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Das fertige Hansaviertel

© bpk/ Rolf Koehler

Neubauten: „Bomben haben den Boden für das Neue erst geebnet"

Der Zweite Weltkrieg war ein „verkappter Segen“ für veraltete Quartiere, findet Architekturprofessor Jörn Düwel. Wirklich?

War die Vernichtung der Städte im Zweiten Weltkrieg ein „versteckter Segen“ für Architekten und Stadtplaner?

Ohne Zweifel, die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war ein „verkappter Segen“. Beispielsweise kommentierten Städtebauer in Coventry mit dieser Bemerkung die Folgen deutscher Luftangriffe. Heute irritiert uns, dass der Verlust des Alten keine Trauer auslöste, sondern offenbar ein Gefühl der Befreiung. Damals war Altstadt gleichbedeutend mit Enge, Schmutz und Verwahrlosung. Vor allem die kleinteiligen Eigentumsverhältnisse standen einer weitgehenden Neuplanung entgegen. Insofern schienen erst die Bomben im wahrsten Sinne des Wortes den Boden für das Neue zu ebnen.

Gab es schon vor dem Weltkrieg Pläne, Städte zu zerstören, um sie nach neuen und modernen Maßstäben wiederaufzubauen?

Um 1910 hatte sich das in der Architektur bereits herauskristallisiert und in der Öffentlichkeit auch festgesetzt. Wenn in der Altstadt das Nebeneinander und Übereinander auf gedrängtem Raum stattfand, also das Arbeiten, Wohnen und Handeln, war das Versprechen mit der City, dass dort lediglich noch gehandelt und verwaltet werde, nicht aber mehr gewohnt. Der große Traum lag im räumlichen Entflechten unterschiedlicher städtischer Funktionen.

Was wollten die Stadtplaner und Architekten nach dem Krieg besser machen?
Der Zweite Weltkrieg ist nicht wirklich eine Zäsur. Die Zäsur fand zwischen 1910 und 1920 statt. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Erste Weltkrieg eine große Erosion der Gesellschaft nach sich zog. Er hat etwas hinweggefegt, das bis dahin als gottgefügt galt. Man wollte neue Städte mit einem Versprechen auf freie, fließende Räume, wo alles sich ausbreiten kann. Nach dem Ersten Weltkrieg kam im Grunde erst der Individualverkehr. Man glaubte, wenn erst mal auch nur jeder fünfte Haushalt ein eigenes Auto habe, müssten doch die Städte verstopft sein.

War das schon eine Erkenntnis nach dem Ersten Weltkrieg?

Das war alles in den 20er Jahren schon ausgebreitet. Und noch etwas Wichtiges: Der Erste Weltkrieg war mit Angriffen auf Städte aus der Luft zu Ende gegangen. Zur Daseinsfürsorge gehört die Vorbereitung von Schutzmaßnahmen. Experten waren sich in ganz Europa und auch mit Amerika einig: Der kommende Krieg, der ein Luftkrieg sein wird, bedeutet das Ende der Großstädte. Deshalb stand außer Frage, die großen Städte möglichst rasch „lufthart“ umzubauen. Hierzu wurde in allen Ländern intensiv geforscht.

Auferstanden aus Ruinen. Das Hansaviertel wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957 neu und luftig geplant. Rechts die neue Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche.
Auferstanden aus Ruinen. Das Hansaviertel wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957 neu und luftig geplant. Rechts die neue Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche.

© bpk/Klaus Lehnarrtz

Man wollte die Städte schöner und lebensgerechter machen. Aber warum empfinden wir sie dann heute oft als so hässlich?

Das ist wie mit dem Blick ins eigene Familienalbum. Wenn man etwas älter ist und auf eine längere Zeit zurückblicken kann, sieht man sich in verschiedenen Moden gekleidet, und das ein oder andere Bild überschlägt man lieber, weil man sich für etwas schämt. Mal ist ein Hosenbein eng, mal ist es ausgestellt. Das ist eine Art Zeitgeist. Nur eben ist in der Stadt der Verdruss größer.

Stimmt eigentlich die These, dass die Städte nach dem Krieg für den großen Umbau einer zweiten Zerstörung anheimfielen?

Ja natürlich. Aber allein diese Frage impliziert ja schon einen moralischen Vorbehalt. Weil Zerstörung auch moralisch konnotiert ist. Wir Architekten sagen „freigeräumt“ oder „Weg geebnet für das Bessere“.

Aber es gibt ja eine Rückwärtsbesinnung. Man möchte das Verlorene gern wiederhaben. Zum Beispiel das Berliner Stadtschloss. Hat man eine Sehnsucht nach historischen Bauten?

Ja, aber das kann man nicht verallgemeinern. Zweifellos gibt es eine verbreitete Sehnsucht nach dem Bild der alten Stadt. Das ist ein Aspekt, der in Schüben immer wieder zu beobachten ist. Ironischerweise wird heute begehrt, was unsere Großväter verteufelten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begegnete man dem Bild der Architektur gegenüber misstrauisch, wenn nicht sogar ablehnend. Seinerzeit hatte sich ein Glauben breitgemacht, der von völlig anderen Voraussetzungen ausging.

Dieses geradezu militante Denken fand in der Formel „form follows function“ sein Glaubensbekenntnis. Angenommen wurde, dass die Schönheit keine Rolle spiele, sondern das Erfüllen von Funktion. Vor diesem Hintergrund wird die stärkere Sehnsucht nach dem bloß Schönen verständlich. Das Schöne ist nicht selten das Nutzlose.

Das heißt, das Berliner Schloss ist nutzlos?

Im Grunde ja. Das heißt, was reinkommt, ist nachrangig. Es geht zuvorderst um das Bild.

Das Interview führte Dorothea Hülsmeier.

Jörn Düwel

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