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Baustellen gibt es viele in Deutschland – nur gibt es weit weniger Sozialwohnungen als früher.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Mietwende gefordert: „Unbezahlbaren Wohnraum haben wir ausreichend“

Seit Jahrzehnten investiert der Staat immer weniger in Sozialwohnungen. Ein Bündnis von Bau-, Immobilien- und Mieterverbänden mahnt jetzt zur Eile.

Die Wohnungsmisere in den deutschen Großstädten, zumal in Berlin, kam nicht über Nacht: Seit fast vierzig Jahren investiert der Staat zunehmend weniger in den sozialen Wohnungsbau. Gleichzeitig fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung, als neue Sozialwohnungen gebaut werden. Die Folgen sind bekannt: Normal- und Geringverdiener finden nur schwer geeignete Wohnungen, Ideologen finden fruchtbaren Boden. Dass in dem Thema ungeheurer sozialer Sprengstoff liegt, zeigen die Debatten in der Hauptstadt. Enteignung lautet hier das neue Zauberwort.

Eine am Donnerstag in Berlin vorgestellte Prognos-Studie richtet den Blick auf die Engpässe. Ein Verbändebündnis Wohnungsbau hatte die Studie bei dem Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen in Auftrag gegeben. Dem Bündnis gehören sieben führende Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienbranche an.

Bundesweit werde im sozialen Wohnungsbau aktuell lediglich ein Drittel von dem gebaut, was tatsächlich an neuen Sozialmietwohnungen nötig sei, sagte Tobias Koch, der die Ergebnisse der Studie vorstellte. Nötig seien 80.000 neue Wohnungen im Jahr, „bei 50.000 bis 60.000 Abgängen“. Doch der Sozialwohnungsneubau schaffe es nicht einmal, die Abgänge auszugleichen. Gerade einmal 26.000 Einheiten wurden 2017 fertiggestellt. „Und es wird zu weit draußen gebaut, nicht dort, wo wir die Wohnungen brauchen“, sagte Koch. Das ziehe Probleme mit den Umlandverkehren nach sich. Häufig hinkt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs für Pendler der Wohnungsbauentwicklung hinterher.

Der Prognos-Mann benannte mit dem Hinweis auf die Bautätigkeit in den „Speckgürteln“ eines der größten Probleme: Die Bau-„Pipeline“ droht auszutrocknen, weil vor allem von den Städten zu wenig Bauland bereitgestellt wird. Bei den sogenannten A-Standorten, zu denen auch Berlin gehört, sind die Verkaufsfälle an Flächen aktuell um ein Drittel zurückgegangen. Lukas Siebenkotten, Direktor des Deutschen Mieterbundes, sagte dazu: „Land und Kommunen müssen genügend Bauland zur Verfügung stellen, ohne dem geht es nicht. Die Konflikte, die entstehen, müssen ausgehalten werden.“

Zu den zentralen Engpassfaktoren beim Wohnungsneubau zählt Prognos neben der Bereitstellung von Bauland und steigenden Bodenpreisen die Zunahme offener Stellen im Baugewerbe und trotz steigender Investitionen eine hohe Geräte-Auslastung. Im Verbändebündnis wollte das Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, allerdings nicht so stehen lassen. "Wir sind in der Lage, jedem Bauherrn sein Objekt zu geben", sagte er: "Jeder, der bauen will, kann bauen." Wenn es nicht so recht voranginge, liege das in langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozessen und dem zögerlichen Infrastrukturausbau der Städte und Kommunen. Auch die Rohstoffversorgung und Entsorgung von Bauabfällen machen laut Prognos-Studie inzwischen Probleme.

Berliner Baulandpreise stiegen um 170 Prozent

Mit Blick auf Berlin destillierten die Forscher heraus, dass die Stadt zwischen 2011 und 2017 die höchste relative Entwicklung der Baulandpreise verzeichnete: Die Zunahme liegt bei 170 Prozent. Absolut betrachtet stiegen die Baulandpreise in diesem Zeitraum um 560 Euro bei baureifem Land: von 340 Euro pro Quadratmeter auf rund 900 Euro (Bundesdurchschnitt: 450 Euro). Es leuchtet ein, dass bei solchen Voraussetzungen die Herstellung bezahlbarer Mietwohnungen schwierig bis unmöglich ist. Kommen hinzu die Herstellungskosten, die Koch im Mittel bundesweit auf 2600 Euro pro Quadratmeter bezifferte.

„Zehn Euro pro Quadratmeter Kaltmiete ist da schon ein gutes Angebot“, meinte Koch. „Wenn wir nach München kommen – mit 14 bis 18 Euro – dann sind wir in der Zone des Konsumverzichts.“

Hochhäuser in der Lipschitzallee in der Berliner Gropiusstadt (Neukölln). Sie entstand von 1962 bis 1975 als Großwohnsiedlung.
Hochhäuser in der Lipschitzallee in der Berliner Gropiusstadt (Neukölln). Sie entstand von 1962 bis 1975 als Großwohnsiedlung.

© imago/Schöning

„Eine Sozialwohnung kostet 80.000 Euro“, rechnete in Berlin Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG Bauen- Agrar-Umwelt. „Unbezahlbaren Wohnraum haben wir ausreichend, weil wir in dem Bereich eindeutig zu wenig investiert haben.“ Im Kern sei eine Verdopplung der sozialen Wohnraumförderung von aktuell 1,5 Milliarden Euro angezeigt, statt diese – wie geplant – auf eine Milliarde Euro abzusenken. Feiger vertrat die Auffassung, dass wegen der gestiegenen Mieten zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Großstädter theoretisch Anspruch auf eine Sozialwohnung habe. Aus der Politik kam Zustimmung, aber auch Skepsis. Auch die Grünen verlangten eine Verdoppelung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Sozialwohnungen seien kein Allheilmittel, warnte dagegen die FDP. Bauen müsse billiger werden.

1968 war fast jede dritte Mietwohnung eine Sozialwohnung

Der soziale Wohnungsbau geht auf die Weimarer Republik zurück, in der die Wohnungsversorgung der Bevölkerung als eine staatliche Aufgabe angesehen wurde. Von 1949 bis 1968 wurden die meisten Sozialwohnungen gebaut: Rund 2,3 Millionen. 1968 war fast jede dritte Mietwohnung in der Bundesrepublik eine Sozialwohnung. In den Folgejahren verringerte sich der Zuwachs. Wurden von 1969 bis 1978 noch rund 732.000 Sozialwohnungen gebaut, waren es von 1979 bis 1987 gerade noch 268.000. Mitte der 80er Jahre verkündete die Bundesregierung das Ende der staatlichen Förderung des Mietwohnungsbaus. Als Gründe wurden Leerstände und Prognosen über den Rückgang der Bevölkerung angeführt.

1988 schaffte der Bundestag die steuerliche Privilegierung gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften endgültig ab. Seitdem verringerte sich die Zahl der Sozialwohnungen stetig. Zählte man 1990 nach Beitritt der neuen Bundesländer bundesweit noch 2,87 Millionen, waren es 2016 nur noch 1,24 Millionen.

Innenministerium: "Totalversagen der Bundesländer"

Zuständig für neue Sozialwohnungen sind seit 2007 die Länder. Als Kompensation erhalten sie Geld vom Bund, das sie mit eigenen Mitteln aufstocken müssen. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Innenministerium, Marco Wanderwitz (CDU), sieht die Verantwortung deshalb auf Länderebene: Die Versäumnisse im sozialen Wohnungsbau seien kein Thema des Bundes, sondern „weitestgehendes Totalversagen der Bundesländer“.

SPD-Chefin Andrea Nahles nahm nicht nur Vermieter und Politiker in die Pflicht, sondern sprach auch ausdrücklich die Bürger an: „Ich verlange hier nicht nur was von denen, die Wohnungen bauen, und auch nicht nur von der öffentlichen Hand“, sagte Nahles am Donnerstag. Es müsse mehr Akzeptanz für Neubauten geben. „Auch jeder Einzelne, der in einer Stadt lebt, die eben diese Probleme hat, muss sich fragen, was er dazu beiträgt. Wenn es ihn stört und es ihm zu dicht wird, soll er zu mir in die Eifel kommen.“ (mit epd und dpa)

Vorbild Polen: Hier funktioniert sozialer Wohnungsbau schnell und preiswert. Einen Artikel über eine Modellsiedlung in Breslau lesen Sie hier.

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