yorks erster Wolkenkratzer, der die damals magische Hundertmetermarke um sechs Meter übertraf.

Der alte Charme ist nicht mehr hip

Mit dem One Wall Street-Umbau ist der Finanzdistrikt neben den am Westrand Manhattans gelegenen Entwicklungsprojekten Hudson Yards,und Meatpacking District ein weiteres Quartier, dessen Funktion neu bestimmt wird, neu bestimmt werden muss. Denn durch das im März bezugsfertige Viertel Hudson Yards – mit immerhin 1,6 Millionen Quadratmetern brandneuer Wohnungen und Büros – sinken die Preise für Büros in älteren Gebäuden.

Die alten Technikräume werden derzeit für den Einbau von Luxuswohnungen hergerichtet.
Die alten Technikräume werden derzeit für den Einbau von Luxuswohnungen hergerichtet.

© Reinhart Bünger

Selbst eines der berühmtesten Wahrzeichen New Yorks, das Chrysler-Gebäude, steht seit Jahresanfang im Herzen Manhattans zum Verkauf. Der 1930 eingeweihte Tower an der 42. Straße/Ecke Lexington Avenue gilt mit seiner extravaganten Stahlkrone als Meisterwerk des Art Decó. Mit seinen 319 Meter Höhe war es einst das höchste Gebäude der Welt – bis das Empire State Building fertig gestellt wurde. Allerdings: Kleine Büroräume mögen in Kinofilmen mit Humphrey Bogart ihren düsteren Charme entwickeln, doch mit einer modernen Arbeitswelt – mit ihren Großraumbüros und kommunikativen Leisure-Ästhetik – harmonieren sie nicht. Moderne Bürohäuser bieten Einkaufsmöglichkeiten gleich im Gebäude, haben raumhohe Fenster, Fitness-Studio und Terrassen für die Mitarbeiter. Etwas mehr als 9000 Quadratmeter sind im One Wall Street allein für die Gemeinschaftszonen vorgesehen, Lounge und Bar inklusive.

Was für die Angebote in den Bürobauten gilt, wird auch von der Umgebung verlangt: Gute Erreichbarkeit und Aufenthaltsqualitäten. Schnittpunkte der wichtigsten U-Bahn-Linien gibt es in Wall-Street-Nähe schon einmal. Macklowe-Marketing-Chef Richard Dubrow betont, dass heute nicht nur der Finanzdistrikt lange geöffnet hat, wenn die Büros schließen. Auch an den Piers am Hudson ist viel in Bewegung. Die Zeit der Industriequartiere ist vorbei. Öffentliche Plätze sind entstanden. Und Hotels natürlich. Mehr als 65 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr New York besucht und der US-Metropole damit das neunte Jahr in Folge einen Rekord beschert. Zu den aktuellen Hotspots der Hotelszene gehört das ebenfalls im Finanzdistrikt gelegene „The Beekman“, ein im Art-Decó-Stil umgebautes ehemaliges Bürogebäude, das heute zur Thomson-Hotelkette gehört (5 Beekman Street). Hier trifft sich die Finanzbranche gegen Feierabend auf einen Absacker während auf den Fluren der oberen Stockwerke gelegentlich Dreharbeiten stattfinden: Schönere Kulissen haben für historische Filmstoffe derzeit nur wenige Hotels in New York zu bieten.

Die Gebäude stehen auf altem Fundament, aber brauchen neues Leben.
Die Gebäude stehen auf altem Fundament, aber brauchen neues Leben.

© Reinhart Bünger

Etliche Blocks weiter nördlich vom Finanzdistrikt aus gesehen entsteht mit Pier 55 ein Park auf dem Wasser. Die Bagger sind bereits bei der Arbeit. Nur wenige Schritte von diesem 250-Millionen-Dollar–Projekt entfernt, wird einem weiteren Altbau neues Leben eingehaucht: Das Terminal Building, ein alter Hafenspeicher mit sieben Stockwerken, ein momumentaler Klotz aus Backstein, soll zum nächsten Highlight in Reichweite der High Line und in Reichweite von Hudson Yards werden: Hier ist viel Platz für Büros in einem alten industriellen Environment. Natürlich sind Galerien, Läden und Restaurants neue Magneten, die Laufkundschaft anziehen sollen. Die High Line, eine auf Stahlstelzen stehende ehemalige Güterzugtrasse, die ebenfalls in einen Park umgewandelt wurde, ist nicht weit entfernt. Sie gibt mit ihrer gezügelten Urwüchsigkeit und Improvationskunst derzeit in Manhattan den  Takt bei der Quartiersgestaltung vor. Das ist auch im Finanzdistrikt zu beobachten, wo man erfolgreich versucht, zwischen den Häuserschluchten kleine Plätze mit ein wenig Grün zu schaffen.

Long Island City kommt

Ganz oben ankommen ist, wer es bis ins Penthouse des "One Wall Street" schafft.
Ganz oben ankommen ist, wer es bis ins Penthouse des "One Wall Street" schafft.

© Dbox for Macklowe Properties

Ein weiteres In-Quartier ist derzeit noch in der Warteposition: Long Island City. Von hier aus hat man einen tollen Blick auf die Hochhauslandschaft Manhattans. Es gibt viele Gewerbeflächen direkt am East River und damit ein großes Stadtentwicklungspotential bei vergleichsweise niedrigen Mieten und Grundstückspreisen. Der Online-Versandhändler Amazon wollte seine nach Seattle zweite Zentrale in dieser armen Gegend New Yorks ansiedeln. 25 000 Job sollten neu entstehen. Doch der Plan scheiterte. Es gab zu viel Widerstand von Nachbarschaftinitiativen, Lokalpolitikern und Gewerkschaftlern gegen die Ansiedlung in Reichweite der Queensbridge Houses, der größten Sozialwohnungssiedlung New Yorks.

Während der Hudson auf der anderen Seite Manhattans – hier liefen die Schiffe über den Atlantik ein – an seinem Ufer internationales, weltstädtische Flair verbreitet, steht der Seaport District auf der östlichen Seite am East River für alteingesessene Strukturen und Nachbarschaften. „South Seaport ist New Yorks ältestes Stadtviertel“, sagt Macklowes Marketing-Mann Richard Dubrow, „seit vielen Jahren versuchen sie hier ein neues Soho mit Designern, Kunst und Mode zu installieren.“ Doch es ist hier nicht so trubelig wie im Meatpacking District, dem aktuellen In-Bezirk Manhattans.

So verströmt die Wall Street trotz aller Turbulenzen auf dem Parkett Ruhe und Beschaulichkeit. „Zur Wall Street gehen nur wenige Touristen“, sagt Dubrow. Die Passagierfähre, die an der Südspitze des Quartiers regelmäßig nach Staten Island ablegt und auf ihrem kleinen Törn die Freiheitsstatue passiert, unterstützt diesen Eindruck. Hier sind die aus Lateinamerika stammenden New Yorker in der Mehrheit und fahren von Manhattan aus in ihre Wohnviertel, die ebenfalls im Kommen sind.

Terrasse mitten in Manhattan.
Terrasse mitten in Manhattan.

© Dbox for Macklowe Properties

Food Court, Fitness und Co.

One Wall Street soll im neuen Quartier Zeichen setzen. Es geht um Aufenthaltsqualität im Gebäude. Es werden drei Stockwerke für den Einzelhandel ab Straßenniveau aufwärts geschaffen. Eine große Biosupermarktkette ist mit Whole Food Markets als Hauptmieter bereits gefunden. Zudem wird ein Fitness-Center eingebaut, das ob seiner Größe in New York schwer zu vergleichen sein wird. Darüber entstehen natürlich Studios, Apartments und Wohnungen. 566 Einheiten sollen es insgesamt werden. Die Hälfte dürften Studios für Singles und Paare werden.

Ein Penthouse im "One Wall Street" bietet einen 360-Grad Panorama-Ausblick.
Ein Penthouse im "One Wall Street" bietet einen 360-Grad Panorama-Ausblick.

© Dbox for Macklowe Properties

Der Südturm soll im Zuge der Rekonstruktion ein zweites Mal aufgestockt werden. Fünf neue Stockwerke werden aufgesetzt, das letzte Stockwerk ist für die Annehmlichkeiten der Bewohner vorgesehen. Mit einem großen Pool (22 mal 6 Meter) und einem Golf-Simulator ist mindestens zu rechnen. Die Vorsprünge, die das alte Gebäude schon heute in der Fassade hat, sollen in private Terrassen umfunktioniert und ausgebaut werden. Knapp fünfzig Apartments könnten in diesen bei New Yorker Hochhäusern raren Genuss kommen.

Unter drei Millionen Dollar dürften in Manhattan auch im One Wall Street-Tower kaum eine der Einheiten zu bekommen sein. Schließlich geht es hier um einen Neubau mit Parkettfußböden und Miele-Küchenausstattung vom Feinsten. 2020 soll das Gebäude wiedereröffnet werden – Verkaufsstart dürfte ab Herbst sein, für den, der es sich leisten kann. Eine Preisliste haben die Verkäufer des Vermarktungsunternehmens CORE noch nicht herausgegeben.

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